Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Sozialauslese zügelt auf allen Gebieten des Lebens mächtige Vordringen der Geldwirtschaft, (Schluß folgt) ^Sozialauslese (Schluß) minor hat bei der Behauptung, daß die Rasfenverschlechterung Sozialauslese zügelt auf allen Gebieten des Lebens mächtige Vordringen der Geldwirtschaft, (Schluß folgt) ^Sozialauslese (Schluß) minor hat bei der Behauptung, daß die Rasfenverschlechterung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0523" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227425"/> <fw type="header" place="top"> Sozialauslese</fw><lb/> <p xml:id="ID_1919" prev="#ID_1918"> zügelt auf allen Gebieten des Lebens mächtige Vordringen der Geldwirtschaft,<lb/> in unglücklicher Verbindung mit dem Verfall der Zentralgewalt in Deutsch¬<lb/> land. So gerät das Deutsche Reich, schwankend wie ein steuerloses Schiff,<lb/> in eine stürmisch bewegte, mächtige Strömung, in der es, nach allen Richtungen<lb/> hin und her gerissen, schließlich zu Grunde geht. Die deutschen Geschicke vom<lb/> vierzehnten bis zum siebzehnten Jahrhundert sind ein furchtbarer Beleg für<lb/> die von Lamprecht ausgedrückte Wahrheit, daß „große Strömungen auf wirt¬<lb/> schaftlichem und sozialem Gebiet der festen Leitung von oben her bedürfen.<lb/> Durch die ausgleichende Einwirkung der Staatsgewalt soll in ihnen nicht<lb/> Egoismus und Partikularismus die Oberhand gewinnen über eine dem Ge¬<lb/> deihen aller gerecht werdende Entwicklung." Aber — das alte Reich hatte<lb/> keine reale Macht mehr dazu, und so kommt es zum Kampfe aller gegen alle,<lb/> der den äußern und innern Ruin herbeiführt. Im Innern zeigt sich wie in<lb/> keiner andern Periode die schamlose und gewaltsame Ausbeutung der Schwachen<lb/> durch die durch Macht und Autorität Starken. Allgemein sind die Klagen im<lb/> fünfzehnten Jahrhundert über die furchtbare Ausbeutung der „armen Leut"<lb/> durch die Pfaffen, den Adel und die Handelsgesellschaften der Städte. Indem<lb/> aber die herrschenden Klassen, Adel, Geistlichkeit und die „Geschlechter" in<lb/> den Städten nur daran dachten, das Ihre zu erhalten und zu mehren, sich<lb/> vor Schaden zu wahren, ihre Rechte auszubeuten und ihre Untergebnen aus-<lb/> zusaugen, nährten sie die Gleichgiltigkeit, die Schadenfreude und den Grimm<lb/> in den preisgegebnen Massen. In derselben Zeit, in der in Frankreich die<lb/> „armen Leut" die Krone retteten, begann sich in Deutschland das Volk zu¬<lb/> sammenzurollen und zu empören. Die Hanseflotte erlag, und mit der deutschen<lb/> Kriegstüchtigkeit hatte es nicht mehr viel auf sich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1920"> (Schluß folgt)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> ^Sozialauslese<lb/> (Schluß) </head><lb/> <p xml:id="ID_1921" next="#ID_1922"> minor hat bei der Behauptung, daß die Rasfenverschlechterung<lb/> nicht Wirkung ungünstiger Lebensbedingungen, sondern umgekehrt<lb/> die schlechte Lebenslage eine Folge der Untüchtigkeit sei, die be¬<lb/> sondern Verhältnisse der verschiednen Klassen von Lohnarbeitern<lb/> gar nicht im Auge gehabt; mit dergleichen Kleinigkeiten befaßt<lb/> er sich nicht. Tille streift diese Dinge hie und da und führt unter anderen<lb/> die Entartung der Deutschen in Böhmen (Zukunft vom 25. April 1896, S. 11)</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0523]
Sozialauslese
zügelt auf allen Gebieten des Lebens mächtige Vordringen der Geldwirtschaft,
in unglücklicher Verbindung mit dem Verfall der Zentralgewalt in Deutsch¬
land. So gerät das Deutsche Reich, schwankend wie ein steuerloses Schiff,
in eine stürmisch bewegte, mächtige Strömung, in der es, nach allen Richtungen
hin und her gerissen, schließlich zu Grunde geht. Die deutschen Geschicke vom
vierzehnten bis zum siebzehnten Jahrhundert sind ein furchtbarer Beleg für
die von Lamprecht ausgedrückte Wahrheit, daß „große Strömungen auf wirt¬
schaftlichem und sozialem Gebiet der festen Leitung von oben her bedürfen.
Durch die ausgleichende Einwirkung der Staatsgewalt soll in ihnen nicht
Egoismus und Partikularismus die Oberhand gewinnen über eine dem Ge¬
deihen aller gerecht werdende Entwicklung." Aber — das alte Reich hatte
keine reale Macht mehr dazu, und so kommt es zum Kampfe aller gegen alle,
der den äußern und innern Ruin herbeiführt. Im Innern zeigt sich wie in
keiner andern Periode die schamlose und gewaltsame Ausbeutung der Schwachen
durch die durch Macht und Autorität Starken. Allgemein sind die Klagen im
fünfzehnten Jahrhundert über die furchtbare Ausbeutung der „armen Leut"
durch die Pfaffen, den Adel und die Handelsgesellschaften der Städte. Indem
aber die herrschenden Klassen, Adel, Geistlichkeit und die „Geschlechter" in
den Städten nur daran dachten, das Ihre zu erhalten und zu mehren, sich
vor Schaden zu wahren, ihre Rechte auszubeuten und ihre Untergebnen aus-
zusaugen, nährten sie die Gleichgiltigkeit, die Schadenfreude und den Grimm
in den preisgegebnen Massen. In derselben Zeit, in der in Frankreich die
„armen Leut" die Krone retteten, begann sich in Deutschland das Volk zu¬
sammenzurollen und zu empören. Die Hanseflotte erlag, und mit der deutschen
Kriegstüchtigkeit hatte es nicht mehr viel auf sich.
(Schluß folgt)
^Sozialauslese
(Schluß)
minor hat bei der Behauptung, daß die Rasfenverschlechterung
nicht Wirkung ungünstiger Lebensbedingungen, sondern umgekehrt
die schlechte Lebenslage eine Folge der Untüchtigkeit sei, die be¬
sondern Verhältnisse der verschiednen Klassen von Lohnarbeitern
gar nicht im Auge gehabt; mit dergleichen Kleinigkeiten befaßt
er sich nicht. Tille streift diese Dinge hie und da und führt unter anderen
die Entartung der Deutschen in Böhmen (Zukunft vom 25. April 1896, S. 11)
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