Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Madlene Mein Mütterlein ist sterbenskrank, Ach, guter Schlehnbcmm, habe Dank! Fein Ännelein, mein Schätzelein, Die Schlehlein haben harte Stein! Da kam ein lustiger Jägersmann, Und sein grünes, grünes Röcklein stand gar wohl ihm an. Die Schlehlcin, armes Kind, Viel zu sauer für dich sind! Ich geb dir Zucker und Mandelkern, Das essen alle Kinder gern! Fein Ännelein, mein Schätzelein, Die Schlechtem haben harte Stein! Mit eurem Zucker und Mandelkern Bleibt dein armen, armen Mägdlein nur drei Schritte fern! Zur Mutter, krank und blind, Muß ich beim allgeschwind, Muß kochen ihr ein Mus von Schlehn, Eh ihre Sternlein untergehn. Fein Ännelein, mein Schätzelein, Die Schlehlein haben harte Stein! Und hab'n die Schlehlein auch harte Stein: Ach, viel härter, härter müssen Menschenherzen sein! Und kalt wie Wintermind Sie wohl gar auch noch sind, Sonst ließen sie mein Mtttterlein Nit gar so lang um Hilfe schrein! Fein Ännelein, mein Schätzelein, Mein Herz ist wohl kein Schlehenstein! Der Jägersmann trat ins Häuslein klein Mit dem armen, armen Mägdlein zu dein Mütterlein. Nun full den leeren Spind, Lab die Mutter geschwind! Bald wird ihr Gott die Kraft verleih", Uns als ein Partein fromm zu weihn! Fein Ännelein, mein Schätzelein, Die Schlehlein haben harte Stein! 2. Der Bruch Das Haus dieses Geschwisterkleeblattes hieß dus Müsershaus, und die Be¬ Madlene Mein Mütterlein ist sterbenskrank, Ach, guter Schlehnbcmm, habe Dank! Fein Ännelein, mein Schätzelein, Die Schlehlein haben harte Stein! Da kam ein lustiger Jägersmann, Und sein grünes, grünes Röcklein stand gar wohl ihm an. Die Schlehlcin, armes Kind, Viel zu sauer für dich sind! Ich geb dir Zucker und Mandelkern, Das essen alle Kinder gern! Fein Ännelein, mein Schätzelein, Die Schlechtem haben harte Stein! Mit eurem Zucker und Mandelkern Bleibt dein armen, armen Mägdlein nur drei Schritte fern! Zur Mutter, krank und blind, Muß ich beim allgeschwind, Muß kochen ihr ein Mus von Schlehn, Eh ihre Sternlein untergehn. Fein Ännelein, mein Schätzelein, Die Schlehlein haben harte Stein! Und hab'n die Schlehlein auch harte Stein: Ach, viel härter, härter müssen Menschenherzen sein! Und kalt wie Wintermind Sie wohl gar auch noch sind, Sonst ließen sie mein Mtttterlein Nit gar so lang um Hilfe schrein! Fein Ännelein, mein Schätzelein, Mein Herz ist wohl kein Schlehenstein! Der Jägersmann trat ins Häuslein klein Mit dem armen, armen Mägdlein zu dein Mütterlein. Nun full den leeren Spind, Lab die Mutter geschwind! Bald wird ihr Gott die Kraft verleih», Uns als ein Partein fromm zu weihn! Fein Ännelein, mein Schätzelein, Die Schlehlein haben harte Stein! 2. Der Bruch Das Haus dieses Geschwisterkleeblattes hieß dus Müsershaus, und die Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0052" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226954"/> <p xml:id="ID_119"> Madlene</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_6" type="poem"> <l> Mein Mütterlein ist sterbenskrank,<lb/> Ach, guter Schlehnbcmm, habe Dank!<lb/> Fein Ännelein, mein Schätzelein,<lb/> Die Schlehlein haben harte Stein!</l> <l> Da kam ein lustiger Jägersmann,<lb/> Und sein grünes, grünes Röcklein stand gar wohl ihm an.<lb/> Die Schlehlcin, armes Kind,<lb/> Viel zu sauer für dich sind!<lb/> Ich geb dir Zucker und Mandelkern,<lb/> Das essen alle Kinder gern!<lb/> Fein Ännelein, mein Schätzelein,<lb/> Die Schlechtem haben harte Stein!</l> <l> Mit eurem Zucker und Mandelkern<lb/> Bleibt dein armen, armen Mägdlein nur drei Schritte fern!<lb/> Zur Mutter, krank und blind,<lb/> Muß ich beim allgeschwind,<lb/> Muß kochen ihr ein Mus von Schlehn,<lb/> Eh ihre Sternlein untergehn.<lb/> Fein Ännelein, mein Schätzelein,<lb/> Die Schlehlein haben harte Stein!</l> <l> Und hab'n die Schlehlein auch harte Stein:<lb/> Ach, viel härter, härter müssen Menschenherzen sein!<lb/> Und kalt wie Wintermind<lb/> Sie wohl gar auch noch sind,<lb/> Sonst ließen sie mein Mtttterlein<lb/> Nit gar so lang um Hilfe schrein!<lb/> Fein Ännelein, mein Schätzelein,<lb/> Mein Herz ist wohl kein Schlehenstein!</l> <l> Der Jägersmann trat ins Häuslein klein<lb/> Mit dem armen, armen Mägdlein zu dein Mütterlein.<lb/> Nun full den leeren Spind,<lb/> Lab die Mutter geschwind!<lb/> Bald wird ihr Gott die Kraft verleih»,<lb/> Uns als ein Partein fromm zu weihn!<lb/> Fein Ännelein, mein Schätzelein,<lb/> Die Schlehlein haben harte Stein!</l> </lg><lb/> <div n="2"> <head> 2. Der Bruch</head><lb/> <p xml:id="ID_120" next="#ID_121"> Das Haus dieses Geschwisterkleeblattes hieß dus Müsershaus, und die Be¬<lb/> wohner hießen die Müsersleut — vom Großvater her, der aus der „Mus" stammte,<lb/> einem einzeln in der Wiese gelegne,? Haus des Nachbarortes Schwarzbach, und<lb/> darum der Müser genannt worden war. Die drei ledigen Müsersleut führten<lb/> einen guten Haushalt miteinander und hatten sich etliche hundert Thaler gespart.<lb/> Die bewahrten sie im Tischkasten auf. Wohlgervllt und eingewickelt stak die Er¬<lb/> sparnis hinter einem Wall von Papieren und alten Kalendern, und vor diesem<lb/> Wall stand zwischen Petschaft, Schreibzeug, Schreibkaleiider, Rasiermesser und einer<lb/> „Sandaner" (der Feiertagsdosc des Großen) ein ans feinen Wurzeln geflochtenes<lb/> längliches „Schänzcheu," worin dus Wirtschaftsgeld war. Den Geldschlüssel, d. h.<lb/> also den Tischkastenschlüssel, führten die drei Geschwister gemeinschaftlich so, daß ihn<lb/> jedes eine Woche behielt. Am Sonntag bei der Morgensuppe legte der Inhaber<lb/> den Schlüssel dem Geschwister ans seinen Tischplntz, das für die angetretene Woche<lb/> den Verschluß bekam. Alle Einnahmen und Ausgaben konnten nur durch die Hand<lb/> des jeweiligen Schlüsselinhabers gehen. — Mndlene und der „Meine" hatten sich</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0052]
Madlene
Mein Mütterlein ist sterbenskrank,
Ach, guter Schlehnbcmm, habe Dank!
Fein Ännelein, mein Schätzelein,
Die Schlehlein haben harte Stein! Da kam ein lustiger Jägersmann,
Und sein grünes, grünes Röcklein stand gar wohl ihm an.
Die Schlehlcin, armes Kind,
Viel zu sauer für dich sind!
Ich geb dir Zucker und Mandelkern,
Das essen alle Kinder gern!
Fein Ännelein, mein Schätzelein,
Die Schlechtem haben harte Stein! Mit eurem Zucker und Mandelkern
Bleibt dein armen, armen Mägdlein nur drei Schritte fern!
Zur Mutter, krank und blind,
Muß ich beim allgeschwind,
Muß kochen ihr ein Mus von Schlehn,
Eh ihre Sternlein untergehn.
Fein Ännelein, mein Schätzelein,
Die Schlehlein haben harte Stein! Und hab'n die Schlehlein auch harte Stein:
Ach, viel härter, härter müssen Menschenherzen sein!
Und kalt wie Wintermind
Sie wohl gar auch noch sind,
Sonst ließen sie mein Mtttterlein
Nit gar so lang um Hilfe schrein!
Fein Ännelein, mein Schätzelein,
Mein Herz ist wohl kein Schlehenstein! Der Jägersmann trat ins Häuslein klein
Mit dem armen, armen Mägdlein zu dein Mütterlein.
Nun full den leeren Spind,
Lab die Mutter geschwind!
Bald wird ihr Gott die Kraft verleih»,
Uns als ein Partein fromm zu weihn!
Fein Ännelein, mein Schätzelein,
Die Schlehlein haben harte Stein!
2. Der Bruch
Das Haus dieses Geschwisterkleeblattes hieß dus Müsershaus, und die Be¬
wohner hießen die Müsersleut — vom Großvater her, der aus der „Mus" stammte,
einem einzeln in der Wiese gelegne,? Haus des Nachbarortes Schwarzbach, und
darum der Müser genannt worden war. Die drei ledigen Müsersleut führten
einen guten Haushalt miteinander und hatten sich etliche hundert Thaler gespart.
Die bewahrten sie im Tischkasten auf. Wohlgervllt und eingewickelt stak die Er¬
sparnis hinter einem Wall von Papieren und alten Kalendern, und vor diesem
Wall stand zwischen Petschaft, Schreibzeug, Schreibkaleiider, Rasiermesser und einer
„Sandaner" (der Feiertagsdosc des Großen) ein ans feinen Wurzeln geflochtenes
längliches „Schänzcheu," worin dus Wirtschaftsgeld war. Den Geldschlüssel, d. h.
also den Tischkastenschlüssel, führten die drei Geschwister gemeinschaftlich so, daß ihn
jedes eine Woche behielt. Am Sonntag bei der Morgensuppe legte der Inhaber
den Schlüssel dem Geschwister ans seinen Tischplntz, das für die angetretene Woche
den Verschluß bekam. Alle Einnahmen und Ausgaben konnten nur durch die Hand
des jeweiligen Schlüsselinhabers gehen. — Mndlene und der „Meine" hatten sich
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |