Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.rechtigt sein, zu behaupten, daß uicht mit gutem Willen und gutem Erfolg an der Es wäre sehr bedauerlich, wenn Herr von der Recke und seine jugendlichen Zur Polenfrage. Treitschke begreift den Staat als eine Persönlichkeit mit rechtigt sein, zu behaupten, daß uicht mit gutem Willen und gutem Erfolg an der Es wäre sehr bedauerlich, wenn Herr von der Recke und seine jugendlichen Zur Polenfrage. Treitschke begreift den Staat als eine Persönlichkeit mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227412"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1872" prev="#ID_1871"> rechtigt sein, zu behaupten, daß uicht mit gutem Willen und gutem Erfolg an der<lb/> Besserung gearbeitet werde. Die Hetzereien und Schwatzereien in der Presse und<lb/> sonst dürfen die Polizei durchaus uicht aus der Ruhe bringen, sie müssen sie kalt<lb/> lassen, wenn sie ihr auch die Arbeit erschweren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1873"> Es wäre sehr bedauerlich, wenn Herr von der Recke und seine jugendlichen<lb/> Räte etwa glaubten, nur auf dem Papier ein mustergiltiges „System" anfertigen<lb/> zu müssen, um es zu „erwägen" und „begutachte»" zu lassen, ehe man an die<lb/> praktische Besserung herangeht. Hoffentlich ist Herr von Windheim praktischer, als<lb/> es die Herren Schriftgelehrten zum Teil sind, die nach der heutigen Mode vom<lb/> Assessor bis zum „Wirklichen" ohne oder mit ganz kurzen Unterbrechungen durch<lb/> Gastrollen in der Praxis in den Ministerialbüreaus nur mit der Abfassung<lb/> von Verfügungen und Vorlagen beschäftigt werden. Auch in der „politischen"<lb/> Polizei kann nur die Praxis, nicht das System, nur der Geist, nicht der Buchstabe<lb/> helfen. Bor der Öffentlichkeit verhandelt man ihre Fragen am besten gar nicht.<lb/> Schufte foll man zum Teufel jagen, und auf die Beamtenehre unanständiger Kerls<lb/> verzichten. Dagegen ist die „Organisation" Nebensache. Und was die Berliner<lb/> Schutzmannschaft und ihre Herren Revierlentncmts und Hauptleute betrifft, so ist<lb/> hier am allerwenigsten so ohne weiteres ein Systemwechsel erwünscht. Dieses<lb/> Personal verdient in der Hauptsache fast ausnahmslos das höchste Lob, mögen sich<lb/> anch die Mannschaften äußerlich etwas nnteroffiziermiißig grob und die Leutnants<lb/> etwas offiziermäßig fein aufführen. Die Leute haben eine vorzügliche Disziplin<lb/> in Fleisch und Blut sitzen, und Herr von Windheim kann sie auf Moll und Dur<lb/> stimmen, ganz wie er will. Und auch das sei einmal ausdrücklich hervorgehoben:<lb/> Wer in Berlin den Willen und das Zeug hat, dem Elend, der Armut, der un¬<lb/> verschuldeten Arbeitslosigkeit und allen den traurigen Erscheinungen in der modernen<lb/> Weltstadt ohne Vereinsapparat und Vereinsehrgeiz praktisch abzuhelfen, der wird<lb/> an das gute Herz und die Sach- und Menschenkenntnis der bösen Leute in den<lb/> Pickelhauben niemals vergeblich appelliren, der wird unter ihnen immer die bereitesten<lb/> und brauchbarsten Helfer und Ratgeber finden. Es ist eine große Sünde, den<lb/> Armen und Elenden vorznlugen, daß das anders sei. Wie gesagt, wenn Herr von<lb/> Windheim will, wird es ihm trotz der gehässigen Presse ein Leichtes sein, die Ber¬<lb/> liner Schutzleute in der That zu deu besten der Welt zu macheu. Freilich wird<lb/> dann auch hier die Finanzfrage ernst genommen werden müssen, und dem Herrn<lb/> von der Recke, wenns sein muß, auch Herrn von Miqucl kein Pfennig mehr für<lb/> andre Wünsche bewilligt werden dürfen, bis die Schutzleute die ihrem schweren<lb/> Dienst entsprechenden Gehälter und Erholungspausen zugebilligt erhalten. Hoffent¬<lb/> lich wird der Kaiser Gelegenheit nehmen, sich bald auch einmal selbst um die Ber¬<lb/> liner Polizeifrage zu kümmern, nicht um das System, sondern um die Praxis.<lb/> Dann werden die Herren vom Tintenfaß auf einmal mit dem Abfassen, Erwägen<lb/> und Verhandeln fertig sein und fast so vernünftig arbeiten, wie Herr von Köller<lb/> senior es haben will.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Zur Polenfrage.</head> <p xml:id="ID_1874" next="#ID_1875"> Treitschke begreift den Staat als eine Persönlichkeit mit<lb/> eignem, unbeschränktem Willen, worin auch das wesentliche Merkmal des höchsten<lb/> politischen Gebildes liegt. Leider erfüllt sich bei uns das bekannte englische Sprich¬<lb/> wort nicht; denn trotz des besten Willens hat sich selten ein Weg zur Verwirklichung<lb/> einer politischen Absicht gefunden. Am schlimmsten hat die alte Pvlenfrage darunter<lb/> gelitte». Das eigne Volkstum und dessen Schutz ist stets die schwache Seite aller<lb/> deutschen Politik und aller Deutschen gewesen, die die Frcmdenliebe und den<lb/> Mangel nationalen Stolzes seit Jahrtausenden als Sport betrieben haben. Nach</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0510]
rechtigt sein, zu behaupten, daß uicht mit gutem Willen und gutem Erfolg an der
Besserung gearbeitet werde. Die Hetzereien und Schwatzereien in der Presse und
sonst dürfen die Polizei durchaus uicht aus der Ruhe bringen, sie müssen sie kalt
lassen, wenn sie ihr auch die Arbeit erschweren.
Es wäre sehr bedauerlich, wenn Herr von der Recke und seine jugendlichen
Räte etwa glaubten, nur auf dem Papier ein mustergiltiges „System" anfertigen
zu müssen, um es zu „erwägen" und „begutachte»" zu lassen, ehe man an die
praktische Besserung herangeht. Hoffentlich ist Herr von Windheim praktischer, als
es die Herren Schriftgelehrten zum Teil sind, die nach der heutigen Mode vom
Assessor bis zum „Wirklichen" ohne oder mit ganz kurzen Unterbrechungen durch
Gastrollen in der Praxis in den Ministerialbüreaus nur mit der Abfassung
von Verfügungen und Vorlagen beschäftigt werden. Auch in der „politischen"
Polizei kann nur die Praxis, nicht das System, nur der Geist, nicht der Buchstabe
helfen. Bor der Öffentlichkeit verhandelt man ihre Fragen am besten gar nicht.
Schufte foll man zum Teufel jagen, und auf die Beamtenehre unanständiger Kerls
verzichten. Dagegen ist die „Organisation" Nebensache. Und was die Berliner
Schutzmannschaft und ihre Herren Revierlentncmts und Hauptleute betrifft, so ist
hier am allerwenigsten so ohne weiteres ein Systemwechsel erwünscht. Dieses
Personal verdient in der Hauptsache fast ausnahmslos das höchste Lob, mögen sich
anch die Mannschaften äußerlich etwas nnteroffiziermiißig grob und die Leutnants
etwas offiziermäßig fein aufführen. Die Leute haben eine vorzügliche Disziplin
in Fleisch und Blut sitzen, und Herr von Windheim kann sie auf Moll und Dur
stimmen, ganz wie er will. Und auch das sei einmal ausdrücklich hervorgehoben:
Wer in Berlin den Willen und das Zeug hat, dem Elend, der Armut, der un¬
verschuldeten Arbeitslosigkeit und allen den traurigen Erscheinungen in der modernen
Weltstadt ohne Vereinsapparat und Vereinsehrgeiz praktisch abzuhelfen, der wird
an das gute Herz und die Sach- und Menschenkenntnis der bösen Leute in den
Pickelhauben niemals vergeblich appelliren, der wird unter ihnen immer die bereitesten
und brauchbarsten Helfer und Ratgeber finden. Es ist eine große Sünde, den
Armen und Elenden vorznlugen, daß das anders sei. Wie gesagt, wenn Herr von
Windheim will, wird es ihm trotz der gehässigen Presse ein Leichtes sein, die Ber¬
liner Schutzleute in der That zu deu besten der Welt zu macheu. Freilich wird
dann auch hier die Finanzfrage ernst genommen werden müssen, und dem Herrn
von der Recke, wenns sein muß, auch Herrn von Miqucl kein Pfennig mehr für
andre Wünsche bewilligt werden dürfen, bis die Schutzleute die ihrem schweren
Dienst entsprechenden Gehälter und Erholungspausen zugebilligt erhalten. Hoffent¬
lich wird der Kaiser Gelegenheit nehmen, sich bald auch einmal selbst um die Ber¬
liner Polizeifrage zu kümmern, nicht um das System, sondern um die Praxis.
Dann werden die Herren vom Tintenfaß auf einmal mit dem Abfassen, Erwägen
und Verhandeln fertig sein und fast so vernünftig arbeiten, wie Herr von Köller
senior es haben will.
Zur Polenfrage. Treitschke begreift den Staat als eine Persönlichkeit mit
eignem, unbeschränktem Willen, worin auch das wesentliche Merkmal des höchsten
politischen Gebildes liegt. Leider erfüllt sich bei uns das bekannte englische Sprich¬
wort nicht; denn trotz des besten Willens hat sich selten ein Weg zur Verwirklichung
einer politischen Absicht gefunden. Am schlimmsten hat die alte Pvlenfrage darunter
gelitte». Das eigne Volkstum und dessen Schutz ist stets die schwache Seite aller
deutschen Politik und aller Deutschen gewesen, die die Frcmdenliebe und den
Mangel nationalen Stolzes seit Jahrtausenden als Sport betrieben haben. Nach
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