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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Manchem Leser, der nicht viel über ostasiatische Verhältnisse weiß, werden
vielleicht Zweifel darüber kommen, ob diese kaltblütige Verteilung des himm¬
lischen Reiches aus dem Papier nicht ein abenteuerliches Hirngespinst sei.
Jeder Kenner der Verhältnisse wird zugeben, daß sie das keineswegs ist, sondern
daß sie durchaus im Bereiche der Möglichkeit liegt. China ist schwerlich noch
fähig, sich aus sich selbst heraus zu reformiren. Andrerseits kann es trotz
seiner ungezählten Millionen dem Abendlande nicht annähernd einen solchen
Widerstand entgegensetzen, wie das in ähnlicher Lage befindliche kriegstüchtige
Türkenvolk.

Das einzige, was man dafür sagen könnte, Europa solle lieber die Hände
von diesem Unternehmen lassen, ist, daß kein Mensch imstande ist, die Folgen
einer so gewaltigen Umwälzung vorherzusehen. Einige ausgezeichnete Kenner
Chinas, wie unser früherer Gesandter in Peking. Herr von Brandt, meinen,
es könnten daraus manche schwere wirtschaftliche Nachteile für das Abendland
entstehen. Unmöglich ist das nicht, aber das Geschick läßt sich durch solche
Erwägungen nicht aufhalten. Die Dinge sind einmal in Fluß. Da ist es
für eine große, in Ostasien stark interessirte Macht wie Deutschland der einzig
richtige und würdige Standpunkt, der Lage entschlossen ins Gesicht zu sehen.
Hoffentlich greift unsre Regierung fest zu. wenn es an der Zeit ist, in China
noch mehr zu holen. In einem weitern Artikel gedenken wir die Lage der
christlichen Mission im Reiche der Mitte und die wahrscheinlichen Folgen des
deutschen Vorgehens für sie zu besprechen.




Madlene Z. l?. Löffler Erzählung aus dem oberfränkischen Volksleben von
I.. In? ^Uüsershaus

es frei'! Su thuts nimma gut, seufzte Madlene. -- Woh is denn
mei sogen? brummte der "Kleine." Der "Große" saß hinter dem
Webstuhl und zog bei diesen Worte" die Weblade einigemal so
heftig um, daß von dem groben Zettel etliche Fäden rissen.

Der "Kleine" war vor einundzwanzig Jahren allerdings sehr
klein gewesen dem "Großen" gegenüber; aber mit seinem vierzehnten
e war er ins Schieben gekommen, und jetzt überragte er den "Großen" fast
,^'Pfs Länge. Er hieß aber immer der Kleine, und dieser der Große.
e"e, im sechsnndzwnnzigsten Jahre, war ein ivvhlgestaltctes Mädchen mit


Manchem Leser, der nicht viel über ostasiatische Verhältnisse weiß, werden
vielleicht Zweifel darüber kommen, ob diese kaltblütige Verteilung des himm¬
lischen Reiches aus dem Papier nicht ein abenteuerliches Hirngespinst sei.
Jeder Kenner der Verhältnisse wird zugeben, daß sie das keineswegs ist, sondern
daß sie durchaus im Bereiche der Möglichkeit liegt. China ist schwerlich noch
fähig, sich aus sich selbst heraus zu reformiren. Andrerseits kann es trotz
seiner ungezählten Millionen dem Abendlande nicht annähernd einen solchen
Widerstand entgegensetzen, wie das in ähnlicher Lage befindliche kriegstüchtige
Türkenvolk.

Das einzige, was man dafür sagen könnte, Europa solle lieber die Hände
von diesem Unternehmen lassen, ist, daß kein Mensch imstande ist, die Folgen
einer so gewaltigen Umwälzung vorherzusehen. Einige ausgezeichnete Kenner
Chinas, wie unser früherer Gesandter in Peking. Herr von Brandt, meinen,
es könnten daraus manche schwere wirtschaftliche Nachteile für das Abendland
entstehen. Unmöglich ist das nicht, aber das Geschick läßt sich durch solche
Erwägungen nicht aufhalten. Die Dinge sind einmal in Fluß. Da ist es
für eine große, in Ostasien stark interessirte Macht wie Deutschland der einzig
richtige und würdige Standpunkt, der Lage entschlossen ins Gesicht zu sehen.
Hoffentlich greift unsre Regierung fest zu. wenn es an der Zeit ist, in China
noch mehr zu holen. In einem weitern Artikel gedenken wir die Lage der
christlichen Mission im Reiche der Mitte und die wahrscheinlichen Folgen des
deutschen Vorgehens für sie zu besprechen.




Madlene Z. l?. Löffler Erzählung aus dem oberfränkischen Volksleben von
I.. In? ^Uüsershaus

es frei'! Su thuts nimma gut, seufzte Madlene. — Woh is denn
mei sogen? brummte der „Kleine." Der „Große" saß hinter dem
Webstuhl und zog bei diesen Worte» die Weblade einigemal so
heftig um, daß von dem groben Zettel etliche Fäden rissen.

Der „Kleine" war vor einundzwanzig Jahren allerdings sehr
klein gewesen dem „Großen" gegenüber; aber mit seinem vierzehnten
e war er ins Schieben gekommen, und jetzt überragte er den „Großen" fast
,^'Pfs Länge. Er hieß aber immer der Kleine, und dieser der Große.
e"e, im sechsnndzwnnzigsten Jahre, war ein ivvhlgestaltctes Mädchen mit


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[0047] Manchem Leser, der nicht viel über ostasiatische Verhältnisse weiß, werden vielleicht Zweifel darüber kommen, ob diese kaltblütige Verteilung des himm¬ lischen Reiches aus dem Papier nicht ein abenteuerliches Hirngespinst sei. Jeder Kenner der Verhältnisse wird zugeben, daß sie das keineswegs ist, sondern daß sie durchaus im Bereiche der Möglichkeit liegt. China ist schwerlich noch fähig, sich aus sich selbst heraus zu reformiren. Andrerseits kann es trotz seiner ungezählten Millionen dem Abendlande nicht annähernd einen solchen Widerstand entgegensetzen, wie das in ähnlicher Lage befindliche kriegstüchtige Türkenvolk. Das einzige, was man dafür sagen könnte, Europa solle lieber die Hände von diesem Unternehmen lassen, ist, daß kein Mensch imstande ist, die Folgen einer so gewaltigen Umwälzung vorherzusehen. Einige ausgezeichnete Kenner Chinas, wie unser früherer Gesandter in Peking. Herr von Brandt, meinen, es könnten daraus manche schwere wirtschaftliche Nachteile für das Abendland entstehen. Unmöglich ist das nicht, aber das Geschick läßt sich durch solche Erwägungen nicht aufhalten. Die Dinge sind einmal in Fluß. Da ist es für eine große, in Ostasien stark interessirte Macht wie Deutschland der einzig richtige und würdige Standpunkt, der Lage entschlossen ins Gesicht zu sehen. Hoffentlich greift unsre Regierung fest zu. wenn es an der Zeit ist, in China noch mehr zu holen. In einem weitern Artikel gedenken wir die Lage der christlichen Mission im Reiche der Mitte und die wahrscheinlichen Folgen des deutschen Vorgehens für sie zu besprechen. Madlene Z. l?. Löffler Erzählung aus dem oberfränkischen Volksleben von I.. In? ^Uüsershaus es frei'! Su thuts nimma gut, seufzte Madlene. — Woh is denn mei sogen? brummte der „Kleine." Der „Große" saß hinter dem Webstuhl und zog bei diesen Worte» die Weblade einigemal so heftig um, daß von dem groben Zettel etliche Fäden rissen. Der „Kleine" war vor einundzwanzig Jahren allerdings sehr klein gewesen dem „Großen" gegenüber; aber mit seinem vierzehnten e war er ins Schieben gekommen, und jetzt überragte er den „Großen" fast ,^'Pfs Länge. Er hieß aber immer der Kleine, und dieser der Große. e"e, im sechsnndzwnnzigsten Jahre, war ein ivvhlgestaltctes Mädchen mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/47>, abgerufen am 05.01.2025.