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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Madlene

derselben Stufe, die wir z. B. auf Mosaiken in der Kirche Santa Costanza,
dem Grabmal der Tochter Kaiser Konstantins des Großen, vor den Mauern
Roms kennen lernen.

(Schlusz folgt)




Madlene Löffler Erzählung aus dem oberfränkischen Volksleben von
(Fortsetzung"
9. Die Äpfel der Idun

er Türkendres! Der Türkendres! Auf allen Zungen saß er, ans
jedem Dachziegel. In Stall und Scheune, am Tisch und im Bett,
auf dem Holzweg und dem Kirchweg, in Flur und Wald, überall
der Türkendres, Wem: eine Großmutter in der Dämmerung die
Zunderschachtel auf den Tisch stellte und nach Herzenslust Feuer
zu schlagen begann, fuhr sie gewiß nach jedem dritten oder vierten
Schlag herum: Wie? der Türkendres? -- oder: Ha freilich! der Türkendres!
Und wenn die Hausfrau, Tochter oder Magd auf dem Melkschemel saß und den
Kopf in die Weiche der Kuh drückte, wurde das Milchzischen oft unterbrochen von
einem: Mit dem Türkendres! kann sein! oder von einem: Der Türkendres hats
gesagt! Am Tng reinem die Spatzen ihr Lied auf "Türkendres!", und
nachts hatten die Trüume "Kotzen und Korbe" voll Türkendresen auszuschütten.
Wenn der Wind durch selbige Gegend strich, ward er mit Türkendresen geschwängert,
daß sie aus der Luft purzelten wie Heuschrecken in der Wüste. Aber der leibhaftige
Türkendres war über alle Berge. -- Nächste Woche kommt er wieder. -- Hundert¬
tausend hätt er. -- Er wär wieder nach Wien. -- Er hätt einen Juden er¬
schlagen. -- Die Müsers-Mndlene hatt er mitnehmen wolln. -- Das große Los
soll 'der Türkendres gewonnen Halm. -- Das Müsersmädle dacht, sie hätt den
Türkendresen schon an allen vier Zipfeln, die dumme Tautel! -- Er bleus mit
dem Teufel. -- Ju Wien that er eine Vornehme frein. -- Der Türkendres hatt
einen Höllenzwang. -- Er käm wieder; in vier Wochen war Hiegabet") mit der
Müscrs-Madlene.'

Das Dörflein konnte nicht wieder zur Ruhe kommen, so war es durch den
Türkendres in Aufregung geraten.

Aber zwei gingen dnrch dieses Geschwirr, als wäre es nichts. Hohen Hauptes
und vollen Herzens hatten sie nicht Raum für Wind und Klatsch. Ein Kleinod
leuchtete ihnen aus der Zukunft entgegen, so funkelnd und prächtig aus dem
Lüuternngsfeuer hervorgegangen, daß die gärende Welt ringsherum in dumpfen
Schatten gestellt wurde. Und es blinkte und blitzte in diese beiden Seelen hinein,



^) Verlobung.
Madlene

derselben Stufe, die wir z. B. auf Mosaiken in der Kirche Santa Costanza,
dem Grabmal der Tochter Kaiser Konstantins des Großen, vor den Mauern
Roms kennen lernen.

(Schlusz folgt)




Madlene Löffler Erzählung aus dem oberfränkischen Volksleben von
(Fortsetzung»
9. Die Äpfel der Idun

er Türkendres! Der Türkendres! Auf allen Zungen saß er, ans
jedem Dachziegel. In Stall und Scheune, am Tisch und im Bett,
auf dem Holzweg und dem Kirchweg, in Flur und Wald, überall
der Türkendres, Wem: eine Großmutter in der Dämmerung die
Zunderschachtel auf den Tisch stellte und nach Herzenslust Feuer
zu schlagen begann, fuhr sie gewiß nach jedem dritten oder vierten
Schlag herum: Wie? der Türkendres? — oder: Ha freilich! der Türkendres!
Und wenn die Hausfrau, Tochter oder Magd auf dem Melkschemel saß und den
Kopf in die Weiche der Kuh drückte, wurde das Milchzischen oft unterbrochen von
einem: Mit dem Türkendres! kann sein! oder von einem: Der Türkendres hats
gesagt! Am Tng reinem die Spatzen ihr Lied auf „Türkendres!", und
nachts hatten die Trüume „Kotzen und Korbe" voll Türkendresen auszuschütten.
Wenn der Wind durch selbige Gegend strich, ward er mit Türkendresen geschwängert,
daß sie aus der Luft purzelten wie Heuschrecken in der Wüste. Aber der leibhaftige
Türkendres war über alle Berge. — Nächste Woche kommt er wieder. — Hundert¬
tausend hätt er. — Er wär wieder nach Wien. — Er hätt einen Juden er¬
schlagen. — Die Müsers-Mndlene hatt er mitnehmen wolln. — Das große Los
soll 'der Türkendres gewonnen Halm. — Das Müsersmädle dacht, sie hätt den
Türkendresen schon an allen vier Zipfeln, die dumme Tautel! — Er bleus mit
dem Teufel. — Ju Wien that er eine Vornehme frein. — Der Türkendres hatt
einen Höllenzwang. — Er käm wieder; in vier Wochen war Hiegabet") mit der
Müscrs-Madlene.'

Das Dörflein konnte nicht wieder zur Ruhe kommen, so war es durch den
Türkendres in Aufregung geraten.

Aber zwei gingen dnrch dieses Geschwirr, als wäre es nichts. Hohen Hauptes
und vollen Herzens hatten sie nicht Raum für Wind und Klatsch. Ein Kleinod
leuchtete ihnen aus der Zukunft entgegen, so funkelnd und prächtig aus dem
Lüuternngsfeuer hervorgegangen, daß die gärende Welt ringsherum in dumpfen
Schatten gestellt wurde. Und es blinkte und blitzte in diese beiden Seelen hinein,



^) Verlobung.
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[0449] Madlene derselben Stufe, die wir z. B. auf Mosaiken in der Kirche Santa Costanza, dem Grabmal der Tochter Kaiser Konstantins des Großen, vor den Mauern Roms kennen lernen. (Schlusz folgt) Madlene Löffler Erzählung aus dem oberfränkischen Volksleben von (Fortsetzung» 9. Die Äpfel der Idun er Türkendres! Der Türkendres! Auf allen Zungen saß er, ans jedem Dachziegel. In Stall und Scheune, am Tisch und im Bett, auf dem Holzweg und dem Kirchweg, in Flur und Wald, überall der Türkendres, Wem: eine Großmutter in der Dämmerung die Zunderschachtel auf den Tisch stellte und nach Herzenslust Feuer zu schlagen begann, fuhr sie gewiß nach jedem dritten oder vierten Schlag herum: Wie? der Türkendres? — oder: Ha freilich! der Türkendres! Und wenn die Hausfrau, Tochter oder Magd auf dem Melkschemel saß und den Kopf in die Weiche der Kuh drückte, wurde das Milchzischen oft unterbrochen von einem: Mit dem Türkendres! kann sein! oder von einem: Der Türkendres hats gesagt! Am Tng reinem die Spatzen ihr Lied auf „Türkendres!", und nachts hatten die Trüume „Kotzen und Korbe" voll Türkendresen auszuschütten. Wenn der Wind durch selbige Gegend strich, ward er mit Türkendresen geschwängert, daß sie aus der Luft purzelten wie Heuschrecken in der Wüste. Aber der leibhaftige Türkendres war über alle Berge. — Nächste Woche kommt er wieder. — Hundert¬ tausend hätt er. — Er wär wieder nach Wien. — Er hätt einen Juden er¬ schlagen. — Die Müsers-Mndlene hatt er mitnehmen wolln. — Das große Los soll 'der Türkendres gewonnen Halm. — Das Müsersmädle dacht, sie hätt den Türkendresen schon an allen vier Zipfeln, die dumme Tautel! — Er bleus mit dem Teufel. — Ju Wien that er eine Vornehme frein. — Der Türkendres hatt einen Höllenzwang. — Er käm wieder; in vier Wochen war Hiegabet") mit der Müscrs-Madlene.' Das Dörflein konnte nicht wieder zur Ruhe kommen, so war es durch den Türkendres in Aufregung geraten. Aber zwei gingen dnrch dieses Geschwirr, als wäre es nichts. Hohen Hauptes und vollen Herzens hatten sie nicht Raum für Wind und Klatsch. Ein Kleinod leuchtete ihnen aus der Zukunft entgegen, so funkelnd und prächtig aus dem Lüuternngsfeuer hervorgegangen, daß die gärende Welt ringsherum in dumpfen Schatten gestellt wurde. Und es blinkte und blitzte in diese beiden Seelen hinein, ^) Verlobung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/449>, abgerufen am 05.01.2025.