Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Erwin Rohde. In der Nacht vom 1V. zum 11. Januar ist unerwartet Achilleus und Kerberos. Es war aus dem Berliner Kongreß. Gras Maßgebliches und Unmaßgebliches Erwin Rohde. In der Nacht vom 1V. zum 11. Januar ist unerwartet Achilleus und Kerberos. Es war aus dem Berliner Kongreß. Gras <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227240"/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Erwin Rohde.</head> <p xml:id="ID_1162"> In der Nacht vom 1V. zum 11. Januar ist unerwartet<lb/> Erwin Rohde, Professor der klassischen Philologie an der Universität Heidelberg,<lb/> einem Herzschlag erlegen. Er gehörte zu den Gelehrten, die nicht nur für Fach¬<lb/> genossen schreiben, sondern alle Gebildeten zu fesseln verstehen. Es liegt dies an<lb/> den Stoffen, denen er sich zuwandte, wie an der Leichtigkeit, mit der er das<lb/> Rüstzeug schwerer Gelehrsamkeit und methodischer Forschung handhabte. Seine<lb/> Hauptwerke siud: „Der griechische Roman und seine Vorläufer" (Leipzig, 137V),<lb/> „Psyche, Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen" (Freiburg, 1394),<lb/> „Friedr. Creuzer und Karoline von Günderode" (Heidelberg, 1396). Aber auch<lb/> viele seiner kleinern Arbeiten, in Zeitschriften zerstreut, habe» eine Bedeutung, wie<lb/> sie derartige Aufsätze uicht häufig in Anspruch nehmen dürfen. Die „Psyche" ist<lb/> ein klassisches Werk, das seinem Namen Unsterblichkeit sichert, es sei denn, daß<lb/> unsre Wissenschaft unterginge und unsre Kultur, die auch heute ihre Wurzeln noch<lb/> tiefer ius Helleuentum geschlagen hat, als viele ahnen oder zugeben wollen. Ein<lb/> weites Gebiet ist hier zum erstenmal aufgehellt worden, Zusammenhange der spätern<lb/> Zeit mit der einsam aus der Vergangenheit ragenden homerischen Welt werden erkannt,<lb/> und rückwärts wird Licht geworfen in die wallenden Nebel der vorhomerischen Zeit,<lb/> die trügerisch den Blick verwirrten und sichere Erkenntnis für immer auszuschließen<lb/> schienen. Und in künstlerisch vollendeter Darstellung und Sprache hat der Entdecker<lb/> die Resultate besonnenster Forschung verkündet. Rohde ist nur zweiundfünfzig Jahre<lb/> alt geworden. Er hatte noch viel zu sagen und zu geben, was keiner so wie er<lb/> geben konnte. Einen engern Kreis hat ebenso tiefes Weh ergriffen, wie es vor<lb/> kurzem viele faßte, als Heinrich von Treitschke die Augen schloß. Vornehm und<lb/> selbstbewußt ging er seinen Weg, seit Nietzsche sich von seiner Seite riß, auch<lb/> einsam. Er konnte, er wollte vielleicht auch keinen Ersatz finden für den Verlust,<lb/> der ihn nicht plötzlich traf; er sah den Freund zum Abgrund taumeln, er versuchte<lb/> ihn zu halten, ward zurückgestoßen, in ungeahnter Schrecklichkeit traf jenen die<lb/> Vernichtung, und dem andern blieb die nie geheilte Wunde. Früh hat auch ihn<lb/> das Schicksal hingerafft, doch nicht umsonst hat er gelebt; was er geschaffen hat,<lb/><note type="byline"> p. Se.</note> wird weiter wirken, noch tibersieht niemand, wie weit. </p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Achilleus und Kerberos.</head> <p xml:id="ID_1163" next="#ID_1164"> Es war aus dem Berliner Kongreß. Gras<lb/> Schuwalow hielt eben einen Vortrag, in dem er die Forderungen des russischen<lb/> Kabinetts entwickelte: als sich plötzlich Lord Beaeonsfield erhob, dem russischen<lb/> Bevollmttchtigteu mit eiuer kurzen und gebieterischen Geberde das Wort abschnitt<lb/> und mit erhabner Stimme rief: yuesoi KÄisös Lollei! — wozu die beiden andern<lb/> Vertreter Englands, der Marquis von Salisbury und Lord Ampthill, mit. dem<lb/> Kopfe nickten. Aber nußer ihnen wußte niemand, was Lord Beaeonsfield eigentlich<lb/> gesagt hatte. Wie einmal ein ostpreußischer Gutsbesitzer in einem Berliner Gasthofe<lb/> den Kellner rief und sagte: Schicken Sie mal die Margell rauf, daß sie mit dem<lb/> Kodder kommt, ich habe den Schuaut verschwaddert! — und der Kellner zum<lb/> Besitzer lief und meinte, es sei ein Herr oben, der spreche wohl Deutsch, aber es<lb/> könne ihn keiner verstehn: so schien Lord Beaeonsfield Wohl englisch zu sprechen,<lb/> aber der Kongreß konnte ihn nicht verstehn. Graf Schuwalow war außer Stande,<lb/> seine Rede fortzusetzen, Fürst Gortschakow blieb sprachlos, und Fürst Vismarck mußte<lb/> die Sitzung aufheben. Erst am Abend beim Diner ergab es sich,^ daß Lord</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0338]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Erwin Rohde. In der Nacht vom 1V. zum 11. Januar ist unerwartet
Erwin Rohde, Professor der klassischen Philologie an der Universität Heidelberg,
einem Herzschlag erlegen. Er gehörte zu den Gelehrten, die nicht nur für Fach¬
genossen schreiben, sondern alle Gebildeten zu fesseln verstehen. Es liegt dies an
den Stoffen, denen er sich zuwandte, wie an der Leichtigkeit, mit der er das
Rüstzeug schwerer Gelehrsamkeit und methodischer Forschung handhabte. Seine
Hauptwerke siud: „Der griechische Roman und seine Vorläufer" (Leipzig, 137V),
„Psyche, Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen" (Freiburg, 1394),
„Friedr. Creuzer und Karoline von Günderode" (Heidelberg, 1396). Aber auch
viele seiner kleinern Arbeiten, in Zeitschriften zerstreut, habe» eine Bedeutung, wie
sie derartige Aufsätze uicht häufig in Anspruch nehmen dürfen. Die „Psyche" ist
ein klassisches Werk, das seinem Namen Unsterblichkeit sichert, es sei denn, daß
unsre Wissenschaft unterginge und unsre Kultur, die auch heute ihre Wurzeln noch
tiefer ius Helleuentum geschlagen hat, als viele ahnen oder zugeben wollen. Ein
weites Gebiet ist hier zum erstenmal aufgehellt worden, Zusammenhange der spätern
Zeit mit der einsam aus der Vergangenheit ragenden homerischen Welt werden erkannt,
und rückwärts wird Licht geworfen in die wallenden Nebel der vorhomerischen Zeit,
die trügerisch den Blick verwirrten und sichere Erkenntnis für immer auszuschließen
schienen. Und in künstlerisch vollendeter Darstellung und Sprache hat der Entdecker
die Resultate besonnenster Forschung verkündet. Rohde ist nur zweiundfünfzig Jahre
alt geworden. Er hatte noch viel zu sagen und zu geben, was keiner so wie er
geben konnte. Einen engern Kreis hat ebenso tiefes Weh ergriffen, wie es vor
kurzem viele faßte, als Heinrich von Treitschke die Augen schloß. Vornehm und
selbstbewußt ging er seinen Weg, seit Nietzsche sich von seiner Seite riß, auch
einsam. Er konnte, er wollte vielleicht auch keinen Ersatz finden für den Verlust,
der ihn nicht plötzlich traf; er sah den Freund zum Abgrund taumeln, er versuchte
ihn zu halten, ward zurückgestoßen, in ungeahnter Schrecklichkeit traf jenen die
Vernichtung, und dem andern blieb die nie geheilte Wunde. Früh hat auch ihn
das Schicksal hingerafft, doch nicht umsonst hat er gelebt; was er geschaffen hat,
p. Se. wird weiter wirken, noch tibersieht niemand, wie weit.
Achilleus und Kerberos. Es war aus dem Berliner Kongreß. Gras
Schuwalow hielt eben einen Vortrag, in dem er die Forderungen des russischen
Kabinetts entwickelte: als sich plötzlich Lord Beaeonsfield erhob, dem russischen
Bevollmttchtigteu mit eiuer kurzen und gebieterischen Geberde das Wort abschnitt
und mit erhabner Stimme rief: yuesoi KÄisös Lollei! — wozu die beiden andern
Vertreter Englands, der Marquis von Salisbury und Lord Ampthill, mit. dem
Kopfe nickten. Aber nußer ihnen wußte niemand, was Lord Beaeonsfield eigentlich
gesagt hatte. Wie einmal ein ostpreußischer Gutsbesitzer in einem Berliner Gasthofe
den Kellner rief und sagte: Schicken Sie mal die Margell rauf, daß sie mit dem
Kodder kommt, ich habe den Schuaut verschwaddert! — und der Kellner zum
Besitzer lief und meinte, es sei ein Herr oben, der spreche wohl Deutsch, aber es
könne ihn keiner verstehn: so schien Lord Beaeonsfield Wohl englisch zu sprechen,
aber der Kongreß konnte ihn nicht verstehn. Graf Schuwalow war außer Stande,
seine Rede fortzusetzen, Fürst Gortschakow blieb sprachlos, und Fürst Vismarck mußte
die Sitzung aufheben. Erst am Abend beim Diner ergab es sich,^ daß Lord
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