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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Vom guten Geschmack und vom gesunden Menschenverstand

So kann man ein großer Biologe sein, ohne vom Recht und von der
Volkswirtschaft etwas zu verstehen, und so hat sich denn der Übersetzer dieser
drei Essays eine recht überflüssige Mühe gemacht. Auf die übrigen vier, die
wirklich wertvolle Gedanken enthalten, kommen wir vielleicht bei einer andern
Gelegenheit zurück.




Vom guten Geschmack und vom gesunden Menschen¬
verstand

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WMn der von Kapitän Lemuel Gulliver entdeckten und von Seiner
Ehrwürden dem Dechanten Jonathan Swift zuerst beschriebnen
gelehrten Landschaft Laputa lebte in neuern Zeiten ein weiser
Meister, einer von denen, die uns täglich den innern Sinn be¬
freien, während ihnen selbst "erträglich der Leib gedeiht," und
zu dessen Lehrstuhl die Jünger von nah und fern strömten. Der Meister
lehrte vor allen Dingen eine Wissenschaft, die er die "Analysis der unendlichen
Perfektibilität" nannte, und in der er den klaren Beweis führte, daß nicht nur
alles Menschliche in einem fortwährenden Fortschritt begriffen sei, sondern
auch die steigende Vergeistigung des Menschen nach und nach eine gute Zahl
grober und roher Glieder und Werkzeuge des Menschenlcibs vollständig ent¬
behrlich machen würde. Und da es gewiß sei, daß der Zukunftsmcnsch den
Weltraum im Fluge durchschneiden, keiner Beine bedürfen werde, da bei der
künftigen Ernährung dnrch wundersame Elixire und kostbare Tropfen die Zähne,
die ohnehin eine fatale Erinnerung an die Verwandtschaft mit dem Affen und
dem Raubtier sind, für überflüssig gelten würden, da es nicht ausgeschlossen
sei, daß sich der Mensch der Unsterblichkeit um so viel nähere, als er unbrauch¬
bare Leiblichkeit los werden könne, so eröffneten sich sür das kommende Jahr¬
hundert gleichsam neue Himmel. Diese Verheißungen vernahmen die Schüler
mit immer wachsendem Wohlgefallen, sie sahen von der Höhe ihres Selbst¬
bewußtseins verächtlich auf die Zweifler herab, lächelten täglich geheimnisvoller,
behielten aber hübsch ihre Beine wie ihre Zähne. Nur einer von ihnen, ein
enthusiastischer Bursche, wurde von dem Gefühl überwältigt, daß zur Ver¬
wirklichung so idealer Zuknnftsaussichten einmal ein Anfang gemacht werden
müßte, ging hin, ließ sich die Beine amputiren und die Zähne sanft ausziehen.
Als er nach langem Krankenlager mit schönpolirten Stelzfüßen und einem
perlmntterglcinzenden Gebiß vor dem Meister und seinen Gesellen wieder


Vom guten Geschmack und vom gesunden Menschenverstand

So kann man ein großer Biologe sein, ohne vom Recht und von der
Volkswirtschaft etwas zu verstehen, und so hat sich denn der Übersetzer dieser
drei Essays eine recht überflüssige Mühe gemacht. Auf die übrigen vier, die
wirklich wertvolle Gedanken enthalten, kommen wir vielleicht bei einer andern
Gelegenheit zurück.




Vom guten Geschmack und vom gesunden Menschen¬
verstand

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WMn der von Kapitän Lemuel Gulliver entdeckten und von Seiner
Ehrwürden dem Dechanten Jonathan Swift zuerst beschriebnen
gelehrten Landschaft Laputa lebte in neuern Zeiten ein weiser
Meister, einer von denen, die uns täglich den innern Sinn be¬
freien, während ihnen selbst „erträglich der Leib gedeiht," und
zu dessen Lehrstuhl die Jünger von nah und fern strömten. Der Meister
lehrte vor allen Dingen eine Wissenschaft, die er die „Analysis der unendlichen
Perfektibilität" nannte, und in der er den klaren Beweis führte, daß nicht nur
alles Menschliche in einem fortwährenden Fortschritt begriffen sei, sondern
auch die steigende Vergeistigung des Menschen nach und nach eine gute Zahl
grober und roher Glieder und Werkzeuge des Menschenlcibs vollständig ent¬
behrlich machen würde. Und da es gewiß sei, daß der Zukunftsmcnsch den
Weltraum im Fluge durchschneiden, keiner Beine bedürfen werde, da bei der
künftigen Ernährung dnrch wundersame Elixire und kostbare Tropfen die Zähne,
die ohnehin eine fatale Erinnerung an die Verwandtschaft mit dem Affen und
dem Raubtier sind, für überflüssig gelten würden, da es nicht ausgeschlossen
sei, daß sich der Mensch der Unsterblichkeit um so viel nähere, als er unbrauch¬
bare Leiblichkeit los werden könne, so eröffneten sich sür das kommende Jahr¬
hundert gleichsam neue Himmel. Diese Verheißungen vernahmen die Schüler
mit immer wachsendem Wohlgefallen, sie sahen von der Höhe ihres Selbst¬
bewußtseins verächtlich auf die Zweifler herab, lächelten täglich geheimnisvoller,
behielten aber hübsch ihre Beine wie ihre Zähne. Nur einer von ihnen, ein
enthusiastischer Bursche, wurde von dem Gefühl überwältigt, daß zur Ver¬
wirklichung so idealer Zuknnftsaussichten einmal ein Anfang gemacht werden
müßte, ging hin, ließ sich die Beine amputiren und die Zähne sanft ausziehen.
Als er nach langem Krankenlager mit schönpolirten Stelzfüßen und einem
perlmntterglcinzenden Gebiß vor dem Meister und seinen Gesellen wieder


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[0028] Vom guten Geschmack und vom gesunden Menschenverstand So kann man ein großer Biologe sein, ohne vom Recht und von der Volkswirtschaft etwas zu verstehen, und so hat sich denn der Übersetzer dieser drei Essays eine recht überflüssige Mühe gemacht. Auf die übrigen vier, die wirklich wertvolle Gedanken enthalten, kommen wir vielleicht bei einer andern Gelegenheit zurück. Vom guten Geschmack und vom gesunden Menschen¬ verstand UMMK!??fiAU«i»K WMn der von Kapitän Lemuel Gulliver entdeckten und von Seiner Ehrwürden dem Dechanten Jonathan Swift zuerst beschriebnen gelehrten Landschaft Laputa lebte in neuern Zeiten ein weiser Meister, einer von denen, die uns täglich den innern Sinn be¬ freien, während ihnen selbst „erträglich der Leib gedeiht," und zu dessen Lehrstuhl die Jünger von nah und fern strömten. Der Meister lehrte vor allen Dingen eine Wissenschaft, die er die „Analysis der unendlichen Perfektibilität" nannte, und in der er den klaren Beweis führte, daß nicht nur alles Menschliche in einem fortwährenden Fortschritt begriffen sei, sondern auch die steigende Vergeistigung des Menschen nach und nach eine gute Zahl grober und roher Glieder und Werkzeuge des Menschenlcibs vollständig ent¬ behrlich machen würde. Und da es gewiß sei, daß der Zukunftsmcnsch den Weltraum im Fluge durchschneiden, keiner Beine bedürfen werde, da bei der künftigen Ernährung dnrch wundersame Elixire und kostbare Tropfen die Zähne, die ohnehin eine fatale Erinnerung an die Verwandtschaft mit dem Affen und dem Raubtier sind, für überflüssig gelten würden, da es nicht ausgeschlossen sei, daß sich der Mensch der Unsterblichkeit um so viel nähere, als er unbrauch¬ bare Leiblichkeit los werden könne, so eröffneten sich sür das kommende Jahr¬ hundert gleichsam neue Himmel. Diese Verheißungen vernahmen die Schüler mit immer wachsendem Wohlgefallen, sie sahen von der Höhe ihres Selbst¬ bewußtseins verächtlich auf die Zweifler herab, lächelten täglich geheimnisvoller, behielten aber hübsch ihre Beine wie ihre Zähne. Nur einer von ihnen, ein enthusiastischer Bursche, wurde von dem Gefühl überwältigt, daß zur Ver¬ wirklichung so idealer Zuknnftsaussichten einmal ein Anfang gemacht werden müßte, ging hin, ließ sich die Beine amputiren und die Zähne sanft ausziehen. Als er nach langem Krankenlager mit schönpolirten Stelzfüßen und einem perlmntterglcinzenden Gebiß vor dem Meister und seinen Gesellen wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/28>, abgerufen am 05.01.2025.