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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform des Postpaketportos

So ist denn die politische Geschichte des Reichslands um ein wohlgemeintes,
aber nutzloses und gefährliches Experiment bereichert worden. Es ist nicht
das erste. Wann werden wir endlich die allein frommeude Verwaltungspolitik
erhalten? Eine Politik ist damit gemeint, die den Landesausschuß und die
obern Tausend höflich, aber als das behandelt, was sie sind, als an-menos
uössliMadlss. Eine Politik weiterhin, die mit eignen Augen sieht, nicht nach
Stimmungen, sondern nach dauernden Werten fragt, in stetiger ernster Arbeit,
durch festes Auftreten unserm neuen Staat eine Stätte im Volksgemüt bereitet.
Wo darnach verfahren wird, reiht sich ein Tag an den andern zur Zukunfts¬
ernte an, nicht so, daß sie schnell und in die Augen springend reift, aber sicher
und tief Wurzel fassend. Saure Wochen, frohe Feste!

Größere Lebenskraft als politische Experimente bewähren die politischen
Aussprüche Fürst Vismarcks. Davon lautet einer dahin, daß Elsaß-Lothringen
als Festungsglacis canellirt worden sei, ein andrer so, daß sich nur fertige
Staaten den Luxus parlamentarischer Regierungsweise erlauben könnten. In
Osterreich hat die Blüte der "Herbstzeitlose" in der That nicht lange gedauert;
mit dem reichslündischen Gegenstück wird es kaum anders gehen. Wohl aber
wird es, so lange als Menschen und menschliche Leidenschaften mit einander
kämpfen, immer so bleiben, daß sich der Sieger gegen neue Augriffe des Be¬
siegten zu sichern sucht, sei es auch durch Eroberung. Die Menschen im
Festungsglacis trifft es hart, aber jede Notwendigkeit ist erträglich, und keine,
richtig ertragen, tastet die Menschenwürde an. Dagegen widerstreitet dem
echten Freiheitsgefühl nichts mehr, als wenn steter Wechsel der äußern und
innern Lebensbedingungen von Menschen über Menschen verhängt wird, sei es
anch in der besten Absicht. Hiergegen bäumt sich das Beste im Menschen auf.
So ist es dem Reichsland seit der Einverleibung ergangen: Wechsel ans Wechsel,
Versuch auf Versuch. Darüber hätten unsre neuen Landsleute das Recht zu
klagen. Aber darüber klagt keiner, und das ist das Schlimmste. Werden
doch die Gemüter im Lande fast nur durch Mode und Neuerungssucht be¬
herrscht, durch die ärgsten Feinde von Freiheit und Würde.




Zur Reform des Postpaketportos
(Schluß)

el einem Portogesetz sowie bei jeder sonstigen gesetzlichen Ma߬
regel kommt es aber doch darauf an, wie sie im großen und
ganzen wirkt. Deshalb werden einige ungünstige Nebenwirkungen
schwerlich die Wiederaufhebung eines sonst guten Gesetzes recht¬
fertigen. Oft sind sie aber gar nicht zu ändern und daher ebenso
mit in den Kauf zu nehmen wie der Schatten, den jedes Licht wirft. Wenn


Zur Reform des Postpaketportos

So ist denn die politische Geschichte des Reichslands um ein wohlgemeintes,
aber nutzloses und gefährliches Experiment bereichert worden. Es ist nicht
das erste. Wann werden wir endlich die allein frommeude Verwaltungspolitik
erhalten? Eine Politik ist damit gemeint, die den Landesausschuß und die
obern Tausend höflich, aber als das behandelt, was sie sind, als an-menos
uössliMadlss. Eine Politik weiterhin, die mit eignen Augen sieht, nicht nach
Stimmungen, sondern nach dauernden Werten fragt, in stetiger ernster Arbeit,
durch festes Auftreten unserm neuen Staat eine Stätte im Volksgemüt bereitet.
Wo darnach verfahren wird, reiht sich ein Tag an den andern zur Zukunfts¬
ernte an, nicht so, daß sie schnell und in die Augen springend reift, aber sicher
und tief Wurzel fassend. Saure Wochen, frohe Feste!

Größere Lebenskraft als politische Experimente bewähren die politischen
Aussprüche Fürst Vismarcks. Davon lautet einer dahin, daß Elsaß-Lothringen
als Festungsglacis canellirt worden sei, ein andrer so, daß sich nur fertige
Staaten den Luxus parlamentarischer Regierungsweise erlauben könnten. In
Osterreich hat die Blüte der „Herbstzeitlose" in der That nicht lange gedauert;
mit dem reichslündischen Gegenstück wird es kaum anders gehen. Wohl aber
wird es, so lange als Menschen und menschliche Leidenschaften mit einander
kämpfen, immer so bleiben, daß sich der Sieger gegen neue Augriffe des Be¬
siegten zu sichern sucht, sei es auch durch Eroberung. Die Menschen im
Festungsglacis trifft es hart, aber jede Notwendigkeit ist erträglich, und keine,
richtig ertragen, tastet die Menschenwürde an. Dagegen widerstreitet dem
echten Freiheitsgefühl nichts mehr, als wenn steter Wechsel der äußern und
innern Lebensbedingungen von Menschen über Menschen verhängt wird, sei es
anch in der besten Absicht. Hiergegen bäumt sich das Beste im Menschen auf.
So ist es dem Reichsland seit der Einverleibung ergangen: Wechsel ans Wechsel,
Versuch auf Versuch. Darüber hätten unsre neuen Landsleute das Recht zu
klagen. Aber darüber klagt keiner, und das ist das Schlimmste. Werden
doch die Gemüter im Lande fast nur durch Mode und Neuerungssucht be¬
herrscht, durch die ärgsten Feinde von Freiheit und Würde.




Zur Reform des Postpaketportos
(Schluß)

el einem Portogesetz sowie bei jeder sonstigen gesetzlichen Ma߬
regel kommt es aber doch darauf an, wie sie im großen und
ganzen wirkt. Deshalb werden einige ungünstige Nebenwirkungen
schwerlich die Wiederaufhebung eines sonst guten Gesetzes recht¬
fertigen. Oft sind sie aber gar nicht zu ändern und daher ebenso
mit in den Kauf zu nehmen wie der Schatten, den jedes Licht wirft. Wenn


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[0259] Zur Reform des Postpaketportos So ist denn die politische Geschichte des Reichslands um ein wohlgemeintes, aber nutzloses und gefährliches Experiment bereichert worden. Es ist nicht das erste. Wann werden wir endlich die allein frommeude Verwaltungspolitik erhalten? Eine Politik ist damit gemeint, die den Landesausschuß und die obern Tausend höflich, aber als das behandelt, was sie sind, als an-menos uössliMadlss. Eine Politik weiterhin, die mit eignen Augen sieht, nicht nach Stimmungen, sondern nach dauernden Werten fragt, in stetiger ernster Arbeit, durch festes Auftreten unserm neuen Staat eine Stätte im Volksgemüt bereitet. Wo darnach verfahren wird, reiht sich ein Tag an den andern zur Zukunfts¬ ernte an, nicht so, daß sie schnell und in die Augen springend reift, aber sicher und tief Wurzel fassend. Saure Wochen, frohe Feste! Größere Lebenskraft als politische Experimente bewähren die politischen Aussprüche Fürst Vismarcks. Davon lautet einer dahin, daß Elsaß-Lothringen als Festungsglacis canellirt worden sei, ein andrer so, daß sich nur fertige Staaten den Luxus parlamentarischer Regierungsweise erlauben könnten. In Osterreich hat die Blüte der „Herbstzeitlose" in der That nicht lange gedauert; mit dem reichslündischen Gegenstück wird es kaum anders gehen. Wohl aber wird es, so lange als Menschen und menschliche Leidenschaften mit einander kämpfen, immer so bleiben, daß sich der Sieger gegen neue Augriffe des Be¬ siegten zu sichern sucht, sei es auch durch Eroberung. Die Menschen im Festungsglacis trifft es hart, aber jede Notwendigkeit ist erträglich, und keine, richtig ertragen, tastet die Menschenwürde an. Dagegen widerstreitet dem echten Freiheitsgefühl nichts mehr, als wenn steter Wechsel der äußern und innern Lebensbedingungen von Menschen über Menschen verhängt wird, sei es anch in der besten Absicht. Hiergegen bäumt sich das Beste im Menschen auf. So ist es dem Reichsland seit der Einverleibung ergangen: Wechsel ans Wechsel, Versuch auf Versuch. Darüber hätten unsre neuen Landsleute das Recht zu klagen. Aber darüber klagt keiner, und das ist das Schlimmste. Werden doch die Gemüter im Lande fast nur durch Mode und Neuerungssucht be¬ herrscht, durch die ärgsten Feinde von Freiheit und Würde. Zur Reform des Postpaketportos (Schluß) el einem Portogesetz sowie bei jeder sonstigen gesetzlichen Ma߬ regel kommt es aber doch darauf an, wie sie im großen und ganzen wirkt. Deshalb werden einige ungünstige Nebenwirkungen schwerlich die Wiederaufhebung eines sonst guten Gesetzes recht¬ fertigen. Oft sind sie aber gar nicht zu ändern und daher ebenso mit in den Kauf zu nehmen wie der Schatten, den jedes Licht wirft. Wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/259>, abgerufen am 05.01.2025.