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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Madlene

Wie die Zeitungen sagen, hat es die Zentrumspartei für zweckmäßig ge¬
halten, den Eindruck der Müllerschen Schrift etwas abzuschwächen. Die Partei
soll dadurch in keiner Weise als gebunden erscheinen. Als ob man solche
Schwächen dem Ultramontanismus noch zutrauen könnte! Aber man rechnet
auf die Schwäche der Negierung. Sie muß gezwungen werden, die rettende
Hand des Zentrums auch in der Flottenfrage hilfesuchend zu erfasse", damit
der deutsche Michel auch das noch glaubt, wenn er es hört und liest: "Dem
Papst in Rom verdankt der Kaiser seine Schiffe." Diesen Dank gilts der
welschen Pfaffheit zu sichern, und deutsche Freiherren geben sich zu solchem
Handel her!




Madlene I. Löffler Erzählung aus dem oberfräukischen Volksleben von
(Fortsetzung)
5. Graupelwetter

aß naht Jahre vergehen können, ohne daß die Liebe zweier Menschen
zu einander an den Tag kommt -- zweier Menschen, die in einem
kleinen Dörflein beisammen wohnen --, das ist freilich unglaublich.
Aber das Unglaubliche ist nicht das Unerhörte oder Unmögliche, ja
nicht einmal das Ungewöhnliche.

Der Rlldersfrieder hatte sich auf der Höhe seines Stolzes eine
Einsiedelei erbaut und war da nicht herauszubringen. Als einmal ein Vierteljahr
verstrichen war, war auch die Geduld und Festigkeit auf ein Jahr hinaus gesichert;
und nach einem Jahre begannen schon Schlinggewächse die Einsiedelei auf der Höhe
zu umziehen, sodaß es sich immer ernster und dunkler darin ausnahm. Die fol¬
genden Jahre schienen viel kürzer als das erste Jahr. Und es wurde immer düsterer
von den Schlinggewächsen, sodnß der Frieder gar nicht sah, wie die acht Jahre
vorüberhuschten. Er wäre nicht um die Welt ans seiner Einsiedelei herauszubringen
gewesen. Eigentlich war es eine Zweisiedclei; denn er hatte die Madlene mit
drinnen, wenn auch ohne Fleisch nud Blut. Wenn er einmal die leibhaftige
Madlene sah durch die Schlinggewächse hindurch, so drückte er die Augen zu, um
seine geistige Madlene nicht zu verlieren. Das vermochte der Frieder. Hundert
andre wären zu lumpig dazu gewesen.

Madlene war in ihrem Wahn, der Rödersfrieder habe die Triltscheuchristel
vom Pfingsttanz nach Hause begleitet, durch eine Begegnung am Johannistag be¬
stärkt worden. Sie hatte für den Vater einen Gang in die Brattendörfer Schmiede


Madlene

Wie die Zeitungen sagen, hat es die Zentrumspartei für zweckmäßig ge¬
halten, den Eindruck der Müllerschen Schrift etwas abzuschwächen. Die Partei
soll dadurch in keiner Weise als gebunden erscheinen. Als ob man solche
Schwächen dem Ultramontanismus noch zutrauen könnte! Aber man rechnet
auf die Schwäche der Negierung. Sie muß gezwungen werden, die rettende
Hand des Zentrums auch in der Flottenfrage hilfesuchend zu erfasse», damit
der deutsche Michel auch das noch glaubt, wenn er es hört und liest: „Dem
Papst in Rom verdankt der Kaiser seine Schiffe." Diesen Dank gilts der
welschen Pfaffheit zu sichern, und deutsche Freiherren geben sich zu solchem
Handel her!




Madlene I. Löffler Erzählung aus dem oberfräukischen Volksleben von
(Fortsetzung)
5. Graupelwetter

aß naht Jahre vergehen können, ohne daß die Liebe zweier Menschen
zu einander an den Tag kommt — zweier Menschen, die in einem
kleinen Dörflein beisammen wohnen —, das ist freilich unglaublich.
Aber das Unglaubliche ist nicht das Unerhörte oder Unmögliche, ja
nicht einmal das Ungewöhnliche.

Der Rlldersfrieder hatte sich auf der Höhe seines Stolzes eine
Einsiedelei erbaut und war da nicht herauszubringen. Als einmal ein Vierteljahr
verstrichen war, war auch die Geduld und Festigkeit auf ein Jahr hinaus gesichert;
und nach einem Jahre begannen schon Schlinggewächse die Einsiedelei auf der Höhe
zu umziehen, sodaß es sich immer ernster und dunkler darin ausnahm. Die fol¬
genden Jahre schienen viel kürzer als das erste Jahr. Und es wurde immer düsterer
von den Schlinggewächsen, sodnß der Frieder gar nicht sah, wie die acht Jahre
vorüberhuschten. Er wäre nicht um die Welt ans seiner Einsiedelei herauszubringen
gewesen. Eigentlich war es eine Zweisiedclei; denn er hatte die Madlene mit
drinnen, wenn auch ohne Fleisch nud Blut. Wenn er einmal die leibhaftige
Madlene sah durch die Schlinggewächse hindurch, so drückte er die Augen zu, um
seine geistige Madlene nicht zu verlieren. Das vermochte der Frieder. Hundert
andre wären zu lumpig dazu gewesen.

Madlene war in ihrem Wahn, der Rödersfrieder habe die Triltscheuchristel
vom Pfingsttanz nach Hause begleitet, durch eine Begegnung am Johannistag be¬
stärkt worden. Sie hatte für den Vater einen Gang in die Brattendörfer Schmiede


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[0223] Madlene Wie die Zeitungen sagen, hat es die Zentrumspartei für zweckmäßig ge¬ halten, den Eindruck der Müllerschen Schrift etwas abzuschwächen. Die Partei soll dadurch in keiner Weise als gebunden erscheinen. Als ob man solche Schwächen dem Ultramontanismus noch zutrauen könnte! Aber man rechnet auf die Schwäche der Negierung. Sie muß gezwungen werden, die rettende Hand des Zentrums auch in der Flottenfrage hilfesuchend zu erfasse», damit der deutsche Michel auch das noch glaubt, wenn er es hört und liest: „Dem Papst in Rom verdankt der Kaiser seine Schiffe." Diesen Dank gilts der welschen Pfaffheit zu sichern, und deutsche Freiherren geben sich zu solchem Handel her! Madlene I. Löffler Erzählung aus dem oberfräukischen Volksleben von (Fortsetzung) 5. Graupelwetter aß naht Jahre vergehen können, ohne daß die Liebe zweier Menschen zu einander an den Tag kommt — zweier Menschen, die in einem kleinen Dörflein beisammen wohnen —, das ist freilich unglaublich. Aber das Unglaubliche ist nicht das Unerhörte oder Unmögliche, ja nicht einmal das Ungewöhnliche. Der Rlldersfrieder hatte sich auf der Höhe seines Stolzes eine Einsiedelei erbaut und war da nicht herauszubringen. Als einmal ein Vierteljahr verstrichen war, war auch die Geduld und Festigkeit auf ein Jahr hinaus gesichert; und nach einem Jahre begannen schon Schlinggewächse die Einsiedelei auf der Höhe zu umziehen, sodaß es sich immer ernster und dunkler darin ausnahm. Die fol¬ genden Jahre schienen viel kürzer als das erste Jahr. Und es wurde immer düsterer von den Schlinggewächsen, sodnß der Frieder gar nicht sah, wie die acht Jahre vorüberhuschten. Er wäre nicht um die Welt ans seiner Einsiedelei herauszubringen gewesen. Eigentlich war es eine Zweisiedclei; denn er hatte die Madlene mit drinnen, wenn auch ohne Fleisch nud Blut. Wenn er einmal die leibhaftige Madlene sah durch die Schlinggewächse hindurch, so drückte er die Augen zu, um seine geistige Madlene nicht zu verlieren. Das vermochte der Frieder. Hundert andre wären zu lumpig dazu gewesen. Madlene war in ihrem Wahn, der Rödersfrieder habe die Triltscheuchristel vom Pfingsttanz nach Hause begleitet, durch eine Begegnung am Johannistag be¬ stärkt worden. Sie hatte für den Vater einen Gang in die Brattendörfer Schmiede

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/223>, abgerufen am 05.01.2025.