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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Zentrum und Flotte

is Heft 3 der "Sozialen und politischen Zeitfragen" (zwanglose
Hefte, herausgegeben von Mitgliedern der Zentrumsfrciktion des
Reichstags) ist von Richard Müller (Fuldci) ein "Beitrag zur
Kritik des Flotteugesetzentwurfs" unter dem Titel "Kann die
Marinevorlage vom Reichstage angenommen werden?" ver¬
öffentlicht worden. In der hinreichend bekannten Manier der
Zentrumsführer verfehlt auch Herr Müller nicht, in seinem Vorwort ausdrücklich
zu versichern, daß er weder ja noch nein sagen wolle, und daß kein Reichstag
einer Verstärkung der deutscheu Marine in seiner großen Mehrheit so geneigt
gewesen sei wie der gegenwärtige. Er hat sogar seine platonische Flotten¬
freundlichkeit durch einige ganz niedliche Marinebildchen als Kopfleisten ins
rechte Licht zu stellen gesucht; er weiß wohl, daß sein in der Sache schroff
ablehnendes Votum umso größern Eindruck machen muß. Zum Schluß stellt
er die Frage: Wird die Mariuevorlage vom Reichstag angenommen werden?
und giebt die Antwort (juien sg-de, nachdem er vorher noch in unparteiischer
Biederkeit dem Leser die "zwei" Gesichtspunkte, vou denen aus die Vorlage zu
beurteilen sei, klar dargelegt hat: "einerseits als das Programm einer erhöhten
Geldfordernng sür die Zwecke der Marine -- andrerseits als die Beschränkung
des Ausgabebewilligungsrechts des Reichstags." Man könne, meint er, sehr
wohl beides trennen, "die etatsmäßigen Forderungen" genehmigen und doch
das "wichtige verfassungsmäßige Recht der alljährlichen Ausgabebewilligung
intakt erhalten." "Für denjenigen, der die Wahrung und Erhaltung der kürg¬
lichen Rechte der Volksvertretung ernsthaft nimmt, sollte die Entscheidung nicht
zweifelhaft sein." Das klingt sehr einfach und annehmbar und wird von der
gläubigen Masse der Zentrumsleute ebenso als Quintessenz unabhängiger, ge¬
rechter und vorurteilsfreier Politik bewundert werdeu, wie die in ziemlich ähn¬
licher Richtung laufende Begründung der ablehnenden Stellung der freisinnigen
Volkspartei, die Eugen Richter in seinem neuesten Abcbuch veröffentlicht hat.
"Es wird," sagt Müller im Vollgefühl seiner unbefangnen Vaterlandsliebe, die
keine Parteiinteressen beirren könnten, "auch künftig ohne gesetzliche Festlegung
gelingen, eine den Bedürfnissen entsprechende starke Marine zu schaffen und zu
erhalten; eine gerechte, zielbewußte und vertrauenswürdige Regierung wird von
der Volksvertretung, auch ohne dieselbe zur Preisgabe verfassungsmäßiger
Rechte zu nötigen, stets dasjenige erlangen können, was zur Erhaltung der
Wehrkraft des Vaterlands notwendig ist, zu Wasser und zu Lande."

Das klingt, wie gesagt, sehr einfach und annehmbar, fast patriotisch. So
kliugts, aber gemeint ist's wieder einmal ganz anders. Es wäre eine ganz




Zentrum und Flotte

is Heft 3 der „Sozialen und politischen Zeitfragen" (zwanglose
Hefte, herausgegeben von Mitgliedern der Zentrumsfrciktion des
Reichstags) ist von Richard Müller (Fuldci) ein „Beitrag zur
Kritik des Flotteugesetzentwurfs" unter dem Titel „Kann die
Marinevorlage vom Reichstage angenommen werden?" ver¬
öffentlicht worden. In der hinreichend bekannten Manier der
Zentrumsführer verfehlt auch Herr Müller nicht, in seinem Vorwort ausdrücklich
zu versichern, daß er weder ja noch nein sagen wolle, und daß kein Reichstag
einer Verstärkung der deutscheu Marine in seiner großen Mehrheit so geneigt
gewesen sei wie der gegenwärtige. Er hat sogar seine platonische Flotten¬
freundlichkeit durch einige ganz niedliche Marinebildchen als Kopfleisten ins
rechte Licht zu stellen gesucht; er weiß wohl, daß sein in der Sache schroff
ablehnendes Votum umso größern Eindruck machen muß. Zum Schluß stellt
er die Frage: Wird die Mariuevorlage vom Reichstag angenommen werden?
und giebt die Antwort (juien sg-de, nachdem er vorher noch in unparteiischer
Biederkeit dem Leser die „zwei" Gesichtspunkte, vou denen aus die Vorlage zu
beurteilen sei, klar dargelegt hat: „einerseits als das Programm einer erhöhten
Geldfordernng sür die Zwecke der Marine — andrerseits als die Beschränkung
des Ausgabebewilligungsrechts des Reichstags." Man könne, meint er, sehr
wohl beides trennen, „die etatsmäßigen Forderungen" genehmigen und doch
das „wichtige verfassungsmäßige Recht der alljährlichen Ausgabebewilligung
intakt erhalten." „Für denjenigen, der die Wahrung und Erhaltung der kürg¬
lichen Rechte der Volksvertretung ernsthaft nimmt, sollte die Entscheidung nicht
zweifelhaft sein." Das klingt sehr einfach und annehmbar und wird von der
gläubigen Masse der Zentrumsleute ebenso als Quintessenz unabhängiger, ge¬
rechter und vorurteilsfreier Politik bewundert werdeu, wie die in ziemlich ähn¬
licher Richtung laufende Begründung der ablehnenden Stellung der freisinnigen
Volkspartei, die Eugen Richter in seinem neuesten Abcbuch veröffentlicht hat.
„Es wird," sagt Müller im Vollgefühl seiner unbefangnen Vaterlandsliebe, die
keine Parteiinteressen beirren könnten, „auch künftig ohne gesetzliche Festlegung
gelingen, eine den Bedürfnissen entsprechende starke Marine zu schaffen und zu
erhalten; eine gerechte, zielbewußte und vertrauenswürdige Regierung wird von
der Volksvertretung, auch ohne dieselbe zur Preisgabe verfassungsmäßiger
Rechte zu nötigen, stets dasjenige erlangen können, was zur Erhaltung der
Wehrkraft des Vaterlands notwendig ist, zu Wasser und zu Lande."

Das klingt, wie gesagt, sehr einfach und annehmbar, fast patriotisch. So
kliugts, aber gemeint ist's wieder einmal ganz anders. Es wäre eine ganz


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[0219] [Abbildung] Zentrum und Flotte is Heft 3 der „Sozialen und politischen Zeitfragen" (zwanglose Hefte, herausgegeben von Mitgliedern der Zentrumsfrciktion des Reichstags) ist von Richard Müller (Fuldci) ein „Beitrag zur Kritik des Flotteugesetzentwurfs" unter dem Titel „Kann die Marinevorlage vom Reichstage angenommen werden?" ver¬ öffentlicht worden. In der hinreichend bekannten Manier der Zentrumsführer verfehlt auch Herr Müller nicht, in seinem Vorwort ausdrücklich zu versichern, daß er weder ja noch nein sagen wolle, und daß kein Reichstag einer Verstärkung der deutscheu Marine in seiner großen Mehrheit so geneigt gewesen sei wie der gegenwärtige. Er hat sogar seine platonische Flotten¬ freundlichkeit durch einige ganz niedliche Marinebildchen als Kopfleisten ins rechte Licht zu stellen gesucht; er weiß wohl, daß sein in der Sache schroff ablehnendes Votum umso größern Eindruck machen muß. Zum Schluß stellt er die Frage: Wird die Mariuevorlage vom Reichstag angenommen werden? und giebt die Antwort (juien sg-de, nachdem er vorher noch in unparteiischer Biederkeit dem Leser die „zwei" Gesichtspunkte, vou denen aus die Vorlage zu beurteilen sei, klar dargelegt hat: „einerseits als das Programm einer erhöhten Geldfordernng sür die Zwecke der Marine — andrerseits als die Beschränkung des Ausgabebewilligungsrechts des Reichstags." Man könne, meint er, sehr wohl beides trennen, „die etatsmäßigen Forderungen" genehmigen und doch das „wichtige verfassungsmäßige Recht der alljährlichen Ausgabebewilligung intakt erhalten." „Für denjenigen, der die Wahrung und Erhaltung der kürg¬ lichen Rechte der Volksvertretung ernsthaft nimmt, sollte die Entscheidung nicht zweifelhaft sein." Das klingt sehr einfach und annehmbar und wird von der gläubigen Masse der Zentrumsleute ebenso als Quintessenz unabhängiger, ge¬ rechter und vorurteilsfreier Politik bewundert werdeu, wie die in ziemlich ähn¬ licher Richtung laufende Begründung der ablehnenden Stellung der freisinnigen Volkspartei, die Eugen Richter in seinem neuesten Abcbuch veröffentlicht hat. „Es wird," sagt Müller im Vollgefühl seiner unbefangnen Vaterlandsliebe, die keine Parteiinteressen beirren könnten, „auch künftig ohne gesetzliche Festlegung gelingen, eine den Bedürfnissen entsprechende starke Marine zu schaffen und zu erhalten; eine gerechte, zielbewußte und vertrauenswürdige Regierung wird von der Volksvertretung, auch ohne dieselbe zur Preisgabe verfassungsmäßiger Rechte zu nötigen, stets dasjenige erlangen können, was zur Erhaltung der Wehrkraft des Vaterlands notwendig ist, zu Wasser und zu Lande." Das klingt, wie gesagt, sehr einfach und annehmbar, fast patriotisch. So kliugts, aber gemeint ist's wieder einmal ganz anders. Es wäre eine ganz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/219>, abgerufen am 05.01.2025.