Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches bei den Missionaren diese in ihren Augen sonderbare Tugend zu finden ist, wird Einige deutsche Zeitungen haben die Besorgnis ausgesprochen, die Chinesen soziologisches. Da sich die Gelehrten bis heute weder über den Begriff Maßgebliches und Unmaßgebliches bei den Missionaren diese in ihren Augen sonderbare Tugend zu finden ist, wird Einige deutsche Zeitungen haben die Besorgnis ausgesprochen, die Chinesen soziologisches. Da sich die Gelehrten bis heute weder über den Begriff <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0176" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227078"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_555" prev="#ID_554"> bei den Missionaren diese in ihren Augen sonderbare Tugend zu finden ist, wird<lb/> hauptsächlich durch den Gegensatz zu den andern in China lebenden Ausländern<lb/> bewirkt. Die hohen Mandarinen sind keineswegs alle gegen die Einführung von<lb/> Reformen in ihrem Lande. Sie wissen nur nicht recht, wie sie die Sache am besten<lb/> anfangen sollen, ohne den Fremden immer mehr Einfluß einzuräumen, den sie von<lb/> ihrem Standpunkt aus natürlich nicht wünschen können. Nun sagen sie sich: die<lb/> Gesandten und die Konsuln verfolgen mit ihren Vorschlägen vor allem Politische<lb/> Zwecke; die ausländischen Kaufleute und Industriellen denken nur an ihren Geld¬<lb/> beutel; aber die Missionare haben immer wieder betont, sie hätten lediglich das Wohl<lb/> unsers Landes im Auge; diese Auffassung der Christen ist uns zwar nicht recht<lb/> begreiflich, aber es mag wohl etwas Wahres daran sein. So haben wir denn<lb/> seit kurzer Zeit das merkwürdige Schauspiel, daß die hohen Mandarinen anfangen,<lb/> die früher so sehr gehaßten Missionare gelegentlich um Rat anzugehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_556"> Einige deutsche Zeitungen haben die Besorgnis ausgesprochen, die Chinesen<lb/> könnten ihr Land dem deutschen Handel ganz verschließen, wenn wir die Dinge<lb/> auf die Spitze trieben. Diese Besorgnis ist völlig grundlos. Nach dem Kriege<lb/> Japans gegen China fanden die japanischen Kaufleute nirgends die geringste<lb/> Schwierigkeit, die zeitweilig unterbrochner Handelsbeziehungen wiederanzuknüpfen.<lb/> Und doch sind die Japaner im Reiche der Mitte im allgemeinen wenig beliebt.<lb/> Aber es würde einem Chinesen einfach lächerlich vorkommen, gute Handels-<lb/> beziehungen nicht wieder aufzunehmen, weil seine Regierung einen ihm gleichgiltigen<lb/> Krieg geführt hat. Alle aufmerksamen Beobachter stimmen darin überein, daß die<lb/> Chinesen, obgleich man ihnen viel Heimatsinn zuschreiben muß, doch keinen Patrio¬<lb/> tismus in unserm Sinne haben. Aus diesem Grunde finden sie sich auch leicht<lb/> mit einer fremden Herrschaft ab, solange man sie nur nicht in den Gewohnheiten<lb/> ihres täglichen Lebens stört. Das Schicksal der Teilung des großen Reichs unter<lb/> die europäischen Mächte wird sich schwerlich abwenden lassen. Sämtliche in<lb/> Schanghai erscheinenden europäischen Zeitungen sind schon dieser Ansicht. So meint<lb/> z. B. das «üolestial ZZwxirs: „Die Freunde Chinas wollten bisher immer die<lb/> Hoffnung noch nicht ganz aufgeben, daß sich das alte Reich endlich zu ernstlichen<lb/> Reformen aufraffen werde. Es ist im höchsten Grade bedauerlich, daß ein so<lb/> großes Volk mit so vielen gemeinsamen Banden des Blutes, der Sprache, der<lb/> Religion und der Geschichte wahrscheinlich uuter fremde Eroberer verteilt werden<lb/> wird. Aber wir müssen gestehen, es ist wenig oder gar keine Hoffnung auf eine<lb/> andre Lösung der chinesischen Frage vorhanden." Möge man daher im deutschen<lb/> Vaterlande andauernd scharf aufpassen, damit mau bei dieser über kurz oder laug<lb/> bevorstehenden Teilung nicht zu kurz komme.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> soziologisches.</head> <p xml:id="ID_557" next="#ID_558"> Da sich die Gelehrten bis heute weder über den Begriff<lb/> der Gesellschaft uoch über den der Gesellschaftswissenschaft haben einigen können,<lb/> so schlagen wir wenigstens für die zweite eine Definition vor, deren Nichtigkeit keinen<lb/> zu bestreiten sein dürfte: ein neuer Name für ein Bündel alter Sachen. Damit wollen<lb/> wir jedoch die Notwendigkeit und den Nutzen der neuen Wissenschaft nicht bestritten<lb/> haben, denn sie lenkt dnrch ihre Auswahl unter den alten Sachen die Aufmerksamkeit<lb/> gerade auf solche Wahrheiten und Thatsachen, deren Untersuchung und Erwägung<lb/> in unsrer Zeit besonders not thut. Daher gehört Herbert Spencers Einleitung<lb/> in das Studium der Soziologie, das die Berechtigung und Notwendigkeit der<lb/> neuen Wissenschaft darlegt, zu deu nicht ganz überflüssigen Büchern, und die Neu¬<lb/> ausgabe der schon vor zweiundzwanzig Jahren erschienenen deutscheu Übersetzung</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0176]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
bei den Missionaren diese in ihren Augen sonderbare Tugend zu finden ist, wird
hauptsächlich durch den Gegensatz zu den andern in China lebenden Ausländern
bewirkt. Die hohen Mandarinen sind keineswegs alle gegen die Einführung von
Reformen in ihrem Lande. Sie wissen nur nicht recht, wie sie die Sache am besten
anfangen sollen, ohne den Fremden immer mehr Einfluß einzuräumen, den sie von
ihrem Standpunkt aus natürlich nicht wünschen können. Nun sagen sie sich: die
Gesandten und die Konsuln verfolgen mit ihren Vorschlägen vor allem Politische
Zwecke; die ausländischen Kaufleute und Industriellen denken nur an ihren Geld¬
beutel; aber die Missionare haben immer wieder betont, sie hätten lediglich das Wohl
unsers Landes im Auge; diese Auffassung der Christen ist uns zwar nicht recht
begreiflich, aber es mag wohl etwas Wahres daran sein. So haben wir denn
seit kurzer Zeit das merkwürdige Schauspiel, daß die hohen Mandarinen anfangen,
die früher so sehr gehaßten Missionare gelegentlich um Rat anzugehen.
Einige deutsche Zeitungen haben die Besorgnis ausgesprochen, die Chinesen
könnten ihr Land dem deutschen Handel ganz verschließen, wenn wir die Dinge
auf die Spitze trieben. Diese Besorgnis ist völlig grundlos. Nach dem Kriege
Japans gegen China fanden die japanischen Kaufleute nirgends die geringste
Schwierigkeit, die zeitweilig unterbrochner Handelsbeziehungen wiederanzuknüpfen.
Und doch sind die Japaner im Reiche der Mitte im allgemeinen wenig beliebt.
Aber es würde einem Chinesen einfach lächerlich vorkommen, gute Handels-
beziehungen nicht wieder aufzunehmen, weil seine Regierung einen ihm gleichgiltigen
Krieg geführt hat. Alle aufmerksamen Beobachter stimmen darin überein, daß die
Chinesen, obgleich man ihnen viel Heimatsinn zuschreiben muß, doch keinen Patrio¬
tismus in unserm Sinne haben. Aus diesem Grunde finden sie sich auch leicht
mit einer fremden Herrschaft ab, solange man sie nur nicht in den Gewohnheiten
ihres täglichen Lebens stört. Das Schicksal der Teilung des großen Reichs unter
die europäischen Mächte wird sich schwerlich abwenden lassen. Sämtliche in
Schanghai erscheinenden europäischen Zeitungen sind schon dieser Ansicht. So meint
z. B. das «üolestial ZZwxirs: „Die Freunde Chinas wollten bisher immer die
Hoffnung noch nicht ganz aufgeben, daß sich das alte Reich endlich zu ernstlichen
Reformen aufraffen werde. Es ist im höchsten Grade bedauerlich, daß ein so
großes Volk mit so vielen gemeinsamen Banden des Blutes, der Sprache, der
Religion und der Geschichte wahrscheinlich uuter fremde Eroberer verteilt werden
wird. Aber wir müssen gestehen, es ist wenig oder gar keine Hoffnung auf eine
andre Lösung der chinesischen Frage vorhanden." Möge man daher im deutschen
Vaterlande andauernd scharf aufpassen, damit mau bei dieser über kurz oder laug
bevorstehenden Teilung nicht zu kurz komme.
soziologisches. Da sich die Gelehrten bis heute weder über den Begriff
der Gesellschaft uoch über den der Gesellschaftswissenschaft haben einigen können,
so schlagen wir wenigstens für die zweite eine Definition vor, deren Nichtigkeit keinen
zu bestreiten sein dürfte: ein neuer Name für ein Bündel alter Sachen. Damit wollen
wir jedoch die Notwendigkeit und den Nutzen der neuen Wissenschaft nicht bestritten
haben, denn sie lenkt dnrch ihre Auswahl unter den alten Sachen die Aufmerksamkeit
gerade auf solche Wahrheiten und Thatsachen, deren Untersuchung und Erwägung
in unsrer Zeit besonders not thut. Daher gehört Herbert Spencers Einleitung
in das Studium der Soziologie, das die Berechtigung und Notwendigkeit der
neuen Wissenschaft darlegt, zu deu nicht ganz überflüssigen Büchern, und die Neu¬
ausgabe der schon vor zweiundzwanzig Jahren erschienenen deutscheu Übersetzung
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