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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Reichsländische Aeitsragen

konstitutionellen Lebens in Deutschland zusammenfaßte, so ist Treitschkes Politik
der theoretische Niederschlag der Kämpfe um unsre nationale Staatsordnung
und ihre Ausbildung. Keiner war mehr berufen als er, diese ebenso schöne
als schwierige Aufgabe zu lösen. Wenn seinem Buche eine ähnliche Ein¬
wirkung auf die politische Anschauung unsers Volkes beschieden ist, wie dem
seines Vorgängers, so wird das ein Glück für uns sein.




Reichsländische Zeitfragen
Linn Kühn von
^. Die Reichstagsanträge

er Reichstag ist gleich nach seiner Eröffnung von den elsa߬
lothringischen Separatisten mit Anträgen bestürmt worden. Es
soll erstens der Diktaturparagraph ausgehoben, zweitens das
Reichspreßgesetz auf Elsaß-Lothringen ausgedehnt, und drittens
für den Landesausschnß ein neues Wahlgesetz eingeführt werden.

Wenn diese Anträge wirklich beraten werden sollten, so werden die Ab¬
geordneten ans dem Reichslande nicht fehlen; auch zu der Abstimmung über
die Marinevorlage werden sich wenigstens die Gegner aus dem Reichsland
in Berlin einstellen. Sonst wird von unsern Abgeordneten in dieser Tagung
so wenig wie in den bisherigen etwas zu sehen oder zu hören sein, denn sie
entziehen sich ihrer Pflicht noch allgemeiner und beharrlicher als die Abge¬
ordneten aus den andern Teilen Deutschlands. Nur einer, der in Berlin
wohnende Prinz Hohenlohe, ein Sohn des Reichskanzlers, macht eine
Ausnahme und gehört zu den fleißigen Besuchern des Reichstages; die
andern fehlen bestündig, und zwar die freundlichgcsinnteu nicht weniger als
etwa die Herren Winterer, Gerber und Spieß. Nur reichsländische Angelegen¬
heiten sind für sie von Interesse; auf jeden Monat der Tagungen zwei
Sitzungen wird das Höchste sein, woraus sie es durchschnittlich bringen. Es
liegt System darin. Nun giebt es ja kein Mittel, die Herren zum Erscheinen
zu zwingen, aber würde das Neichstagspräsidium nicht seine Pflicht thun,
wenn es Vergeltung übte? wenn es der Gruppe der schlechtesten Besucher da¬
durch antwortete, daß es ihre Antrüge gar nicht oder erst hinter allen übrigen
auf die Tagesordnung setzte? Es wäre das immerhin eine mittelbare Ein¬
wirkung auf fleißigem Besuch, und ein Recht, sich zu beklagen, hätten die


Reichsländische Aeitsragen

konstitutionellen Lebens in Deutschland zusammenfaßte, so ist Treitschkes Politik
der theoretische Niederschlag der Kämpfe um unsre nationale Staatsordnung
und ihre Ausbildung. Keiner war mehr berufen als er, diese ebenso schöne
als schwierige Aufgabe zu lösen. Wenn seinem Buche eine ähnliche Ein¬
wirkung auf die politische Anschauung unsers Volkes beschieden ist, wie dem
seines Vorgängers, so wird das ein Glück für uns sein.




Reichsländische Zeitfragen
Linn Kühn von
^. Die Reichstagsanträge

er Reichstag ist gleich nach seiner Eröffnung von den elsa߬
lothringischen Separatisten mit Anträgen bestürmt worden. Es
soll erstens der Diktaturparagraph ausgehoben, zweitens das
Reichspreßgesetz auf Elsaß-Lothringen ausgedehnt, und drittens
für den Landesausschnß ein neues Wahlgesetz eingeführt werden.

Wenn diese Anträge wirklich beraten werden sollten, so werden die Ab¬
geordneten ans dem Reichslande nicht fehlen; auch zu der Abstimmung über
die Marinevorlage werden sich wenigstens die Gegner aus dem Reichsland
in Berlin einstellen. Sonst wird von unsern Abgeordneten in dieser Tagung
so wenig wie in den bisherigen etwas zu sehen oder zu hören sein, denn sie
entziehen sich ihrer Pflicht noch allgemeiner und beharrlicher als die Abge¬
ordneten aus den andern Teilen Deutschlands. Nur einer, der in Berlin
wohnende Prinz Hohenlohe, ein Sohn des Reichskanzlers, macht eine
Ausnahme und gehört zu den fleißigen Besuchern des Reichstages; die
andern fehlen bestündig, und zwar die freundlichgcsinnteu nicht weniger als
etwa die Herren Winterer, Gerber und Spieß. Nur reichsländische Angelegen¬
heiten sind für sie von Interesse; auf jeden Monat der Tagungen zwei
Sitzungen wird das Höchste sein, woraus sie es durchschnittlich bringen. Es
liegt System darin. Nun giebt es ja kein Mittel, die Herren zum Erscheinen
zu zwingen, aber würde das Neichstagspräsidium nicht seine Pflicht thun,
wenn es Vergeltung übte? wenn es der Gruppe der schlechtesten Besucher da¬
durch antwortete, daß es ihre Antrüge gar nicht oder erst hinter allen übrigen
auf die Tagesordnung setzte? Es wäre das immerhin eine mittelbare Ein¬
wirkung auf fleißigem Besuch, und ein Recht, sich zu beklagen, hätten die


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[0015] Reichsländische Aeitsragen konstitutionellen Lebens in Deutschland zusammenfaßte, so ist Treitschkes Politik der theoretische Niederschlag der Kämpfe um unsre nationale Staatsordnung und ihre Ausbildung. Keiner war mehr berufen als er, diese ebenso schöne als schwierige Aufgabe zu lösen. Wenn seinem Buche eine ähnliche Ein¬ wirkung auf die politische Anschauung unsers Volkes beschieden ist, wie dem seines Vorgängers, so wird das ein Glück für uns sein. Reichsländische Zeitfragen Linn Kühn von ^. Die Reichstagsanträge er Reichstag ist gleich nach seiner Eröffnung von den elsa߬ lothringischen Separatisten mit Anträgen bestürmt worden. Es soll erstens der Diktaturparagraph ausgehoben, zweitens das Reichspreßgesetz auf Elsaß-Lothringen ausgedehnt, und drittens für den Landesausschnß ein neues Wahlgesetz eingeführt werden. Wenn diese Anträge wirklich beraten werden sollten, so werden die Ab¬ geordneten ans dem Reichslande nicht fehlen; auch zu der Abstimmung über die Marinevorlage werden sich wenigstens die Gegner aus dem Reichsland in Berlin einstellen. Sonst wird von unsern Abgeordneten in dieser Tagung so wenig wie in den bisherigen etwas zu sehen oder zu hören sein, denn sie entziehen sich ihrer Pflicht noch allgemeiner und beharrlicher als die Abge¬ ordneten aus den andern Teilen Deutschlands. Nur einer, der in Berlin wohnende Prinz Hohenlohe, ein Sohn des Reichskanzlers, macht eine Ausnahme und gehört zu den fleißigen Besuchern des Reichstages; die andern fehlen bestündig, und zwar die freundlichgcsinnteu nicht weniger als etwa die Herren Winterer, Gerber und Spieß. Nur reichsländische Angelegen¬ heiten sind für sie von Interesse; auf jeden Monat der Tagungen zwei Sitzungen wird das Höchste sein, woraus sie es durchschnittlich bringen. Es liegt System darin. Nun giebt es ja kein Mittel, die Herren zum Erscheinen zu zwingen, aber würde das Neichstagspräsidium nicht seine Pflicht thun, wenn es Vergeltung übte? wenn es der Gruppe der schlechtesten Besucher da¬ durch antwortete, daß es ihre Antrüge gar nicht oder erst hinter allen übrigen auf die Tagesordnung setzte? Es wäre das immerhin eine mittelbare Ein¬ wirkung auf fleißigem Besuch, und ein Recht, sich zu beklagen, hätten die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/15>, abgerufen am 05.01.2025.