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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Sagenbildung und Sagenentwicklung

muß man auch heute schon wünschen, daß unsre akademische Jugend dieser
iz-lips, nmtgr fortan fern bleibe, umso mehr, als es gerade die tüchtigsten
Professoren sind, die sie zu Ostern verlassen, und die Gewinnung eines eben¬
bürtigen Ersatzes für die Ausscheidenden mehr als zweifelhaft erscheint.

Man mag es bedauern, daß ein vorgeschobner Posten des Deutschtums
an der romanischen Sprachgrenze dem sichern Untergang geweiht ist. Wenn
aber den Voraussagungen der Statistik Zutrauen geschenkt werden darf, so
hat das Deutschtum sein letztes Wort im Kanton Freiburg noch nicht ge¬
sprochen. Denn diese behauptet, daß, falls die gegenwärtigen Bevölkernngs-
verschiebnugen andauern, in einem Jahrhundert der Kanton von Bern aus
germanisirt sein werde. Vorausgesetzt natürlich, daß bis dahin an den Ufern
der Saame nicht ein neues polnisches Königreich erstanden ist.




^"agenbildung und ^"agenentwicklung
V Georg Holz on (Schluß)

es habe bisher versucht, die Grundzüge der Amelungensage aus
gegebnen geschichtlichen Ausgangspunkten zu entwickeln. Die
Möglichkeit meiner Ausführungen angenommen, entsteht nun
aber sofort die weitere Frage: wer sind die Träger dieser
ganzen Entwicklung? Ohne Menschen, die jenen Schatz von
Überlieferung als ihr Eigentum betrachten, und ohne solche, die ihn bewußt
ausgestalten, ist ja diese ganze Entwicklung undenkbar. Nun liegt es auf der
Hand, daß eine so hervorragend volkstümliche Sage wie die von den Ame-
lungen gerade von dem Volke gepflegt worden sein muß, dessen Ruhm sie
verkündet. Das wären die Ostgoten. Aber schon ein Menschenalter nach der
ruhmreichen Regierung Theoderichs verschwinden die Ostgoten in blutigen
Kämpfen gänzlich vom Schauplätze der Geschichte, sie können also ihre Über¬
lieferungen nicht lange gehütet haben, es müssen andre für sie eingetreten sein,
die jenen Schatz als den ihren betrachten und pflegen konnten. Diese andern
finde ich in dem Stamme der Baiern. Ihr Gebiet bildete unter Theoderich
einen Teil des ostgvtischen Reiches; später ist es, wenn auch unter fränkischer
Hoheit, ein selbständiges Staatsgebilde, dessen eigentlicher Ursprung freilich im
Dunkel liegt. Es wäre aber recht gut möglich, daß sich Baiern insofern als
eine unmittelbare Fortsetzung des ostgvtischen Reichs darstellte, als es jener


Sagenbildung und Sagenentwicklung

muß man auch heute schon wünschen, daß unsre akademische Jugend dieser
iz-lips, nmtgr fortan fern bleibe, umso mehr, als es gerade die tüchtigsten
Professoren sind, die sie zu Ostern verlassen, und die Gewinnung eines eben¬
bürtigen Ersatzes für die Ausscheidenden mehr als zweifelhaft erscheint.

Man mag es bedauern, daß ein vorgeschobner Posten des Deutschtums
an der romanischen Sprachgrenze dem sichern Untergang geweiht ist. Wenn
aber den Voraussagungen der Statistik Zutrauen geschenkt werden darf, so
hat das Deutschtum sein letztes Wort im Kanton Freiburg noch nicht ge¬
sprochen. Denn diese behauptet, daß, falls die gegenwärtigen Bevölkernngs-
verschiebnugen andauern, in einem Jahrhundert der Kanton von Bern aus
germanisirt sein werde. Vorausgesetzt natürlich, daß bis dahin an den Ufern
der Saame nicht ein neues polnisches Königreich erstanden ist.




^»agenbildung und ^»agenentwicklung
V Georg Holz on (Schluß)

es habe bisher versucht, die Grundzüge der Amelungensage aus
gegebnen geschichtlichen Ausgangspunkten zu entwickeln. Die
Möglichkeit meiner Ausführungen angenommen, entsteht nun
aber sofort die weitere Frage: wer sind die Träger dieser
ganzen Entwicklung? Ohne Menschen, die jenen Schatz von
Überlieferung als ihr Eigentum betrachten, und ohne solche, die ihn bewußt
ausgestalten, ist ja diese ganze Entwicklung undenkbar. Nun liegt es auf der
Hand, daß eine so hervorragend volkstümliche Sage wie die von den Ame-
lungen gerade von dem Volke gepflegt worden sein muß, dessen Ruhm sie
verkündet. Das wären die Ostgoten. Aber schon ein Menschenalter nach der
ruhmreichen Regierung Theoderichs verschwinden die Ostgoten in blutigen
Kämpfen gänzlich vom Schauplätze der Geschichte, sie können also ihre Über¬
lieferungen nicht lange gehütet haben, es müssen andre für sie eingetreten sein,
die jenen Schatz als den ihren betrachten und pflegen konnten. Diese andern
finde ich in dem Stamme der Baiern. Ihr Gebiet bildete unter Theoderich
einen Teil des ostgvtischen Reiches; später ist es, wenn auch unter fränkischer
Hoheit, ein selbständiges Staatsgebilde, dessen eigentlicher Ursprung freilich im
Dunkel liegt. Es wäre aber recht gut möglich, daß sich Baiern insofern als
eine unmittelbare Fortsetzung des ostgvtischen Reichs darstellte, als es jener


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[0143] Sagenbildung und Sagenentwicklung muß man auch heute schon wünschen, daß unsre akademische Jugend dieser iz-lips, nmtgr fortan fern bleibe, umso mehr, als es gerade die tüchtigsten Professoren sind, die sie zu Ostern verlassen, und die Gewinnung eines eben¬ bürtigen Ersatzes für die Ausscheidenden mehr als zweifelhaft erscheint. Man mag es bedauern, daß ein vorgeschobner Posten des Deutschtums an der romanischen Sprachgrenze dem sichern Untergang geweiht ist. Wenn aber den Voraussagungen der Statistik Zutrauen geschenkt werden darf, so hat das Deutschtum sein letztes Wort im Kanton Freiburg noch nicht ge¬ sprochen. Denn diese behauptet, daß, falls die gegenwärtigen Bevölkernngs- verschiebnugen andauern, in einem Jahrhundert der Kanton von Bern aus germanisirt sein werde. Vorausgesetzt natürlich, daß bis dahin an den Ufern der Saame nicht ein neues polnisches Königreich erstanden ist. ^»agenbildung und ^»agenentwicklung V Georg Holz on (Schluß) es habe bisher versucht, die Grundzüge der Amelungensage aus gegebnen geschichtlichen Ausgangspunkten zu entwickeln. Die Möglichkeit meiner Ausführungen angenommen, entsteht nun aber sofort die weitere Frage: wer sind die Träger dieser ganzen Entwicklung? Ohne Menschen, die jenen Schatz von Überlieferung als ihr Eigentum betrachten, und ohne solche, die ihn bewußt ausgestalten, ist ja diese ganze Entwicklung undenkbar. Nun liegt es auf der Hand, daß eine so hervorragend volkstümliche Sage wie die von den Ame- lungen gerade von dem Volke gepflegt worden sein muß, dessen Ruhm sie verkündet. Das wären die Ostgoten. Aber schon ein Menschenalter nach der ruhmreichen Regierung Theoderichs verschwinden die Ostgoten in blutigen Kämpfen gänzlich vom Schauplätze der Geschichte, sie können also ihre Über¬ lieferungen nicht lange gehütet haben, es müssen andre für sie eingetreten sein, die jenen Schatz als den ihren betrachten und pflegen konnten. Diese andern finde ich in dem Stamme der Baiern. Ihr Gebiet bildete unter Theoderich einen Teil des ostgvtischen Reiches; später ist es, wenn auch unter fränkischer Hoheit, ein selbständiges Staatsgebilde, dessen eigentlicher Ursprung freilich im Dunkel liegt. Es wäre aber recht gut möglich, daß sich Baiern insofern als eine unmittelbare Fortsetzung des ostgvtischen Reichs darstellte, als es jener

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/143>, abgerufen am 05.01.2025.