Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Madlene einer Million. Jedenfalls steht Deutschland an industriell thätigen Menschen¬ Madlene Löffler Erzählung aus dein oberfränkischen Volksleben von (Fortsetzung) I. Wie es vor acht Jahren anfing or acht Jahren war Madlene anders. Da war alles ganz anders. Die Madlene einer Million. Jedenfalls steht Deutschland an industriell thätigen Menschen¬ Madlene Löffler Erzählung aus dein oberfränkischen Volksleben von (Fortsetzung) I. Wie es vor acht Jahren anfing or acht Jahren war Madlene anders. Da war alles ganz anders. Die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0111" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227013"/> <fw type="header" place="top"> Madlene</fw><lb/> <p xml:id="ID_319" prev="#ID_318"> einer Million. Jedenfalls steht Deutschland an industriell thätigen Menschen¬<lb/> händen hinter England nicht mehr zurück. Bezüglich der Arbeiter, d. h. ab¬<lb/> gesehen von den Arbeitgebern und den auf eigne Rechnung arbeitenden Personen,<lb/> zeigen die Zahlen dasselbe Verhältnis, vielleicht noch etwas ausgesprochner zu<lb/> Ungunsten unsers gewaltigsten Nebenbuhlers auf industriellem Gebiet. Und<lb/> Deutschland hat keine Kolonien, die für den Absatz der Arbeitserzeugnisse und<lb/> für die Lieferung unentbehrlicher Rohstoffe nennenswert in Betracht kämen;<lb/> seine Kaufmannschaft hat in fremdem Lande für die heimische Jndustriebevölke-<lb/> rung das Brot zu suchen, unter schwierigen, oft feindseligen Verhältnissen, im<lb/> Kampf mit mangelndem Rechtsschutz, im Kampf mit gewaltthätigen, vorurteils-<lb/> vollen, nicht selten fanatischen Behörden, Einwohnern und Händlern. Man<lb/> möchte an dem gesunden Menschenverstande des deutschen Philisters verzweifeln,<lb/> der diesen klaren Thatsachen gegenüber nicht für die Flottenvermehrung Lärm<lb/> schlägt statt gegen sie, wo er doch sonst Angst genng hat vor jeglicher Gefahr<lb/> für sein bischen Hab und Gut, Profit und Zinsen. Und wie erscheint in dieser<lb/> Beleuchtung die Haltung der verdienstvollen achtundvierzig Volksvertreter sozial¬<lb/> demokratischer Farbe? Werden die über 6000000 deutschen Industriearbeiter<lb/> nicht endlich einsehen, daß das Votum dieser achtundvierzig in der Flottenfrage<lb/> der infamste Verrat am Arbeiterwohle ist, an den wichtigsten Lebensbedingungen<lb/> für die Zukunft der 6 Millionen und ihrer Familien? Die achtundvierzig<lb/> wissen wohl selbst nicht, was sie thun, aber sie haben jedes Recht verscherzt,<lb/> sich über den Vorwurf der Vaterlaudslosigkeit zu beklagen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Madlene<note type="byline"> Löffler</note> Erzählung aus dein oberfränkischen Volksleben von<lb/> (Fortsetzung)<lb/> I. Wie es vor acht Jahren anfing</head><lb/> <p xml:id="ID_320"> or acht Jahren war Madlene anders. Da war alles ganz anders. Die<lb/> ganze Welt war anders. Die Berge waren höher, der Schnee war<lb/> nicht so glatt, da hat niemand ein Bein gebrochen; im Frühling<lb/> war das Gras grüner, die Ane war weiter und schöner, die<lb/> Lerchen waren lustiger, alle Leute freundlicher und besser; da<lb/> spielten die Musikanten noch so hübsch zum Tanz ans, und das<lb/> ^uchschreten der Burschen lautete so prächtig, daß auch der Madlene das Herz im<lb/> '^be tuchte. Ach, da wars schön ans der Welt!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0111]
Madlene
einer Million. Jedenfalls steht Deutschland an industriell thätigen Menschen¬
händen hinter England nicht mehr zurück. Bezüglich der Arbeiter, d. h. ab¬
gesehen von den Arbeitgebern und den auf eigne Rechnung arbeitenden Personen,
zeigen die Zahlen dasselbe Verhältnis, vielleicht noch etwas ausgesprochner zu
Ungunsten unsers gewaltigsten Nebenbuhlers auf industriellem Gebiet. Und
Deutschland hat keine Kolonien, die für den Absatz der Arbeitserzeugnisse und
für die Lieferung unentbehrlicher Rohstoffe nennenswert in Betracht kämen;
seine Kaufmannschaft hat in fremdem Lande für die heimische Jndustriebevölke-
rung das Brot zu suchen, unter schwierigen, oft feindseligen Verhältnissen, im
Kampf mit mangelndem Rechtsschutz, im Kampf mit gewaltthätigen, vorurteils-
vollen, nicht selten fanatischen Behörden, Einwohnern und Händlern. Man
möchte an dem gesunden Menschenverstande des deutschen Philisters verzweifeln,
der diesen klaren Thatsachen gegenüber nicht für die Flottenvermehrung Lärm
schlägt statt gegen sie, wo er doch sonst Angst genng hat vor jeglicher Gefahr
für sein bischen Hab und Gut, Profit und Zinsen. Und wie erscheint in dieser
Beleuchtung die Haltung der verdienstvollen achtundvierzig Volksvertreter sozial¬
demokratischer Farbe? Werden die über 6000000 deutschen Industriearbeiter
nicht endlich einsehen, daß das Votum dieser achtundvierzig in der Flottenfrage
der infamste Verrat am Arbeiterwohle ist, an den wichtigsten Lebensbedingungen
für die Zukunft der 6 Millionen und ihrer Familien? Die achtundvierzig
wissen wohl selbst nicht, was sie thun, aber sie haben jedes Recht verscherzt,
sich über den Vorwurf der Vaterlaudslosigkeit zu beklagen.
Madlene Löffler Erzählung aus dein oberfränkischen Volksleben von
(Fortsetzung)
I. Wie es vor acht Jahren anfing
or acht Jahren war Madlene anders. Da war alles ganz anders. Die
ganze Welt war anders. Die Berge waren höher, der Schnee war
nicht so glatt, da hat niemand ein Bein gebrochen; im Frühling
war das Gras grüner, die Ane war weiter und schöner, die
Lerchen waren lustiger, alle Leute freundlicher und besser; da
spielten die Musikanten noch so hübsch zum Tanz ans, und das
^uchschreten der Burschen lautete so prächtig, daß auch der Madlene das Herz im
'^be tuchte. Ach, da wars schön ans der Welt!
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