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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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England und Deutschland

n dem heutigen Verkehr der Kulturvölker bedeutet auswärtige
und Weltpolitik zu treiben für eine Regierung oder eiuen Staats¬
mann kaum etwas andres, als mehr oder weniger versteckte oder
offenkundige Vorteile für den eignen Staat zu behaupten oder
anzustreben, andern Staaten dagegen aber die Nachteile aufzuer¬
legen. Wer dabei den Vorteil seines Volkes richtig erkennt und ihn allein
zum Ziel seiner politischen Maßregeln macht, ist der Anerkennung und bei Er¬
folgen auch der Dankbarkeit seiner Nation sicher. Seine Handlungsweise wird
von seinen Mitbürgern als patriotisch bewundert, auch wenn sie so ist, daß
ein anständiger Mann sie seines eignen Vorteils halber nicht üben würde.

Die auswärtige Politik hat außer der Erhaltung des staatlichen Ansehens
meist sehr reale Güter im Auge, sie ist vielfach ein Ringen um die Förderung
des Volkswohlstandes geworden. Sentimentalität und Zartgefühl in der Wahl
ihrer Mittel sind deshalb bei ihr nicht angebracht; das deutsche Sprichwort:
Besser Unrecht leiden, als Unrecht thun, gehört nicht unter die Gebote der
Weltpolitik. Daß einet solchen Politik Anfeindungen durch andre und be¬
sonders durch benachteiligte Staaten und deren Presse nicht fehlen, und daß
sie in schärfster Form nur unter dem Schutz einer starken See- und Landmacht
getrieben werden kann, ist wohl klar. Unsre Erde ist nicht unendlich und hat
leider keinen unbeschränkten Wohnraum für die weiße Rasse. Folglich muß
"me solche Politik der Selbstsucht immer mehr eine Notwendigkeit für alle
Staaten mit starker Bevölkerungszahl werden, die sich für die Zukunft eine
Großmachtstelluug sichern wollen.

Da eine so fürsorgliche Politik nicht bloß das zukünftige, sondern auch
das gegenwärtige Wohl des Volkes bedenkt, so wird sie ihre Ziele statt durch


Grenzboten IV 1M7 50


England und Deutschland

n dem heutigen Verkehr der Kulturvölker bedeutet auswärtige
und Weltpolitik zu treiben für eine Regierung oder eiuen Staats¬
mann kaum etwas andres, als mehr oder weniger versteckte oder
offenkundige Vorteile für den eignen Staat zu behaupten oder
anzustreben, andern Staaten dagegen aber die Nachteile aufzuer¬
legen. Wer dabei den Vorteil seines Volkes richtig erkennt und ihn allein
zum Ziel seiner politischen Maßregeln macht, ist der Anerkennung und bei Er¬
folgen auch der Dankbarkeit seiner Nation sicher. Seine Handlungsweise wird
von seinen Mitbürgern als patriotisch bewundert, auch wenn sie so ist, daß
ein anständiger Mann sie seines eignen Vorteils halber nicht üben würde.

Die auswärtige Politik hat außer der Erhaltung des staatlichen Ansehens
meist sehr reale Güter im Auge, sie ist vielfach ein Ringen um die Förderung
des Volkswohlstandes geworden. Sentimentalität und Zartgefühl in der Wahl
ihrer Mittel sind deshalb bei ihr nicht angebracht; das deutsche Sprichwort:
Besser Unrecht leiden, als Unrecht thun, gehört nicht unter die Gebote der
Weltpolitik. Daß einet solchen Politik Anfeindungen durch andre und be¬
sonders durch benachteiligte Staaten und deren Presse nicht fehlen, und daß
sie in schärfster Form nur unter dem Schutz einer starken See- und Landmacht
getrieben werden kann, ist wohl klar. Unsre Erde ist nicht unendlich und hat
leider keinen unbeschränkten Wohnraum für die weiße Rasse. Folglich muß
«me solche Politik der Selbstsucht immer mehr eine Notwendigkeit für alle
Staaten mit starker Bevölkerungszahl werden, die sich für die Zukunft eine
Großmachtstelluug sichern wollen.

Da eine so fürsorgliche Politik nicht bloß das zukünftige, sondern auch
das gegenwärtige Wohl des Volkes bedenkt, so wird sie ihre Ziele statt durch


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[0403] [Abbildung] England und Deutschland n dem heutigen Verkehr der Kulturvölker bedeutet auswärtige und Weltpolitik zu treiben für eine Regierung oder eiuen Staats¬ mann kaum etwas andres, als mehr oder weniger versteckte oder offenkundige Vorteile für den eignen Staat zu behaupten oder anzustreben, andern Staaten dagegen aber die Nachteile aufzuer¬ legen. Wer dabei den Vorteil seines Volkes richtig erkennt und ihn allein zum Ziel seiner politischen Maßregeln macht, ist der Anerkennung und bei Er¬ folgen auch der Dankbarkeit seiner Nation sicher. Seine Handlungsweise wird von seinen Mitbürgern als patriotisch bewundert, auch wenn sie so ist, daß ein anständiger Mann sie seines eignen Vorteils halber nicht üben würde. Die auswärtige Politik hat außer der Erhaltung des staatlichen Ansehens meist sehr reale Güter im Auge, sie ist vielfach ein Ringen um die Förderung des Volkswohlstandes geworden. Sentimentalität und Zartgefühl in der Wahl ihrer Mittel sind deshalb bei ihr nicht angebracht; das deutsche Sprichwort: Besser Unrecht leiden, als Unrecht thun, gehört nicht unter die Gebote der Weltpolitik. Daß einet solchen Politik Anfeindungen durch andre und be¬ sonders durch benachteiligte Staaten und deren Presse nicht fehlen, und daß sie in schärfster Form nur unter dem Schutz einer starken See- und Landmacht getrieben werden kann, ist wohl klar. Unsre Erde ist nicht unendlich und hat leider keinen unbeschränkten Wohnraum für die weiße Rasse. Folglich muß «me solche Politik der Selbstsucht immer mehr eine Notwendigkeit für alle Staaten mit starker Bevölkerungszahl werden, die sich für die Zukunft eine Großmachtstelluug sichern wollen. Da eine so fürsorgliche Politik nicht bloß das zukünftige, sondern auch das gegenwärtige Wohl des Volkes bedenkt, so wird sie ihre Ziele statt durch Grenzboten IV 1M7 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/403>, abgerufen am 22.07.2024.