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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Anthropologische Fragen

n den Aufsätzen über den Neudarwinismus und über die Weis-
mannsche Vererbungstheorie (Heft 24 bis 29 der Grenzboten)
glauben wir nachgewiesen zu haben, daß die biologischen Hypo¬
thesen von den physikalischen und astronomischen grundverschieden
sind, und daß ihnen weder die relative Sicherheit dieser noch
ein ähnlicher Gebrauchswert zukommt, daß insbesondre die VercrbungStheorien
keine Lösungen, sondern nur neue Fragestellungen sind, daß die Bildung neuer
Arten auf dem Wege der Entwicklung ohne Vererbung crworbner Eigenschaften
undeukbcir ist, und daß selbst Weismann eine Nichtvererbbarkeit erworbner
Eigenschaften, wie sie von einigen neuern Soziologen behauptet wird, niemals
gelehrt hat. Nachdem diese Aufsätze schon veröffentlicht waren, siel dem Ver¬
fasser die erst in diesem Jahre erschienene zweite Auflage von Wundes System
der Philosophie in die Hände, und darin fand er nun zu seiner Freude, daß
dieser auerkannt bedeutendste nnter den lebenden deutschen Physiologen genan
derselben Ansicht ist. Wenn man die nachstehenden Sätze aus seinem Buche
mit unsrer Darstellung vergleicht, so wird man finden, daß beides bis auf
das Tüpfelchen über dem i übereinstimmt. Vorausschicken wollen wir, daß
er (auf S. 285 ff.) zeigt, wie weit man noch davon entfernt sei, mit reiner
Mechanik auch nur die Erscheinungen der unorganischen Natur erklärt zu
haben, und wie unbestimmt und leer der Hilfsbegrisf der Energie ist, mit dem
wir die Lücke ausfüllen, wo uns die Mechanik im Stich läßt, und daß er auf
Seite 333 äußert, allein schon die erste Entstehung der organischen Zweck¬
mäßigkeit fordere einen sie anregenden zwecksetzendcn Willen.

Was also die Vererbung anbetrifft, so schreibt Wunde (in der Anmerkung
auf Seite 320): "In dem Streit der Anhänger einer bloß äußern Natur-
züchtung und der bedingten Lcnnarckisten hat ursprünglich die Frage der Ver¬
erbung erworbner Eigenschaften, die von den erster" verneinend, von den
letztern bejahend beantwortet wurde, die Hauptrolle gespielt. Ju der That ist
klar, daß, wenn es eine Vererbung erworbner Eigenschaft ^so!) überhaupt nicht
gäbe, die Lamarcksche Hypothese hinfällig würde, weil eine Steigerung der durch
individuelle Übung erworbnen Eigenschaften nicht mehr stattfinden könnte. Die
ursprünglichen Gegensätze haben sich aber hier, wie namentlich aus der zwischen




Anthropologische Fragen

n den Aufsätzen über den Neudarwinismus und über die Weis-
mannsche Vererbungstheorie (Heft 24 bis 29 der Grenzboten)
glauben wir nachgewiesen zu haben, daß die biologischen Hypo¬
thesen von den physikalischen und astronomischen grundverschieden
sind, und daß ihnen weder die relative Sicherheit dieser noch
ein ähnlicher Gebrauchswert zukommt, daß insbesondre die VercrbungStheorien
keine Lösungen, sondern nur neue Fragestellungen sind, daß die Bildung neuer
Arten auf dem Wege der Entwicklung ohne Vererbung crworbner Eigenschaften
undeukbcir ist, und daß selbst Weismann eine Nichtvererbbarkeit erworbner
Eigenschaften, wie sie von einigen neuern Soziologen behauptet wird, niemals
gelehrt hat. Nachdem diese Aufsätze schon veröffentlicht waren, siel dem Ver¬
fasser die erst in diesem Jahre erschienene zweite Auflage von Wundes System
der Philosophie in die Hände, und darin fand er nun zu seiner Freude, daß
dieser auerkannt bedeutendste nnter den lebenden deutschen Physiologen genan
derselben Ansicht ist. Wenn man die nachstehenden Sätze aus seinem Buche
mit unsrer Darstellung vergleicht, so wird man finden, daß beides bis auf
das Tüpfelchen über dem i übereinstimmt. Vorausschicken wollen wir, daß
er (auf S. 285 ff.) zeigt, wie weit man noch davon entfernt sei, mit reiner
Mechanik auch nur die Erscheinungen der unorganischen Natur erklärt zu
haben, und wie unbestimmt und leer der Hilfsbegrisf der Energie ist, mit dem
wir die Lücke ausfüllen, wo uns die Mechanik im Stich läßt, und daß er auf
Seite 333 äußert, allein schon die erste Entstehung der organischen Zweck¬
mäßigkeit fordere einen sie anregenden zwecksetzendcn Willen.

Was also die Vererbung anbetrifft, so schreibt Wunde (in der Anmerkung
auf Seite 320): „In dem Streit der Anhänger einer bloß äußern Natur-
züchtung und der bedingten Lcnnarckisten hat ursprünglich die Frage der Ver¬
erbung erworbner Eigenschaften, die von den erster» verneinend, von den
letztern bejahend beantwortet wurde, die Hauptrolle gespielt. Ju der That ist
klar, daß, wenn es eine Vererbung erworbner Eigenschaft ^so!) überhaupt nicht
gäbe, die Lamarcksche Hypothese hinfällig würde, weil eine Steigerung der durch
individuelle Übung erworbnen Eigenschaften nicht mehr stattfinden könnte. Die
ursprünglichen Gegensätze haben sich aber hier, wie namentlich aus der zwischen


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[0382] [Abbildung] Anthropologische Fragen n den Aufsätzen über den Neudarwinismus und über die Weis- mannsche Vererbungstheorie (Heft 24 bis 29 der Grenzboten) glauben wir nachgewiesen zu haben, daß die biologischen Hypo¬ thesen von den physikalischen und astronomischen grundverschieden sind, und daß ihnen weder die relative Sicherheit dieser noch ein ähnlicher Gebrauchswert zukommt, daß insbesondre die VercrbungStheorien keine Lösungen, sondern nur neue Fragestellungen sind, daß die Bildung neuer Arten auf dem Wege der Entwicklung ohne Vererbung crworbner Eigenschaften undeukbcir ist, und daß selbst Weismann eine Nichtvererbbarkeit erworbner Eigenschaften, wie sie von einigen neuern Soziologen behauptet wird, niemals gelehrt hat. Nachdem diese Aufsätze schon veröffentlicht waren, siel dem Ver¬ fasser die erst in diesem Jahre erschienene zweite Auflage von Wundes System der Philosophie in die Hände, und darin fand er nun zu seiner Freude, daß dieser auerkannt bedeutendste nnter den lebenden deutschen Physiologen genan derselben Ansicht ist. Wenn man die nachstehenden Sätze aus seinem Buche mit unsrer Darstellung vergleicht, so wird man finden, daß beides bis auf das Tüpfelchen über dem i übereinstimmt. Vorausschicken wollen wir, daß er (auf S. 285 ff.) zeigt, wie weit man noch davon entfernt sei, mit reiner Mechanik auch nur die Erscheinungen der unorganischen Natur erklärt zu haben, und wie unbestimmt und leer der Hilfsbegrisf der Energie ist, mit dem wir die Lücke ausfüllen, wo uns die Mechanik im Stich läßt, und daß er auf Seite 333 äußert, allein schon die erste Entstehung der organischen Zweck¬ mäßigkeit fordere einen sie anregenden zwecksetzendcn Willen. Was also die Vererbung anbetrifft, so schreibt Wunde (in der Anmerkung auf Seite 320): „In dem Streit der Anhänger einer bloß äußern Natur- züchtung und der bedingten Lcnnarckisten hat ursprünglich die Frage der Ver¬ erbung erworbner Eigenschaften, die von den erster» verneinend, von den letztern bejahend beantwortet wurde, die Hauptrolle gespielt. Ju der That ist klar, daß, wenn es eine Vererbung erworbner Eigenschaft ^so!) überhaupt nicht gäbe, die Lamarcksche Hypothese hinfällig würde, weil eine Steigerung der durch individuelle Übung erworbnen Eigenschaften nicht mehr stattfinden könnte. Die ursprünglichen Gegensätze haben sich aber hier, wie namentlich aus der zwischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/382>, abgerufen am 22.07.2024.