Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.Koalitionsrecht und Koalitionspraxis cum ein Mann wie Dr. von Rottenburg in einer an sozial¬ In dem ersten Artikel, den Rottenburg unter der Überschrift "Die Koa¬ Koalitionsrecht und Koalitionspraxis cum ein Mann wie Dr. von Rottenburg in einer an sozial¬ In dem ersten Artikel, den Rottenburg unter der Überschrift „Die Koa¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226606"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341865_226231/figures/grenzboten_341865_226231_226606_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Koalitionsrecht und Koalitionspraxis</head><lb/> <p xml:id="ID_936"> cum ein Mann wie Dr. von Rottenburg in einer an sozial¬<lb/> politischen Parteikämpfen so reichen Zeit öffentlich, in der Presse,<lb/> für die Koalitionsfreiheit der Arbeiter eintritt, so ist das ohne<lb/> Zweifel eine Erscheinung von außerordentlicher Bedeutung.<lb/> Dr. von Rottenburg gehört nicht zu der großen Masse sozial¬<lb/> politischer Forscher und Kämpfer, deren staatsmännischcr Thatendrang in um¬<lb/> gekehrtem Verhältnis zur ihrer staatsmännischen Erfahrung steht. Er ist ein<lb/> Mann mit juristischer Bildung, mit langer Veamtenschulung in der Verwal¬<lb/> tung, ein Schüler des größten Staatsmanns, den Deutschland jemals gesehen<lb/> hat, Bismarcks, in ganz besonderm Sinne, da er jahrelang als Vorstand der<lb/> Reichskanzlei die Stelle des intimsten und unmittelbarsten Dienstuntergebnen<lb/> des großen Kanzlers ausgefüllt hat. Aber Dr. von Rottenburg ist ein Mensch,<lb/> und ein Mensch kann sich irren, kann sich sogar in irrige Auffassungen ver¬<lb/> rennen — ist das doch auch seinem großen Lehrmeister nicht erspart geblieben —,<lb/> und vollends kann das auf einem Gebiete geschehen, das der Gefahr einseitiger<lb/> persönlicher Empfindungen und Vorstellungen so stark ausgesetzt ist, wie das<lb/> der sozialen Fragen. Je höher man eine Person schätzt, um so tiefer wird<lb/> man ihre Irrtümer bedauern, um so nachdrücklicher diese Irrtümer bekämpfen<lb/> müssen. Dabei ist dann die Person ganz außer Betracht zu lassen und die<lb/> Sache allein zu beurteilen, mag es sich um Ansichten Bismarcks oder Notten-<lb/> burgs, Schmollers oder Schippels handeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_937" next="#ID_938"> In dem ersten Artikel, den Rottenburg unter der Überschrift „Die Koa¬<lb/> litionsfreiheit" in der Sozialen Praxis vom 21. Oktober d. I. veröffentlicht<lb/> hat, ist gleich am Eingang mit dankenswerter Schärfe die Grundlage und der<lb/> Grundzug seiner Anschanung und damit zugleich seines Irrtums ausgesprochen.<lb/> Der Artikel geht davon aus, daß nach dem heute geltenden Rechte nur solche<lb/> Vereinigungen und Verscimmlnngen freigegeben sind, die die Erlangung gün¬<lb/> stiger Lohn- und Arbeitsbedingungen für die Arbeiter oder für die Arbeitgeber<lb/> „durch unmittelbare Einwirkung auf den andern Teil zum Zweck haben und<lb/> sich auf die Veränderung der Bedingungen der Lohn- und Arbeitsverträge<lb/> in einem bestimmten Arbeitsverhültnis oder einem bestimmten Gewerbszweig<lb/> oder an einem bestimmten Orte beziehen." Sobald Vereine oder Versamm-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0376]
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Koalitionsrecht und Koalitionspraxis
cum ein Mann wie Dr. von Rottenburg in einer an sozial¬
politischen Parteikämpfen so reichen Zeit öffentlich, in der Presse,
für die Koalitionsfreiheit der Arbeiter eintritt, so ist das ohne
Zweifel eine Erscheinung von außerordentlicher Bedeutung.
Dr. von Rottenburg gehört nicht zu der großen Masse sozial¬
politischer Forscher und Kämpfer, deren staatsmännischcr Thatendrang in um¬
gekehrtem Verhältnis zur ihrer staatsmännischen Erfahrung steht. Er ist ein
Mann mit juristischer Bildung, mit langer Veamtenschulung in der Verwal¬
tung, ein Schüler des größten Staatsmanns, den Deutschland jemals gesehen
hat, Bismarcks, in ganz besonderm Sinne, da er jahrelang als Vorstand der
Reichskanzlei die Stelle des intimsten und unmittelbarsten Dienstuntergebnen
des großen Kanzlers ausgefüllt hat. Aber Dr. von Rottenburg ist ein Mensch,
und ein Mensch kann sich irren, kann sich sogar in irrige Auffassungen ver¬
rennen — ist das doch auch seinem großen Lehrmeister nicht erspart geblieben —,
und vollends kann das auf einem Gebiete geschehen, das der Gefahr einseitiger
persönlicher Empfindungen und Vorstellungen so stark ausgesetzt ist, wie das
der sozialen Fragen. Je höher man eine Person schätzt, um so tiefer wird
man ihre Irrtümer bedauern, um so nachdrücklicher diese Irrtümer bekämpfen
müssen. Dabei ist dann die Person ganz außer Betracht zu lassen und die
Sache allein zu beurteilen, mag es sich um Ansichten Bismarcks oder Notten-
burgs, Schmollers oder Schippels handeln.
In dem ersten Artikel, den Rottenburg unter der Überschrift „Die Koa¬
litionsfreiheit" in der Sozialen Praxis vom 21. Oktober d. I. veröffentlicht
hat, ist gleich am Eingang mit dankenswerter Schärfe die Grundlage und der
Grundzug seiner Anschanung und damit zugleich seines Irrtums ausgesprochen.
Der Artikel geht davon aus, daß nach dem heute geltenden Rechte nur solche
Vereinigungen und Verscimmlnngen freigegeben sind, die die Erlangung gün¬
stiger Lohn- und Arbeitsbedingungen für die Arbeiter oder für die Arbeitgeber
„durch unmittelbare Einwirkung auf den andern Teil zum Zweck haben und
sich auf die Veränderung der Bedingungen der Lohn- und Arbeitsverträge
in einem bestimmten Arbeitsverhültnis oder einem bestimmten Gewerbszweig
oder an einem bestimmten Orte beziehen." Sobald Vereine oder Versamm-
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