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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Der Reichskanzler und das preußische Ministerium
(Schlich)

er Reichskanzler muß in Preußen Ministerpräsident und zu¬
gleich Borstcmd des Ministeriums sein, das jetzt Preußisches
Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten heißt, aber rich¬
tiger Preußisches Ministerium für Bnndesangelegenheiten heißen
sollte. Ohne diese preußische .Hausmacht hat der Reichskanzler
rechtlich gar keinen und thatsächlich keinen genügenden Einfluß auf die
Reichsgesetzgebung; er hat sie auch dazu nötig, mit den außerpreußischen
Bundesstaaten ein bundesmäßiges Verhältnis zu Pflegen. Die ministerielle
Leitung der Reichsexekutive hat der Reichskanzler von Verfassnngs wegen, die
obern Reichsämter siud ihm als Organe der Reichsexekutive untergeordnet, er
kann rechtlich und thatsächlich in jedem von ihnen selber verfügen, allen gegen¬
über hat er die Stellung des englischen Premierministers. Das Auswärtige
Amt des Reichs ist in alledem nicht anders gestellt als jedes andre Reichs¬
amt, vom Reichskanzler hängt es ab, in welchem Umfang er in den Geschäfts¬
gang der auswärtigen Politik des Reichs eingreift; nach Zeit und Umständen
kaun es angebracht sein, daß er in den Geschäftsgang andrer Reichsämter
häufiger und tiefer eingreift. Es ist deshalb nicht nötig, daß der Reichs¬
kanzler ans dem diplomatischen Dienst genommen werde, nach Zeit und Um¬
ständen kann eine andre Schulung wichtiger sein. Die Verbindung, worin
das in Berlin thätige Personal des preußischen Ministeriums der auswärtigen
Angelegenheiten mit dem Auswärtigen Amt des Reichs steht, ist hergebracht,
weil bisher sämtliche Reichskanzler die auswärtige Politik des Reichs als ihre
Spezialität angesehen haben; diese Verbindung verschleiert jedoch das wirkliche
Wesen der rechtlichen Zuständigkeiten und wird sich auch als Verwaltuugs-
hindernis fühlbar machen, wenn die Spezialthätigkeit des Reichskanzlers eine
andre Richtung nimmt. Dann ist Trennung, und zwar endgiltige, ange¬
bracht; der Geschäftsverkehr mit den preußischen Gesandtschaften geht dann
vom Ressort selbst aus, ihr diplomatischer Charakter ist jedoch beizubehalten,
weil er ein wesentliches Stück zur Erfüllung ihrer Aufgabe ist.

Was die politische Lage so schwierig macht, hat seineu Grund nicht in
den Beziehungen zum Auslande, sondern in innern Verwicklungen. Für den


Grenzboten IV I8!)7 ^7


Der Reichskanzler und das preußische Ministerium
(Schlich)

er Reichskanzler muß in Preußen Ministerpräsident und zu¬
gleich Borstcmd des Ministeriums sein, das jetzt Preußisches
Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten heißt, aber rich¬
tiger Preußisches Ministerium für Bnndesangelegenheiten heißen
sollte. Ohne diese preußische .Hausmacht hat der Reichskanzler
rechtlich gar keinen und thatsächlich keinen genügenden Einfluß auf die
Reichsgesetzgebung; er hat sie auch dazu nötig, mit den außerpreußischen
Bundesstaaten ein bundesmäßiges Verhältnis zu Pflegen. Die ministerielle
Leitung der Reichsexekutive hat der Reichskanzler von Verfassnngs wegen, die
obern Reichsämter siud ihm als Organe der Reichsexekutive untergeordnet, er
kann rechtlich und thatsächlich in jedem von ihnen selber verfügen, allen gegen¬
über hat er die Stellung des englischen Premierministers. Das Auswärtige
Amt des Reichs ist in alledem nicht anders gestellt als jedes andre Reichs¬
amt, vom Reichskanzler hängt es ab, in welchem Umfang er in den Geschäfts¬
gang der auswärtigen Politik des Reichs eingreift; nach Zeit und Umständen
kaun es angebracht sein, daß er in den Geschäftsgang andrer Reichsämter
häufiger und tiefer eingreift. Es ist deshalb nicht nötig, daß der Reichs¬
kanzler ans dem diplomatischen Dienst genommen werde, nach Zeit und Um¬
ständen kann eine andre Schulung wichtiger sein. Die Verbindung, worin
das in Berlin thätige Personal des preußischen Ministeriums der auswärtigen
Angelegenheiten mit dem Auswärtigen Amt des Reichs steht, ist hergebracht,
weil bisher sämtliche Reichskanzler die auswärtige Politik des Reichs als ihre
Spezialität angesehen haben; diese Verbindung verschleiert jedoch das wirkliche
Wesen der rechtlichen Zuständigkeiten und wird sich auch als Verwaltuugs-
hindernis fühlbar machen, wenn die Spezialthätigkeit des Reichskanzlers eine
andre Richtung nimmt. Dann ist Trennung, und zwar endgiltige, ange¬
bracht; der Geschäftsverkehr mit den preußischen Gesandtschaften geht dann
vom Ressort selbst aus, ihr diplomatischer Charakter ist jedoch beizubehalten,
weil er ein wesentliches Stück zur Erfüllung ihrer Aufgabe ist.

Was die politische Lage so schwierig macht, hat seineu Grund nicht in
den Beziehungen zum Auslande, sondern in innern Verwicklungen. Für den


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[0217] [Abbildung] Der Reichskanzler und das preußische Ministerium (Schlich) er Reichskanzler muß in Preußen Ministerpräsident und zu¬ gleich Borstcmd des Ministeriums sein, das jetzt Preußisches Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten heißt, aber rich¬ tiger Preußisches Ministerium für Bnndesangelegenheiten heißen sollte. Ohne diese preußische .Hausmacht hat der Reichskanzler rechtlich gar keinen und thatsächlich keinen genügenden Einfluß auf die Reichsgesetzgebung; er hat sie auch dazu nötig, mit den außerpreußischen Bundesstaaten ein bundesmäßiges Verhältnis zu Pflegen. Die ministerielle Leitung der Reichsexekutive hat der Reichskanzler von Verfassnngs wegen, die obern Reichsämter siud ihm als Organe der Reichsexekutive untergeordnet, er kann rechtlich und thatsächlich in jedem von ihnen selber verfügen, allen gegen¬ über hat er die Stellung des englischen Premierministers. Das Auswärtige Amt des Reichs ist in alledem nicht anders gestellt als jedes andre Reichs¬ amt, vom Reichskanzler hängt es ab, in welchem Umfang er in den Geschäfts¬ gang der auswärtigen Politik des Reichs eingreift; nach Zeit und Umständen kaun es angebracht sein, daß er in den Geschäftsgang andrer Reichsämter häufiger und tiefer eingreift. Es ist deshalb nicht nötig, daß der Reichs¬ kanzler ans dem diplomatischen Dienst genommen werde, nach Zeit und Um¬ ständen kann eine andre Schulung wichtiger sein. Die Verbindung, worin das in Berlin thätige Personal des preußischen Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten mit dem Auswärtigen Amt des Reichs steht, ist hergebracht, weil bisher sämtliche Reichskanzler die auswärtige Politik des Reichs als ihre Spezialität angesehen haben; diese Verbindung verschleiert jedoch das wirkliche Wesen der rechtlichen Zuständigkeiten und wird sich auch als Verwaltuugs- hindernis fühlbar machen, wenn die Spezialthätigkeit des Reichskanzlers eine andre Richtung nimmt. Dann ist Trennung, und zwar endgiltige, ange¬ bracht; der Geschäftsverkehr mit den preußischen Gesandtschaften geht dann vom Ressort selbst aus, ihr diplomatischer Charakter ist jedoch beizubehalten, weil er ein wesentliches Stück zur Erfüllung ihrer Aufgabe ist. Was die politische Lage so schwierig macht, hat seineu Grund nicht in den Beziehungen zum Auslande, sondern in innern Verwicklungen. Für den Grenzboten IV I8!)7 ^7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/217>, abgerufen am 22.07.2024.