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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Der Reichskanzler und das preußische Ministerium"

Reichskanzler ergiebt das gleichsam eine politische Frontveränderung, wahr¬
scheinlich auf längere Zeit. Es ist die Umkehrung dessen, was lange Jahre
bestanden hat, ucimentlich während der Zeit, wo Staatsminister Delbrück an
der Spitze des Neichskanzlercimts stand. Die Konsequenz, daß nunmehr dem
Auswärtigen Amt dieselbe Bewegungsfreiheit gelassen werden kann wie damals
dem Reichskanzleramt, drängt sich von selbst auf, und ihr Gewicht wird noch
dadurch verstärkt, daß der auswärtige Dienst in der Bismarckischen Tradition
einen festen und dauernden Wegweiser hat, der eine ständig eingreifende Ober¬
leitung des jeweiligen Reichskanzlers entbehrlich macht. Wenn daher der
Reichskanzler den Schwerpunkt seiner besondern Thätigkeit in die andern Reichs-
ämter verlegen kann und durch die politische Lage darauf hingewiesen wird,
so ist es natürlich, daß auch die Kenntnisse und Erfahrungen, die auf dem
entsprechenden Boden erworben werden, für die Vesctzungsfragc wichtiger sind
als diplomatische Schulung und die Vertrautheit mit den bestimmenden Kräften
im Leben des Auslands. Mehr als sie bedeutet jetzt die Vertrautheit mit
den Bedürfnissen und den Hilfs- und Heilmitteln unsers eignen Staatslebens;
el" Manu, der wie Fürst Bismnrck beide Gebiete beherrscht, bleibt, ganz ab¬
gesehen von der Geisteskraft, eine Ausnahmepersöulichleit. Dann ist auch die
Zahl der Kandidaten "aus Züchtung des innern Dienstes," dessen breitern
Raum entsprechend, größer, die Auswahl also nicht so beschränkt, und es
finden sich darunter, weil sie im Inlande gewirkt haben, eher Männer, die
als weitere Mitgift Persoualkeuutnis und persönliches Ansehen mitbringen, im
Bundesrat z. B. und im Reichstag. Wieviel hat doch Fürst Hohenlohe vor
Graf Caprivi schon dadurch vorausgehabt, daß es sich bei seiner plötzlichen
Berufung nach Berlin für jedermann von selbst verstand, es könne ihm gar
keine andre Stellung angeboten werden als die des Reichskanzlers, sonst müsse
man auf ihn verzichten! War dieses hohe Ansehen nicht eine sehr wertvolle
Zugabe, und war es uicht weniger in dem hohen Rang und in der diploma¬
tischen Vergangenheit seines Trägers begründet, als in seiner sonst erworbnen
Auszeichnung: als bairischer Ministerpräsident, als Reichstagsabgeordneter, als
Statthalter, als Vertrauensmann vieler Bundesfürsten, namentlich der süd¬
deutschen? Einem llvino irovus, und Graf Caprivi war nicht viel mehr, kann
der Mangel an Ansehen für eine längere Übergangszeit dnrch nichts ersetzt
werden, nicht durch die glänzendsten Eigenschaften, nicht einmal durch das höchste
Maß von kaiserlichem Vertrauen, denn persönliches Ansehen im politischen
Leben läßt sich nicht verleihen, sondern will erworben sein. Sind nun unter
unserm hochgestellten Diplomaten ähnlich ausgestattete Männer noch vorhanden?
Nur der Botschafter Graf Hatzfeld zählt zu seinen sonstigen Vorzügen noch
den Ruf, sich auch in Berlin ausgezeichnet zu haben.

In welchem Zweige des innern Dienstes die Qualifikation, wenn dieser
Ausdruck hierher übertragen werdeu darf, erworben worden ist, dürfte weniger


Der Reichskanzler und das preußische Ministerium»

Reichskanzler ergiebt das gleichsam eine politische Frontveränderung, wahr¬
scheinlich auf längere Zeit. Es ist die Umkehrung dessen, was lange Jahre
bestanden hat, ucimentlich während der Zeit, wo Staatsminister Delbrück an
der Spitze des Neichskanzlercimts stand. Die Konsequenz, daß nunmehr dem
Auswärtigen Amt dieselbe Bewegungsfreiheit gelassen werden kann wie damals
dem Reichskanzleramt, drängt sich von selbst auf, und ihr Gewicht wird noch
dadurch verstärkt, daß der auswärtige Dienst in der Bismarckischen Tradition
einen festen und dauernden Wegweiser hat, der eine ständig eingreifende Ober¬
leitung des jeweiligen Reichskanzlers entbehrlich macht. Wenn daher der
Reichskanzler den Schwerpunkt seiner besondern Thätigkeit in die andern Reichs-
ämter verlegen kann und durch die politische Lage darauf hingewiesen wird,
so ist es natürlich, daß auch die Kenntnisse und Erfahrungen, die auf dem
entsprechenden Boden erworben werden, für die Vesctzungsfragc wichtiger sind
als diplomatische Schulung und die Vertrautheit mit den bestimmenden Kräften
im Leben des Auslands. Mehr als sie bedeutet jetzt die Vertrautheit mit
den Bedürfnissen und den Hilfs- und Heilmitteln unsers eignen Staatslebens;
el« Manu, der wie Fürst Bismnrck beide Gebiete beherrscht, bleibt, ganz ab¬
gesehen von der Geisteskraft, eine Ausnahmepersöulichleit. Dann ist auch die
Zahl der Kandidaten „aus Züchtung des innern Dienstes," dessen breitern
Raum entsprechend, größer, die Auswahl also nicht so beschränkt, und es
finden sich darunter, weil sie im Inlande gewirkt haben, eher Männer, die
als weitere Mitgift Persoualkeuutnis und persönliches Ansehen mitbringen, im
Bundesrat z. B. und im Reichstag. Wieviel hat doch Fürst Hohenlohe vor
Graf Caprivi schon dadurch vorausgehabt, daß es sich bei seiner plötzlichen
Berufung nach Berlin für jedermann von selbst verstand, es könne ihm gar
keine andre Stellung angeboten werden als die des Reichskanzlers, sonst müsse
man auf ihn verzichten! War dieses hohe Ansehen nicht eine sehr wertvolle
Zugabe, und war es uicht weniger in dem hohen Rang und in der diploma¬
tischen Vergangenheit seines Trägers begründet, als in seiner sonst erworbnen
Auszeichnung: als bairischer Ministerpräsident, als Reichstagsabgeordneter, als
Statthalter, als Vertrauensmann vieler Bundesfürsten, namentlich der süd¬
deutschen? Einem llvino irovus, und Graf Caprivi war nicht viel mehr, kann
der Mangel an Ansehen für eine längere Übergangszeit dnrch nichts ersetzt
werden, nicht durch die glänzendsten Eigenschaften, nicht einmal durch das höchste
Maß von kaiserlichem Vertrauen, denn persönliches Ansehen im politischen
Leben läßt sich nicht verleihen, sondern will erworben sein. Sind nun unter
unserm hochgestellten Diplomaten ähnlich ausgestattete Männer noch vorhanden?
Nur der Botschafter Graf Hatzfeld zählt zu seinen sonstigen Vorzügen noch
den Ruf, sich auch in Berlin ausgezeichnet zu haben.

In welchem Zweige des innern Dienstes die Qualifikation, wenn dieser
Ausdruck hierher übertragen werdeu darf, erworben worden ist, dürfte weniger


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[0218] Der Reichskanzler und das preußische Ministerium» Reichskanzler ergiebt das gleichsam eine politische Frontveränderung, wahr¬ scheinlich auf längere Zeit. Es ist die Umkehrung dessen, was lange Jahre bestanden hat, ucimentlich während der Zeit, wo Staatsminister Delbrück an der Spitze des Neichskanzlercimts stand. Die Konsequenz, daß nunmehr dem Auswärtigen Amt dieselbe Bewegungsfreiheit gelassen werden kann wie damals dem Reichskanzleramt, drängt sich von selbst auf, und ihr Gewicht wird noch dadurch verstärkt, daß der auswärtige Dienst in der Bismarckischen Tradition einen festen und dauernden Wegweiser hat, der eine ständig eingreifende Ober¬ leitung des jeweiligen Reichskanzlers entbehrlich macht. Wenn daher der Reichskanzler den Schwerpunkt seiner besondern Thätigkeit in die andern Reichs- ämter verlegen kann und durch die politische Lage darauf hingewiesen wird, so ist es natürlich, daß auch die Kenntnisse und Erfahrungen, die auf dem entsprechenden Boden erworben werden, für die Vesctzungsfragc wichtiger sind als diplomatische Schulung und die Vertrautheit mit den bestimmenden Kräften im Leben des Auslands. Mehr als sie bedeutet jetzt die Vertrautheit mit den Bedürfnissen und den Hilfs- und Heilmitteln unsers eignen Staatslebens; el« Manu, der wie Fürst Bismnrck beide Gebiete beherrscht, bleibt, ganz ab¬ gesehen von der Geisteskraft, eine Ausnahmepersöulichleit. Dann ist auch die Zahl der Kandidaten „aus Züchtung des innern Dienstes," dessen breitern Raum entsprechend, größer, die Auswahl also nicht so beschränkt, und es finden sich darunter, weil sie im Inlande gewirkt haben, eher Männer, die als weitere Mitgift Persoualkeuutnis und persönliches Ansehen mitbringen, im Bundesrat z. B. und im Reichstag. Wieviel hat doch Fürst Hohenlohe vor Graf Caprivi schon dadurch vorausgehabt, daß es sich bei seiner plötzlichen Berufung nach Berlin für jedermann von selbst verstand, es könne ihm gar keine andre Stellung angeboten werden als die des Reichskanzlers, sonst müsse man auf ihn verzichten! War dieses hohe Ansehen nicht eine sehr wertvolle Zugabe, und war es uicht weniger in dem hohen Rang und in der diploma¬ tischen Vergangenheit seines Trägers begründet, als in seiner sonst erworbnen Auszeichnung: als bairischer Ministerpräsident, als Reichstagsabgeordneter, als Statthalter, als Vertrauensmann vieler Bundesfürsten, namentlich der süd¬ deutschen? Einem llvino irovus, und Graf Caprivi war nicht viel mehr, kann der Mangel an Ansehen für eine längere Übergangszeit dnrch nichts ersetzt werden, nicht durch die glänzendsten Eigenschaften, nicht einmal durch das höchste Maß von kaiserlichem Vertrauen, denn persönliches Ansehen im politischen Leben läßt sich nicht verleihen, sondern will erworben sein. Sind nun unter unserm hochgestellten Diplomaten ähnlich ausgestattete Männer noch vorhanden? Nur der Botschafter Graf Hatzfeld zählt zu seinen sonstigen Vorzügen noch den Ruf, sich auch in Berlin ausgezeichnet zu haben. In welchem Zweige des innern Dienstes die Qualifikation, wenn dieser Ausdruck hierher übertragen werdeu darf, erworben worden ist, dürfte weniger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/218>, abgerufen am 29.06.2024.