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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Lin Gesetz zur staatlichen Selbsterhaltung

ielfach und vielseitig ist schon der Ruf erklungen, der weitern
Ausbreitung der Socialdemokratie als einer Partei des Um¬
sturzes entgegenzutreten, und es sind zu diesem Zweck schon ver-
schiedne Wege eingeschlagen worden. Aber bisher sind alle Be¬
mühungen vergeblich gewesen. Nicht nur daß sich die Zahl der
sozialdemokratischen Abgeordneten im Reichstag zu der ansehnlichen Höhe von
achtundvierzig gesteigert hat: die Sozialdemokratie hat auch schon in die Volks¬
vertretungen der Bundesstaaten und in die Vertretungen der Gemeinden ihren
Einzug gehalten. So sind, um nur ein Beispiel anzuführen, bei der letzten
Wahl zum gothaischen Landtag, der im ganzen aus neunzehn Mitgliedern
besteht, sieben ausgesprochne Anhänger der Sozialdemokratie gewählt worden.

Wie ist ein solches Verhalten eines großen Teils der Wähler des deutschen
Volkes zu erklären? Wie können sie Männer zur Mitwirkung an den wich¬
tigsten Handlungen unsers staatlichen Lebens und Strebens berufen, die es
"sse'n aussprechen, daß sie die ganze Staatsordnung von Grund aus beseitigen
wollen? Wie kommt es, daß gerade in Deutschland die Feinde der bestehenden
Ordnung um so viel zahlreicher sind als anderswo, in Deutschland, das in seiner
ganzen geschichtlichen Entwicklung von Anfang an der monarchischen Staats-
form treu geblieben ist? Und wie ist es möglich, daß gerade in unsrer Zeit
Sozialdemokratie so um sich greift, wo die bestehende Staatsform sich so
bewährt und dem Volke so wertvolle Früchte gereicht hat? Das deutsche
Vaterland ist einig, ist groß und mächtig nach außen, Handel und Verkehr
blühen; der Wohlstand mehrt sich, und die Genüsse des Lebens werden auch
den Armem immer mehr zugänglich; nirgends ist so wie bei uns für die
handarbeitenden Klaffen gesetzliche Fürsorge getroffen bei Krankheit, Unfall,


Grenzboten IV 189? M


Lin Gesetz zur staatlichen Selbsterhaltung

ielfach und vielseitig ist schon der Ruf erklungen, der weitern
Ausbreitung der Socialdemokratie als einer Partei des Um¬
sturzes entgegenzutreten, und es sind zu diesem Zweck schon ver-
schiedne Wege eingeschlagen worden. Aber bisher sind alle Be¬
mühungen vergeblich gewesen. Nicht nur daß sich die Zahl der
sozialdemokratischen Abgeordneten im Reichstag zu der ansehnlichen Höhe von
achtundvierzig gesteigert hat: die Sozialdemokratie hat auch schon in die Volks¬
vertretungen der Bundesstaaten und in die Vertretungen der Gemeinden ihren
Einzug gehalten. So sind, um nur ein Beispiel anzuführen, bei der letzten
Wahl zum gothaischen Landtag, der im ganzen aus neunzehn Mitgliedern
besteht, sieben ausgesprochne Anhänger der Sozialdemokratie gewählt worden.

Wie ist ein solches Verhalten eines großen Teils der Wähler des deutschen
Volkes zu erklären? Wie können sie Männer zur Mitwirkung an den wich¬
tigsten Handlungen unsers staatlichen Lebens und Strebens berufen, die es
"sse'n aussprechen, daß sie die ganze Staatsordnung von Grund aus beseitigen
wollen? Wie kommt es, daß gerade in Deutschland die Feinde der bestehenden
Ordnung um so viel zahlreicher sind als anderswo, in Deutschland, das in seiner
ganzen geschichtlichen Entwicklung von Anfang an der monarchischen Staats-
form treu geblieben ist? Und wie ist es möglich, daß gerade in unsrer Zeit
Sozialdemokratie so um sich greift, wo die bestehende Staatsform sich so
bewährt und dem Volke so wertvolle Früchte gereicht hat? Das deutsche
Vaterland ist einig, ist groß und mächtig nach außen, Handel und Verkehr
blühen; der Wohlstand mehrt sich, und die Genüsse des Lebens werden auch
den Armem immer mehr zugänglich; nirgends ist so wie bei uns für die
handarbeitenden Klaffen gesetzliche Fürsorge getroffen bei Krankheit, Unfall,


Grenzboten IV 189? M
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[0211] [Abbildung] Lin Gesetz zur staatlichen Selbsterhaltung ielfach und vielseitig ist schon der Ruf erklungen, der weitern Ausbreitung der Socialdemokratie als einer Partei des Um¬ sturzes entgegenzutreten, und es sind zu diesem Zweck schon ver- schiedne Wege eingeschlagen worden. Aber bisher sind alle Be¬ mühungen vergeblich gewesen. Nicht nur daß sich die Zahl der sozialdemokratischen Abgeordneten im Reichstag zu der ansehnlichen Höhe von achtundvierzig gesteigert hat: die Sozialdemokratie hat auch schon in die Volks¬ vertretungen der Bundesstaaten und in die Vertretungen der Gemeinden ihren Einzug gehalten. So sind, um nur ein Beispiel anzuführen, bei der letzten Wahl zum gothaischen Landtag, der im ganzen aus neunzehn Mitgliedern besteht, sieben ausgesprochne Anhänger der Sozialdemokratie gewählt worden. Wie ist ein solches Verhalten eines großen Teils der Wähler des deutschen Volkes zu erklären? Wie können sie Männer zur Mitwirkung an den wich¬ tigsten Handlungen unsers staatlichen Lebens und Strebens berufen, die es "sse'n aussprechen, daß sie die ganze Staatsordnung von Grund aus beseitigen wollen? Wie kommt es, daß gerade in Deutschland die Feinde der bestehenden Ordnung um so viel zahlreicher sind als anderswo, in Deutschland, das in seiner ganzen geschichtlichen Entwicklung von Anfang an der monarchischen Staats- form treu geblieben ist? Und wie ist es möglich, daß gerade in unsrer Zeit Sozialdemokratie so um sich greift, wo die bestehende Staatsform sich so bewährt und dem Volke so wertvolle Früchte gereicht hat? Das deutsche Vaterland ist einig, ist groß und mächtig nach außen, Handel und Verkehr blühen; der Wohlstand mehrt sich, und die Genüsse des Lebens werden auch den Armem immer mehr zugänglich; nirgends ist so wie bei uns für die handarbeitenden Klaffen gesetzliche Fürsorge getroffen bei Krankheit, Unfall, Grenzboten IV 189? M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/211>, abgerufen am 22.07.2024.