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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Aus unsrer Vsimark

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Wenn die Ansicht Recht behalten sollte, daß die nächsten Wahlen mit
einer starken Verschiebung zu Gunsten der Extreme verbunden sein werden,
d. h. daß 1898 die Stimme der Verminst und Mäßigung noch uugehörter
Verhalten wird als 1893, so werden im Osten nicht bloß die Reichstags-,
sondern auch die Laudtagswahleu herzlich schlecht ausfallen, um deutsche
Kompromißkandidaten, meist gemäßigter Richtung, durchzusetzen, haben hier
stets die Anhänger bald dieser bald jener Partei Opfer zu bringen gehabt.
Gelang es nur, die Lässigkeit der deutschen UrWähler zu überwinden, was
immer ein schweres Stück Arbeit ist, so gelang unter Umständen die Wahl
eines Deutschen gegen die geschlossen vorgehenden und immer vollzählig auf
dem Plan erscheinenden Polen. Sollten nun übers Jahr die Gemäßigten
geringer an Zahl sein oder sich schwächer am Wahlgeschäft beteiligen oder weniger
Gehör finden, so würden die polnischen Kandidaten bei der Zersplitterung der
Deutschen entweder gleich im ersten Wahlgang oder mit Hilfe von Deutschen
in der Stichwahl durchdringen. Was 1893 nicht in allen, aber recht vielen
Wahlkreisen geschah, daß der Freisinn mit den Polen paktirte und stimmte,
wird dann die ausnahmslose Regel sein; Antisemiten, Agrarier, Soziale und
Sozialdemokraten werden dann das Ihrige zur Zersplitterung der Stimmen und
zur Verminderung der Stimmenzahl der alten Parteien beitragen; viele deutsche
Wähler werden sich in der Verstimmung, wozu sie schon immer neigten,
den Gang ins Wahllokal ersparen. Es ist zu erwarten, daß dann, wie
Vrvmberg und Fraustadt, wo 1893 polnische Kandidaten mit ultramontaner,
sozialdemokratischer oder freisinniger Hilfe durchgedrungen sind, so auch die
letzten drei deutschen Neichstagswahlkreise der Provinz Posen (Meseritz,*) Czar-
nikan und Wirsitz) mit deutscher, auch mit des Zentrums Hilfe in polnische Hände
füllen. In Westpreußen werden auf ähnliche Weise, wie früher Thorn, Graudenz
und Lobau, so jetzt Schlochan und Mariemverder den Polen in die Hände
gespielt werden. Ein schlechter Trost wird dabei sein, daß das Zentrum für
seine Liebesdienste in den Ansiedlungsprovinzen, wo die deutsch-katholischen
Gemeinden so oft unter der Obhut von Geistlichen polnischer Nationalität oder
Gesinnung stehe", in Oberschlesien dnrch den Verlust der Mehrzahl seiner
Mandate an "zielbewußte" Polen belohnt werden wird, denn in letzter Linie
waren die dortigen Zentrumsmänner, wie der Gvnice einmal treffend gesagt
hat, zwar katholisch, aber auch -- deutsch. Was die Landtagswahlen an¬
langt, so werden auch diese infolge von Wahlbündnissen Deutscher mit Polen
schlechter als 1893 ausfallen. Wird die Vereinsgesctzuovelle das Schlagwort



*) In dein Wahlkreise Meseritz-Bomst längs der brandenburgischen Grenze ist die Zahl
der Katholiken, die jn fast durchgängig polnisch wählen, von 1810 bis 1W0 von 44"/,, auf
^ Prozent der Gesamtbevölkerung der beiden Kreise angewachsen.
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Wenn die Ansicht Recht behalten sollte, daß die nächsten Wahlen mit
einer starken Verschiebung zu Gunsten der Extreme verbunden sein werden,
d. h. daß 1898 die Stimme der Verminst und Mäßigung noch uugehörter
Verhalten wird als 1893, so werden im Osten nicht bloß die Reichstags-,
sondern auch die Laudtagswahleu herzlich schlecht ausfallen, um deutsche
Kompromißkandidaten, meist gemäßigter Richtung, durchzusetzen, haben hier
stets die Anhänger bald dieser bald jener Partei Opfer zu bringen gehabt.
Gelang es nur, die Lässigkeit der deutschen UrWähler zu überwinden, was
immer ein schweres Stück Arbeit ist, so gelang unter Umständen die Wahl
eines Deutschen gegen die geschlossen vorgehenden und immer vollzählig auf
dem Plan erscheinenden Polen. Sollten nun übers Jahr die Gemäßigten
geringer an Zahl sein oder sich schwächer am Wahlgeschäft beteiligen oder weniger
Gehör finden, so würden die polnischen Kandidaten bei der Zersplitterung der
Deutschen entweder gleich im ersten Wahlgang oder mit Hilfe von Deutschen
in der Stichwahl durchdringen. Was 1893 nicht in allen, aber recht vielen
Wahlkreisen geschah, daß der Freisinn mit den Polen paktirte und stimmte,
wird dann die ausnahmslose Regel sein; Antisemiten, Agrarier, Soziale und
Sozialdemokraten werden dann das Ihrige zur Zersplitterung der Stimmen und
zur Verminderung der Stimmenzahl der alten Parteien beitragen; viele deutsche
Wähler werden sich in der Verstimmung, wozu sie schon immer neigten,
den Gang ins Wahllokal ersparen. Es ist zu erwarten, daß dann, wie
Vrvmberg und Fraustadt, wo 1893 polnische Kandidaten mit ultramontaner,
sozialdemokratischer oder freisinniger Hilfe durchgedrungen sind, so auch die
letzten drei deutschen Neichstagswahlkreise der Provinz Posen (Meseritz,*) Czar-
nikan und Wirsitz) mit deutscher, auch mit des Zentrums Hilfe in polnische Hände
füllen. In Westpreußen werden auf ähnliche Weise, wie früher Thorn, Graudenz
und Lobau, so jetzt Schlochan und Mariemverder den Polen in die Hände
gespielt werden. Ein schlechter Trost wird dabei sein, daß das Zentrum für
seine Liebesdienste in den Ansiedlungsprovinzen, wo die deutsch-katholischen
Gemeinden so oft unter der Obhut von Geistlichen polnischer Nationalität oder
Gesinnung stehe», in Oberschlesien dnrch den Verlust der Mehrzahl seiner
Mandate an „zielbewußte" Polen belohnt werden wird, denn in letzter Linie
waren die dortigen Zentrumsmänner, wie der Gvnice einmal treffend gesagt
hat, zwar katholisch, aber auch — deutsch. Was die Landtagswahlen an¬
langt, so werden auch diese infolge von Wahlbündnissen Deutscher mit Polen
schlechter als 1893 ausfallen. Wird die Vereinsgesctzuovelle das Schlagwort



*) In dein Wahlkreise Meseritz-Bomst längs der brandenburgischen Grenze ist die Zahl
der Katholiken, die jn fast durchgängig polnisch wählen, von 1810 bis 1W0 von 44"/,, auf
^ Prozent der Gesamtbevölkerung der beiden Kreise angewachsen.
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[0453] Aus unsrer Vsimark 5 Wenn die Ansicht Recht behalten sollte, daß die nächsten Wahlen mit einer starken Verschiebung zu Gunsten der Extreme verbunden sein werden, d. h. daß 1898 die Stimme der Verminst und Mäßigung noch uugehörter Verhalten wird als 1893, so werden im Osten nicht bloß die Reichstags-, sondern auch die Laudtagswahleu herzlich schlecht ausfallen, um deutsche Kompromißkandidaten, meist gemäßigter Richtung, durchzusetzen, haben hier stets die Anhänger bald dieser bald jener Partei Opfer zu bringen gehabt. Gelang es nur, die Lässigkeit der deutschen UrWähler zu überwinden, was immer ein schweres Stück Arbeit ist, so gelang unter Umständen die Wahl eines Deutschen gegen die geschlossen vorgehenden und immer vollzählig auf dem Plan erscheinenden Polen. Sollten nun übers Jahr die Gemäßigten geringer an Zahl sein oder sich schwächer am Wahlgeschäft beteiligen oder weniger Gehör finden, so würden die polnischen Kandidaten bei der Zersplitterung der Deutschen entweder gleich im ersten Wahlgang oder mit Hilfe von Deutschen in der Stichwahl durchdringen. Was 1893 nicht in allen, aber recht vielen Wahlkreisen geschah, daß der Freisinn mit den Polen paktirte und stimmte, wird dann die ausnahmslose Regel sein; Antisemiten, Agrarier, Soziale und Sozialdemokraten werden dann das Ihrige zur Zersplitterung der Stimmen und zur Verminderung der Stimmenzahl der alten Parteien beitragen; viele deutsche Wähler werden sich in der Verstimmung, wozu sie schon immer neigten, den Gang ins Wahllokal ersparen. Es ist zu erwarten, daß dann, wie Vrvmberg und Fraustadt, wo 1893 polnische Kandidaten mit ultramontaner, sozialdemokratischer oder freisinniger Hilfe durchgedrungen sind, so auch die letzten drei deutschen Neichstagswahlkreise der Provinz Posen (Meseritz,*) Czar- nikan und Wirsitz) mit deutscher, auch mit des Zentrums Hilfe in polnische Hände füllen. In Westpreußen werden auf ähnliche Weise, wie früher Thorn, Graudenz und Lobau, so jetzt Schlochan und Mariemverder den Polen in die Hände gespielt werden. Ein schlechter Trost wird dabei sein, daß das Zentrum für seine Liebesdienste in den Ansiedlungsprovinzen, wo die deutsch-katholischen Gemeinden so oft unter der Obhut von Geistlichen polnischer Nationalität oder Gesinnung stehe», in Oberschlesien dnrch den Verlust der Mehrzahl seiner Mandate an „zielbewußte" Polen belohnt werden wird, denn in letzter Linie waren die dortigen Zentrumsmänner, wie der Gvnice einmal treffend gesagt hat, zwar katholisch, aber auch — deutsch. Was die Landtagswahlen an¬ langt, so werden auch diese infolge von Wahlbündnissen Deutscher mit Polen schlechter als 1893 ausfallen. Wird die Vereinsgesctzuovelle das Schlagwort *) In dein Wahlkreise Meseritz-Bomst längs der brandenburgischen Grenze ist die Zahl der Katholiken, die jn fast durchgängig polnisch wählen, von 1810 bis 1W0 von 44"/,, auf ^ Prozent der Gesamtbevölkerung der beiden Kreise angewachsen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/453>, abgerufen am 27.12.2024.