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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Evangelisch-sozial

le Pflicht der Einzelnen -- so hatte ich einen kleinen Aufsatz
überschrieben, den die Grenzboten in Heft 4 dieses Jahrgangs
gebracht haben. Ob viele Grenzbvtenleser diese unzünftigen Ge¬
danken gelesen haben? Wer so altmodische Rezepte wie die
Pflicht der Einzelnen vor modernen Leuten aufwärmt, der darf
sich nicht wundern, wenn er ungelesen bleibt. Und doch ist ohne das alte
Rezept keine rechte Hilfe in unsern sozialen Nöten denkbar, doch bleibt ohne
das Pflichtgefühl der Einzelnen alles Reden und Schreiben, Tagen und
Streiten ein Dreschen leeren Strohs, vergeudete Zeit, wo die Not auf die
Nägel brennt. Das ist mir aus den Verhandlungen des nunmehr "achten"
Evangelisch-sozialen Kongresses wieder klar geworden, ja ich meine, das war
das einzige, jedenfalls das einzig evangelisch-soziale Ergebnis des Kongresses,
und zwar ein wertvolles, durch und durch gesundes, natürliches, die besten
Heilwirkungen verheißendes Ergebnis, mag es immerhin vorläufig von der
Zunft nicht beachtet oder totgeschwiegen werden.

Ein evangelisch-soziales Ergebnis des Kongresses finde ich natürlich nicht
in der Jeremiade Oldenbergs über Deutschland als Industriestaat. Vielleicht
war die Zuhörerschaft ganz dazu angethan, die moderne EleudMalerei, wie sie
der junge Professor der preußischen Staatswissenschaft virtuos handhabt, auf sich
wirken zu lassen; aber mit den Zwecken und Zielen evangelisch-sozialer Be¬
strebungen, man mag sie so weit fassen, wie man will, hatten der Vortrag
und die Debatte über ihn nichts zu thun. Es soll deshalb hier auch nicht
weiter darauf eingegangen werden; es wird sich wohl noch Gelegenheit
finden, solche negative Leistungen von Professoren der Staatsweisheit dein
Positiven Inhalt der Wirtschafts- und Sozialpolitik gegenüber zu würdigen.


Grenzboten III 1897 ^,


Evangelisch-sozial

le Pflicht der Einzelnen — so hatte ich einen kleinen Aufsatz
überschrieben, den die Grenzboten in Heft 4 dieses Jahrgangs
gebracht haben. Ob viele Grenzbvtenleser diese unzünftigen Ge¬
danken gelesen haben? Wer so altmodische Rezepte wie die
Pflicht der Einzelnen vor modernen Leuten aufwärmt, der darf
sich nicht wundern, wenn er ungelesen bleibt. Und doch ist ohne das alte
Rezept keine rechte Hilfe in unsern sozialen Nöten denkbar, doch bleibt ohne
das Pflichtgefühl der Einzelnen alles Reden und Schreiben, Tagen und
Streiten ein Dreschen leeren Strohs, vergeudete Zeit, wo die Not auf die
Nägel brennt. Das ist mir aus den Verhandlungen des nunmehr „achten"
Evangelisch-sozialen Kongresses wieder klar geworden, ja ich meine, das war
das einzige, jedenfalls das einzig evangelisch-soziale Ergebnis des Kongresses,
und zwar ein wertvolles, durch und durch gesundes, natürliches, die besten
Heilwirkungen verheißendes Ergebnis, mag es immerhin vorläufig von der
Zunft nicht beachtet oder totgeschwiegen werden.

Ein evangelisch-soziales Ergebnis des Kongresses finde ich natürlich nicht
in der Jeremiade Oldenbergs über Deutschland als Industriestaat. Vielleicht
war die Zuhörerschaft ganz dazu angethan, die moderne EleudMalerei, wie sie
der junge Professor der preußischen Staatswissenschaft virtuos handhabt, auf sich
wirken zu lassen; aber mit den Zwecken und Zielen evangelisch-sozialer Be¬
strebungen, man mag sie so weit fassen, wie man will, hatten der Vortrag
und die Debatte über ihn nichts zu thun. Es soll deshalb hier auch nicht
weiter darauf eingegangen werden; es wird sich wohl noch Gelegenheit
finden, solche negative Leistungen von Professoren der Staatsweisheit dein
Positiven Inhalt der Wirtschafts- und Sozialpolitik gegenüber zu würdigen.


Grenzboten III 1897 ^,
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[0441] [Abbildung] Evangelisch-sozial le Pflicht der Einzelnen — so hatte ich einen kleinen Aufsatz überschrieben, den die Grenzboten in Heft 4 dieses Jahrgangs gebracht haben. Ob viele Grenzbvtenleser diese unzünftigen Ge¬ danken gelesen haben? Wer so altmodische Rezepte wie die Pflicht der Einzelnen vor modernen Leuten aufwärmt, der darf sich nicht wundern, wenn er ungelesen bleibt. Und doch ist ohne das alte Rezept keine rechte Hilfe in unsern sozialen Nöten denkbar, doch bleibt ohne das Pflichtgefühl der Einzelnen alles Reden und Schreiben, Tagen und Streiten ein Dreschen leeren Strohs, vergeudete Zeit, wo die Not auf die Nägel brennt. Das ist mir aus den Verhandlungen des nunmehr „achten" Evangelisch-sozialen Kongresses wieder klar geworden, ja ich meine, das war das einzige, jedenfalls das einzig evangelisch-soziale Ergebnis des Kongresses, und zwar ein wertvolles, durch und durch gesundes, natürliches, die besten Heilwirkungen verheißendes Ergebnis, mag es immerhin vorläufig von der Zunft nicht beachtet oder totgeschwiegen werden. Ein evangelisch-soziales Ergebnis des Kongresses finde ich natürlich nicht in der Jeremiade Oldenbergs über Deutschland als Industriestaat. Vielleicht war die Zuhörerschaft ganz dazu angethan, die moderne EleudMalerei, wie sie der junge Professor der preußischen Staatswissenschaft virtuos handhabt, auf sich wirken zu lassen; aber mit den Zwecken und Zielen evangelisch-sozialer Be¬ strebungen, man mag sie so weit fassen, wie man will, hatten der Vortrag und die Debatte über ihn nichts zu thun. Es soll deshalb hier auch nicht weiter darauf eingegangen werden; es wird sich wohl noch Gelegenheit finden, solche negative Leistungen von Professoren der Staatsweisheit dein Positiven Inhalt der Wirtschafts- und Sozialpolitik gegenüber zu würdigen. Grenzboten III 1897 ^,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/441>, abgerufen am 23.07.2024.