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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vererbung
(Schluß)

"Wme Bücher und Schriften, die Weismanns Theorie auf die Ge¬
sellschaftslehre angewandt und dadurch in Laienkreisen bekannt
gemacht haben, stellen sie als unwiderleglich bewiesen und all¬
gemein anerkannt hin. Das entspricht den Thatsachen so wenig,
daß Ludwig Büchner in einem Aufsatz über den Neu-Lamarckis-
mus, den er selbst gegenüber den Neu-Darwinianern vertritt (Zukunft Ur. 33),
es gar nicht für der Mühe wert gehalten hat, Weismann auch nur mit einem
Wort zu erwähnen. Und dieser selbst ist, wie alle wirklich großen Gelehrten,
himmelweit entfernt vom Unfehlbarkeitsdünkel. Wir stellen einige Sätze zu¬
sammen, aus denen hervorgeht, wie bescheiden er von seiner Hypothese denkt.
"Diese Biophoren sind nun, wie ich glaube, keineswegs rein hypothetische Ein¬
heiten; sie müssen existiren, denn die Lebenserscheinungen müssen an irgend
welche Einheit der Materie gebunden sein >und Molekeln sind noch keine leben¬
digen Einheiten, es muß also Einheiten einer höhern Ordnung gebend Ich
hebe dies besonders hervor, weil bei einer Theorie der Vererbung, die so viele
nicht sicher begründete Annahmen erfordert, die wenigen festen Punkte, auf
denen wir fußen können, doppelt wertvoll sind" 59--60). "Sobald einmal
darüber Sicherheit gewonnen sein wird, ob meine Annahme richtig ist, daß die
Mikrosomen (Kügelchen) der Kernstäbchen den Iden entsprechen, wird man
hoffen dürfen, auch ihre Zahl bei einzelnen Arten festzustellen" (X 252). X 317
ist von dem Einfluß die Rede, den die Reduktionstcilung auf die Zusammen¬
setzung des Keimplasmas ausübt. Die direkte Beobachtung allein, heißt es
da, "giebt allerdings darüber keinen genügenden Aufschluß, und zwar nicht
bloß deshalb, weil sowohl Ite als Idanten für unser Auge unter einander
gleich aussehen, sondern auch deshalb, weil wir nicht einmal feststellen können,
ob die Idanten der jungen Keimzellen eines neuen Individuums noch dieselben
sind wie die der befruchteten Eizelle, die diesem Organismus den Ursprung
gab, ob also ein Jdant ein bleibendes Gebilde ist, ob ein bestimmter Jdant
derselbe bleibt von einer Generation zur andern." Es fragt sich, schreibt er
V 93, ob wir der Hypothese von der Vererbung erworbner Eigenschaften")



*) Die Vererbung erworbner Eigenschaften ist, obwohl auch Du Bois-Neumond sie so ge¬
nannt hat, keine Hypothese; sie ist entweder eine Thatsache, die man beobachten kann, oder ein
unbegründetes Vorurteil.


Vererbung
(Schluß)

«Wme Bücher und Schriften, die Weismanns Theorie auf die Ge¬
sellschaftslehre angewandt und dadurch in Laienkreisen bekannt
gemacht haben, stellen sie als unwiderleglich bewiesen und all¬
gemein anerkannt hin. Das entspricht den Thatsachen so wenig,
daß Ludwig Büchner in einem Aufsatz über den Neu-Lamarckis-
mus, den er selbst gegenüber den Neu-Darwinianern vertritt (Zukunft Ur. 33),
es gar nicht für der Mühe wert gehalten hat, Weismann auch nur mit einem
Wort zu erwähnen. Und dieser selbst ist, wie alle wirklich großen Gelehrten,
himmelweit entfernt vom Unfehlbarkeitsdünkel. Wir stellen einige Sätze zu¬
sammen, aus denen hervorgeht, wie bescheiden er von seiner Hypothese denkt.
„Diese Biophoren sind nun, wie ich glaube, keineswegs rein hypothetische Ein¬
heiten; sie müssen existiren, denn die Lebenserscheinungen müssen an irgend
welche Einheit der Materie gebunden sein >und Molekeln sind noch keine leben¬
digen Einheiten, es muß also Einheiten einer höhern Ordnung gebend Ich
hebe dies besonders hervor, weil bei einer Theorie der Vererbung, die so viele
nicht sicher begründete Annahmen erfordert, die wenigen festen Punkte, auf
denen wir fußen können, doppelt wertvoll sind" 59—60). „Sobald einmal
darüber Sicherheit gewonnen sein wird, ob meine Annahme richtig ist, daß die
Mikrosomen (Kügelchen) der Kernstäbchen den Iden entsprechen, wird man
hoffen dürfen, auch ihre Zahl bei einzelnen Arten festzustellen" (X 252). X 317
ist von dem Einfluß die Rede, den die Reduktionstcilung auf die Zusammen¬
setzung des Keimplasmas ausübt. Die direkte Beobachtung allein, heißt es
da, „giebt allerdings darüber keinen genügenden Aufschluß, und zwar nicht
bloß deshalb, weil sowohl Ite als Idanten für unser Auge unter einander
gleich aussehen, sondern auch deshalb, weil wir nicht einmal feststellen können,
ob die Idanten der jungen Keimzellen eines neuen Individuums noch dieselben
sind wie die der befruchteten Eizelle, die diesem Organismus den Ursprung
gab, ob also ein Jdant ein bleibendes Gebilde ist, ob ein bestimmter Jdant
derselbe bleibt von einer Generation zur andern." Es fragt sich, schreibt er
V 93, ob wir der Hypothese von der Vererbung erworbner Eigenschaften")



*) Die Vererbung erworbner Eigenschaften ist, obwohl auch Du Bois-Neumond sie so ge¬
nannt hat, keine Hypothese; sie ist entweder eine Thatsache, die man beobachten kann, oder ein
unbegründetes Vorurteil.
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[0130] [Abbildung] Vererbung (Schluß) «Wme Bücher und Schriften, die Weismanns Theorie auf die Ge¬ sellschaftslehre angewandt und dadurch in Laienkreisen bekannt gemacht haben, stellen sie als unwiderleglich bewiesen und all¬ gemein anerkannt hin. Das entspricht den Thatsachen so wenig, daß Ludwig Büchner in einem Aufsatz über den Neu-Lamarckis- mus, den er selbst gegenüber den Neu-Darwinianern vertritt (Zukunft Ur. 33), es gar nicht für der Mühe wert gehalten hat, Weismann auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Und dieser selbst ist, wie alle wirklich großen Gelehrten, himmelweit entfernt vom Unfehlbarkeitsdünkel. Wir stellen einige Sätze zu¬ sammen, aus denen hervorgeht, wie bescheiden er von seiner Hypothese denkt. „Diese Biophoren sind nun, wie ich glaube, keineswegs rein hypothetische Ein¬ heiten; sie müssen existiren, denn die Lebenserscheinungen müssen an irgend welche Einheit der Materie gebunden sein >und Molekeln sind noch keine leben¬ digen Einheiten, es muß also Einheiten einer höhern Ordnung gebend Ich hebe dies besonders hervor, weil bei einer Theorie der Vererbung, die so viele nicht sicher begründete Annahmen erfordert, die wenigen festen Punkte, auf denen wir fußen können, doppelt wertvoll sind" 59—60). „Sobald einmal darüber Sicherheit gewonnen sein wird, ob meine Annahme richtig ist, daß die Mikrosomen (Kügelchen) der Kernstäbchen den Iden entsprechen, wird man hoffen dürfen, auch ihre Zahl bei einzelnen Arten festzustellen" (X 252). X 317 ist von dem Einfluß die Rede, den die Reduktionstcilung auf die Zusammen¬ setzung des Keimplasmas ausübt. Die direkte Beobachtung allein, heißt es da, „giebt allerdings darüber keinen genügenden Aufschluß, und zwar nicht bloß deshalb, weil sowohl Ite als Idanten für unser Auge unter einander gleich aussehen, sondern auch deshalb, weil wir nicht einmal feststellen können, ob die Idanten der jungen Keimzellen eines neuen Individuums noch dieselben sind wie die der befruchteten Eizelle, die diesem Organismus den Ursprung gab, ob also ein Jdant ein bleibendes Gebilde ist, ob ein bestimmter Jdant derselbe bleibt von einer Generation zur andern." Es fragt sich, schreibt er V 93, ob wir der Hypothese von der Vererbung erworbner Eigenschaften") *) Die Vererbung erworbner Eigenschaften ist, obwohl auch Du Bois-Neumond sie so ge¬ nannt hat, keine Hypothese; sie ist entweder eine Thatsache, die man beobachten kann, oder ein unbegründetes Vorurteil.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/130>, abgerufen am 27.12.2024.