Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

Wenn wir stark zur See sind, wird sich England hüten, uns anzugreifen, weil
es selbst verwundbar ist; hat es keinen Schaden am eignen Leibe zu fürchten,
dann wird es bald die Gelegenheit vom Zaune brechen, daß "größere" Deutsch¬
land und damit die Zukunft unsers Volkes zu vernichten.




Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg
von Richard Goldschmidt 4

WZ
Mährend die Sonne zur Rüste geht, haben wir den Gipfel des
Berges erreicht, die Schatten des Abends senken sich auf die
Stadt zu unsern Füßen, die scharfen Schattenbilder der Türme,
die das Hüusermeer überragen, verblassen und heben sich nur
noch schwach von der grauen Dämmerung ab. Hier und dort
erscheinen leuchtende Punkte, die sich mehren, bald hält der strahlende Lichter¬
kranz Auge und Sinnen gefesselt, und die Stadt, in das Dunkel der Nacht
versunken, ist dem Auge entschwunden.

Ganz ähnlich ergeht es unserm geistigen Auge, wenn die Gedanken in die
Vergangenheit schweifen, sie haften an den Lichtpunkten, das übrige bleibt in
Nacht gehüllt. Erzählen doch die Chronisten von Jahrhundert zu Jahrhundert
von der guten alten Zeit, und über die Gegenwart, in der sie bei dem hellen
Tageslicht alles, auch das üble deutlich erkennen, klagen sie, als wenn es auf
der Welt so schlecht bestellt wäre, weil sich die Menschen zusehends verschlechtert
hätten. In gleicher Weise haben lange Zeit hindurch die hohen Beamten in
vorgerückten Jahren die Klage angestimmt, daß der Niedergang der Rechts¬
pflege dem juristischen Nachwuchs zur Last zu legen sei. Es wurden Ver¬
fügungen erlassen, die Prüfungen der Nechtskandidaten und Referendare strenger
zu handhaben, damit dem Mangel an Fleiß der Rechtsbeflissenen auf der
Universität und in der praktischen Ausbildung abgeholfen werde. Die alten
Herren vergaßen ganz, daß in ihrer Studienzeit die Juristen auch nicht mehr
gearbeitet hatten als später, und das Ausbildungswesen sich unter dem Ein¬
fluß aufgeklärter, sachkundiger Leute eher gebessert als verschlechtert hat. Der
gegen die Jugend abgeschossene Pfeil prallt zurück, vielleicht sollte der Angriff
auf die jungen Juristen ebenso sehr die ältern treffen, an deren ehrwürdige
Häupter man sich nicht heranwagte.


Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

Wenn wir stark zur See sind, wird sich England hüten, uns anzugreifen, weil
es selbst verwundbar ist; hat es keinen Schaden am eignen Leibe zu fürchten,
dann wird es bald die Gelegenheit vom Zaune brechen, daß „größere" Deutsch¬
land und damit die Zukunft unsers Volkes zu vernichten.




Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg
von Richard Goldschmidt 4

WZ
Mährend die Sonne zur Rüste geht, haben wir den Gipfel des
Berges erreicht, die Schatten des Abends senken sich auf die
Stadt zu unsern Füßen, die scharfen Schattenbilder der Türme,
die das Hüusermeer überragen, verblassen und heben sich nur
noch schwach von der grauen Dämmerung ab. Hier und dort
erscheinen leuchtende Punkte, die sich mehren, bald hält der strahlende Lichter¬
kranz Auge und Sinnen gefesselt, und die Stadt, in das Dunkel der Nacht
versunken, ist dem Auge entschwunden.

Ganz ähnlich ergeht es unserm geistigen Auge, wenn die Gedanken in die
Vergangenheit schweifen, sie haften an den Lichtpunkten, das übrige bleibt in
Nacht gehüllt. Erzählen doch die Chronisten von Jahrhundert zu Jahrhundert
von der guten alten Zeit, und über die Gegenwart, in der sie bei dem hellen
Tageslicht alles, auch das üble deutlich erkennen, klagen sie, als wenn es auf
der Welt so schlecht bestellt wäre, weil sich die Menschen zusehends verschlechtert
hätten. In gleicher Weise haben lange Zeit hindurch die hohen Beamten in
vorgerückten Jahren die Klage angestimmt, daß der Niedergang der Rechts¬
pflege dem juristischen Nachwuchs zur Last zu legen sei. Es wurden Ver¬
fügungen erlassen, die Prüfungen der Nechtskandidaten und Referendare strenger
zu handhaben, damit dem Mangel an Fleiß der Rechtsbeflissenen auf der
Universität und in der praktischen Ausbildung abgeholfen werde. Die alten
Herren vergaßen ganz, daß in ihrer Studienzeit die Juristen auch nicht mehr
gearbeitet hatten als später, und das Ausbildungswesen sich unter dem Ein¬
fluß aufgeklärter, sachkundiger Leute eher gebessert als verschlechtert hat. Der
gegen die Jugend abgeschossene Pfeil prallt zurück, vielleicht sollte der Angriff
auf die jungen Juristen ebenso sehr die ältern treffen, an deren ehrwürdige
Häupter man sich nicht heranwagte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0182" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225110"/>
          <fw type="header" place="top"> Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_590" prev="#ID_589"> Wenn wir stark zur See sind, wird sich England hüten, uns anzugreifen, weil<lb/>
es selbst verwundbar ist; hat es keinen Schaden am eignen Leibe zu fürchten,<lb/>
dann wird es bald die Gelegenheit vom Zaune brechen, daß &#x201E;größere" Deutsch¬<lb/>
land und damit die Zukunft unsers Volkes zu vernichten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg<lb/><note type="byline"> von Richard Goldschmidt</note> 4</head><lb/>
          <p xml:id="ID_591"> WZ<lb/>
Mährend die Sonne zur Rüste geht, haben wir den Gipfel des<lb/>
Berges erreicht, die Schatten des Abends senken sich auf die<lb/>
Stadt zu unsern Füßen, die scharfen Schattenbilder der Türme,<lb/>
die das Hüusermeer überragen, verblassen und heben sich nur<lb/>
noch schwach von der grauen Dämmerung ab. Hier und dort<lb/>
erscheinen leuchtende Punkte, die sich mehren, bald hält der strahlende Lichter¬<lb/>
kranz Auge und Sinnen gefesselt, und die Stadt, in das Dunkel der Nacht<lb/>
versunken, ist dem Auge entschwunden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_592"> Ganz ähnlich ergeht es unserm geistigen Auge, wenn die Gedanken in die<lb/>
Vergangenheit schweifen, sie haften an den Lichtpunkten, das übrige bleibt in<lb/>
Nacht gehüllt. Erzählen doch die Chronisten von Jahrhundert zu Jahrhundert<lb/>
von der guten alten Zeit, und über die Gegenwart, in der sie bei dem hellen<lb/>
Tageslicht alles, auch das üble deutlich erkennen, klagen sie, als wenn es auf<lb/>
der Welt so schlecht bestellt wäre, weil sich die Menschen zusehends verschlechtert<lb/>
hätten. In gleicher Weise haben lange Zeit hindurch die hohen Beamten in<lb/>
vorgerückten Jahren die Klage angestimmt, daß der Niedergang der Rechts¬<lb/>
pflege dem juristischen Nachwuchs zur Last zu legen sei. Es wurden Ver¬<lb/>
fügungen erlassen, die Prüfungen der Nechtskandidaten und Referendare strenger<lb/>
zu handhaben, damit dem Mangel an Fleiß der Rechtsbeflissenen auf der<lb/>
Universität und in der praktischen Ausbildung abgeholfen werde. Die alten<lb/>
Herren vergaßen ganz, daß in ihrer Studienzeit die Juristen auch nicht mehr<lb/>
gearbeitet hatten als später, und das Ausbildungswesen sich unter dem Ein¬<lb/>
fluß aufgeklärter, sachkundiger Leute eher gebessert als verschlechtert hat. Der<lb/>
gegen die Jugend abgeschossene Pfeil prallt zurück, vielleicht sollte der Angriff<lb/>
auf die jungen Juristen ebenso sehr die ältern treffen, an deren ehrwürdige<lb/>
Häupter man sich nicht heranwagte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0182] Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg Wenn wir stark zur See sind, wird sich England hüten, uns anzugreifen, weil es selbst verwundbar ist; hat es keinen Schaden am eignen Leibe zu fürchten, dann wird es bald die Gelegenheit vom Zaune brechen, daß „größere" Deutsch¬ land und damit die Zukunft unsers Volkes zu vernichten. Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg von Richard Goldschmidt 4 WZ Mährend die Sonne zur Rüste geht, haben wir den Gipfel des Berges erreicht, die Schatten des Abends senken sich auf die Stadt zu unsern Füßen, die scharfen Schattenbilder der Türme, die das Hüusermeer überragen, verblassen und heben sich nur noch schwach von der grauen Dämmerung ab. Hier und dort erscheinen leuchtende Punkte, die sich mehren, bald hält der strahlende Lichter¬ kranz Auge und Sinnen gefesselt, und die Stadt, in das Dunkel der Nacht versunken, ist dem Auge entschwunden. Ganz ähnlich ergeht es unserm geistigen Auge, wenn die Gedanken in die Vergangenheit schweifen, sie haften an den Lichtpunkten, das übrige bleibt in Nacht gehüllt. Erzählen doch die Chronisten von Jahrhundert zu Jahrhundert von der guten alten Zeit, und über die Gegenwart, in der sie bei dem hellen Tageslicht alles, auch das üble deutlich erkennen, klagen sie, als wenn es auf der Welt so schlecht bestellt wäre, weil sich die Menschen zusehends verschlechtert hätten. In gleicher Weise haben lange Zeit hindurch die hohen Beamten in vorgerückten Jahren die Klage angestimmt, daß der Niedergang der Rechts¬ pflege dem juristischen Nachwuchs zur Last zu legen sei. Es wurden Ver¬ fügungen erlassen, die Prüfungen der Nechtskandidaten und Referendare strenger zu handhaben, damit dem Mangel an Fleiß der Rechtsbeflissenen auf der Universität und in der praktischen Ausbildung abgeholfen werde. Die alten Herren vergaßen ganz, daß in ihrer Studienzeit die Juristen auch nicht mehr gearbeitet hatten als später, und das Ausbildungswesen sich unter dem Ein¬ fluß aufgeklärter, sachkundiger Leute eher gebessert als verschlechtert hat. Der gegen die Jugend abgeschossene Pfeil prallt zurück, vielleicht sollte der Angriff auf die jungen Juristen ebenso sehr die ältern treffen, an deren ehrwürdige Häupter man sich nicht heranwagte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/182
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/182>, abgerufen am 23.07.2024.