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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

In den Preußischen Jahrbüchern vom Juli 1895 hat jemand unter dem
Namen Aulus Agerius die bevorzugte Stellung der Staatsanwälte für die
Mißbräuche in der Rechtspflege verantwortlich zu machen gesucht. Der Artikel
ist beachtenswert. Er beweist mit Zahlen, daß die Laufbahn des Staats¬
anwalts viel aussichtsvoller ist als die des Richters, und zum Nachteil der
Richter die Staatsanwälte noch dadurch bevorzugt werden, daß viele von ihnen
in höhere Richterstellen einrücken. In Vaiern treten in einem regelmäßigen
Wechsel Richter und Staatsanwälte von der einen in die andre Laufbahn über,
was den großen Vorteil hat, daß weder die Richter dem Strafrecht, noch die
Staatsanwälte dem bürgerlichen Recht entfremdet werden können. Im übrigen
ist aber die in Preußen übliche Bevorzugung der Staatsanwaltschaft nnr für
die Richter ein Nachteil, aber nicht für die Rechtspflege. Sind einige der
Staatsanwälte, die zu Präsidentenstellen gelangen, nicht mehr fähig, in Streit¬
fragen des bürgerlichen Rechts mitzusprechen, so ist das noch eher zu ertragen,
als wenn alte Zivilrichter, die nichts vom Strafrecht verstehen und es bei der
überwiegenden Wichtigkeit dieses Zweiges der Rechtspflege doch nicht eingestehen
mögen, einen Präsidcntenposten bekleiden. Nach preußischem Herkommen und
ohne daß es zu den bestehenden Gesetzen in Widerspruch steht, ist jeder Staats¬
anwalt genötigt, die Ansichten seines Vorgesetzten, wenn es ihm dieser vor¬
schreibt, zu vertreten. Er wird dadurch in eine noch subjektivere Parteirolle
als der Nechtscinwalt hineingedrängt, da dieser jede Verteidigung, die ihm
nicht paßt, ablehnen kann oder wenigstens keinen mit seiner Überzeugung nicht
übereinstimmenden Antrag zu stellen braucht. Der Staatsanwalt hat also freilich
die Parteirolle des berufnen Anklägers und vertritt in dieser Stellung auf
höhere Anweisung oder auch aus eignem Antriebe meist eine dem Angeklagten
ungünstige Auffassung; dennoch ist die Ansicht irrtümlich, daß jeder ältere
Staatsanwalt zum Strafrichter schon deshalb weniger geeignet sei, weil er sich
zu lange Zeit in einer dem Angeklagten feindlichen Stellung befunden habe.
Sobald ein Staatsanwalt ein Richteramt übernimmt, weiß er sehr wohl, daß
er um lediglich seiner Überzeugung folgen darf und muß. So hat sich denn
auch mancher frühere Staatsanwalt als ein von der Schuld des Angeklagten
nicht leicht zu überzeugender und milder Richter erwiesen.

Richter, Staatsanwalt, Rechtsnnwalt, erster, zweiter und höchster Gerichts¬
hof, alle sind mit einander unzufrieden, und der eine sucht immer auf den
andern die Schuld zu schieben, daß es nicht besser ist. Vergebliches Bemühen!
Denn die einen sind aus keinem andern Holze geschnitzt als die andern.
Wollte man das Justizelend auf eine reine Personenfrage zuspitzen, so müßte
man wohl zunächst an die Juristen in leitender Stellung, an die Präsidenten
und die Mitglieder des Reichsgerichts denken. Da hat nun jeder ältere Bcrufs-
jurist seine Erfahrungen gemacht, er hat Leute kennen gelernt, die durch ihre
Eigenschaften zu leitenden Stellungen berufen waren und nicht gewählt worden


Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

In den Preußischen Jahrbüchern vom Juli 1895 hat jemand unter dem
Namen Aulus Agerius die bevorzugte Stellung der Staatsanwälte für die
Mißbräuche in der Rechtspflege verantwortlich zu machen gesucht. Der Artikel
ist beachtenswert. Er beweist mit Zahlen, daß die Laufbahn des Staats¬
anwalts viel aussichtsvoller ist als die des Richters, und zum Nachteil der
Richter die Staatsanwälte noch dadurch bevorzugt werden, daß viele von ihnen
in höhere Richterstellen einrücken. In Vaiern treten in einem regelmäßigen
Wechsel Richter und Staatsanwälte von der einen in die andre Laufbahn über,
was den großen Vorteil hat, daß weder die Richter dem Strafrecht, noch die
Staatsanwälte dem bürgerlichen Recht entfremdet werden können. Im übrigen
ist aber die in Preußen übliche Bevorzugung der Staatsanwaltschaft nnr für
die Richter ein Nachteil, aber nicht für die Rechtspflege. Sind einige der
Staatsanwälte, die zu Präsidentenstellen gelangen, nicht mehr fähig, in Streit¬
fragen des bürgerlichen Rechts mitzusprechen, so ist das noch eher zu ertragen,
als wenn alte Zivilrichter, die nichts vom Strafrecht verstehen und es bei der
überwiegenden Wichtigkeit dieses Zweiges der Rechtspflege doch nicht eingestehen
mögen, einen Präsidcntenposten bekleiden. Nach preußischem Herkommen und
ohne daß es zu den bestehenden Gesetzen in Widerspruch steht, ist jeder Staats¬
anwalt genötigt, die Ansichten seines Vorgesetzten, wenn es ihm dieser vor¬
schreibt, zu vertreten. Er wird dadurch in eine noch subjektivere Parteirolle
als der Nechtscinwalt hineingedrängt, da dieser jede Verteidigung, die ihm
nicht paßt, ablehnen kann oder wenigstens keinen mit seiner Überzeugung nicht
übereinstimmenden Antrag zu stellen braucht. Der Staatsanwalt hat also freilich
die Parteirolle des berufnen Anklägers und vertritt in dieser Stellung auf
höhere Anweisung oder auch aus eignem Antriebe meist eine dem Angeklagten
ungünstige Auffassung; dennoch ist die Ansicht irrtümlich, daß jeder ältere
Staatsanwalt zum Strafrichter schon deshalb weniger geeignet sei, weil er sich
zu lange Zeit in einer dem Angeklagten feindlichen Stellung befunden habe.
Sobald ein Staatsanwalt ein Richteramt übernimmt, weiß er sehr wohl, daß
er um lediglich seiner Überzeugung folgen darf und muß. So hat sich denn
auch mancher frühere Staatsanwalt als ein von der Schuld des Angeklagten
nicht leicht zu überzeugender und milder Richter erwiesen.

Richter, Staatsanwalt, Rechtsnnwalt, erster, zweiter und höchster Gerichts¬
hof, alle sind mit einander unzufrieden, und der eine sucht immer auf den
andern die Schuld zu schieben, daß es nicht besser ist. Vergebliches Bemühen!
Denn die einen sind aus keinem andern Holze geschnitzt als die andern.
Wollte man das Justizelend auf eine reine Personenfrage zuspitzen, so müßte
man wohl zunächst an die Juristen in leitender Stellung, an die Präsidenten
und die Mitglieder des Reichsgerichts denken. Da hat nun jeder ältere Bcrufs-
jurist seine Erfahrungen gemacht, er hat Leute kennen gelernt, die durch ihre
Eigenschaften zu leitenden Stellungen berufen waren und nicht gewählt worden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/183>, abgerufen am 23.07.2024.