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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Völlig klar und überzeugend ist: es ist Friedmann nicht gelungen, die
preußischen Behörden in irgend einem Punkte der absichtlichen oder fahrlässigen
Verletzung ihrer Pflichte" zu überführen; die Rechtsverletzungen, über die er
Klage führt, bestehen nur in seiner Phantasie.

Die Gerechtigkeit erheischt es, einer so schweren und von anscheinend so
zuständiger Seite erhobnen Anklage gegenüber mit aller Entschiedenheit zu
erklären: daß sich in dem Kotzischen Prozesse der Verdacht auf einen Un¬
schuldigen gelenkt hat, ist ein großes und beklagenswertes Unglück; aber selbst
Friedmnuus erbitterte und von feindseligster Gesinnung erfüllte Angriffe bieten
keinen Anhalt für die Annahme, daß unsre Justizbehörden nicht auch in diesem
Falle in vollem Maße ihre Schuldigkeit gethan hätten.

Wer sich an Friedmanns glänzende Verteidigerlanfbcchn erinnert, vier
dessen gedenkt, was er gewesen ist, und mehr uoch dessen, was er hätte sein
können, wird dieses letzte Werk seiner stets etwas eilfertigen Feder nicht ohne
tiefe und aufrichtige Betrübnis ans der Hand legen. Gern wollen wir zu
seinen Gunsten annehmen, daß die widrigen Umstände, unter denen das Buch
entstanden ist, und daß persönliche Verbitterung seinen sonst so klaren und
scharfen Blick getrübt haben und die Hauptschuld an der unerhörten und
leidenschaftlichen Ungerechtigkeit tragen, mit derer die Zustände seines Heimat¬
landes verurteilt. Dann wird er, wenn erst wieder ruhigere Tage für ihn ge¬
kommen sein werden, selbst lebhafter als irgend ein andrer die Veröffentlichung
dieses unglücklichen Buches bedauern, durch das er nicht seinem Vaterlande,
sondern sich selber den schwersten Schaden zugefügt hat. ,




Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland
Litt Aachklang zur Raiserkrönung
Aurt Treusch von Buttlar voll (Fortsetzung)
2

el der Art, wie das entsetzliche Unglück vor dem Volksfest auf
dem Chodynkafeld in deutschen Zeitungen beurteilt wurde, em¬
pfand ich besonders deutlich einen großen Unterschied in der An¬
schauungsweise der Russen und des Abendlandes. Natürlich war
das Entsetzen groß in Moskau, und aufrichtig das Mitleid mit
den armen Opfern der Katastrophe und den beklagenswerten Hinterbliebnen der
Getöteten: das menschliche Gefühl nahm ganz die Bahn, die es in ähnlichen


Grenzboten IV 1896 10

Völlig klar und überzeugend ist: es ist Friedmann nicht gelungen, die
preußischen Behörden in irgend einem Punkte der absichtlichen oder fahrlässigen
Verletzung ihrer Pflichte» zu überführen; die Rechtsverletzungen, über die er
Klage führt, bestehen nur in seiner Phantasie.

Die Gerechtigkeit erheischt es, einer so schweren und von anscheinend so
zuständiger Seite erhobnen Anklage gegenüber mit aller Entschiedenheit zu
erklären: daß sich in dem Kotzischen Prozesse der Verdacht auf einen Un¬
schuldigen gelenkt hat, ist ein großes und beklagenswertes Unglück; aber selbst
Friedmnuus erbitterte und von feindseligster Gesinnung erfüllte Angriffe bieten
keinen Anhalt für die Annahme, daß unsre Justizbehörden nicht auch in diesem
Falle in vollem Maße ihre Schuldigkeit gethan hätten.

Wer sich an Friedmanns glänzende Verteidigerlanfbcchn erinnert, vier
dessen gedenkt, was er gewesen ist, und mehr uoch dessen, was er hätte sein
können, wird dieses letzte Werk seiner stets etwas eilfertigen Feder nicht ohne
tiefe und aufrichtige Betrübnis ans der Hand legen. Gern wollen wir zu
seinen Gunsten annehmen, daß die widrigen Umstände, unter denen das Buch
entstanden ist, und daß persönliche Verbitterung seinen sonst so klaren und
scharfen Blick getrübt haben und die Hauptschuld an der unerhörten und
leidenschaftlichen Ungerechtigkeit tragen, mit derer die Zustände seines Heimat¬
landes verurteilt. Dann wird er, wenn erst wieder ruhigere Tage für ihn ge¬
kommen sein werden, selbst lebhafter als irgend ein andrer die Veröffentlichung
dieses unglücklichen Buches bedauern, durch das er nicht seinem Vaterlande,
sondern sich selber den schwersten Schaden zugefügt hat. ,




Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland
Litt Aachklang zur Raiserkrönung
Aurt Treusch von Buttlar voll (Fortsetzung)
2

el der Art, wie das entsetzliche Unglück vor dem Volksfest auf
dem Chodynkafeld in deutschen Zeitungen beurteilt wurde, em¬
pfand ich besonders deutlich einen großen Unterschied in der An¬
schauungsweise der Russen und des Abendlandes. Natürlich war
das Entsetzen groß in Moskau, und aufrichtig das Mitleid mit
den armen Opfern der Katastrophe und den beklagenswerten Hinterbliebnen der
Getöteten: das menschliche Gefühl nahm ganz die Bahn, die es in ähnlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/81>, abgerufen am 05.01.2025.