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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der deutsch-französische Litterarvertrag
und die französische Lektüre an den deutschen höhern Schulen
I. Wychgrain von

er französische Verlagsbuchhandel, nicht zufrieden mit den Vor¬
teilen, die ihm aus dem Litterarvertrage mit Deutschland vom
Jahre 1883 erwachsen, hat seit einiger Zeit einen förmlichen
Feldzug gegen diesen Litterarvertrag und seine in beiden Ländern
seit einem Jahrzehnt übliche Auslegung geführt. Welcher Art
die Forderungen der französischen Verleger sind, zeigen die Verhandlungen des
internationalen Vcrlegerkongresfes, der im Juni 1896 in Paris getagt hat.
Es heißt dort in einem der Beschlüsse: "Die öffentliche Vorlesung eines
litterarischen Werkes kann nur stattfinden mit ausdrücklicher Genehmigung der
Rechtsinhaber dieses Werkes, d, h. des Verfassers oder Verlegers. Von dieser
Genehmigung kann nur Abstand genommen werden, wenn die öffentliche Vor¬
lesung nicht eine oxsi-Mon voinrnereiecks ist (d. h. also, wenn kein Eintritts¬
geld erhoben wird), oder wenn sie zu kritischen oder Unterrichtszwecken
geschieht." Wenn man das, wie es thatsächlich geschehen zu sollen scheint,
auf musikalische Werke überträgt, so dürfte kein französisches Lied, dessen Kom¬
ponist und Verfasser noch nicht dreißig Jahre tot sind, in einem Konzert ge¬
sungen werden ohne die natürlich zu erkaufende Genehmigung der g-Mills äroit.
In der Schweiz scheinen ähnliche Forderungen schon gestellt zu werden, denn
dort haben sich sämtliche Musikvereine zusammengethan, um bei der Bundes¬
regierung vorstellig zu werden gegen die übertriebnen Forderungen der Fran¬
zosen. Ja man spricht sogar von Bestrebungen, die auf einen noch viel un-
beschränktem Autor- und Verlagsschutz zielen, der sich über achtzig Jahre er¬
strecken soll, und eine launige Darstellung der Verhältnisse, wie sie sich nach
dem Erfolge dieser Bestrebungen gestalten würden, habe ich kürzlich gelesen.
Der Verfasser geht von der Voraussetzung aus, daß auch die deutschen Ver¬
leger diese internationalen Bestrebungen und Abmachungen annehmen werden,
wozu manche von ihnen auch sehr geneigt sind. Wenn dann z. B. eine Ge¬
sellschaft fröhlicher Studenten auf einem Rheindampfer an dem Loreleifelsen




Der deutsch-französische Litterarvertrag
und die französische Lektüre an den deutschen höhern Schulen
I. Wychgrain von

er französische Verlagsbuchhandel, nicht zufrieden mit den Vor¬
teilen, die ihm aus dem Litterarvertrage mit Deutschland vom
Jahre 1883 erwachsen, hat seit einiger Zeit einen förmlichen
Feldzug gegen diesen Litterarvertrag und seine in beiden Ländern
seit einem Jahrzehnt übliche Auslegung geführt. Welcher Art
die Forderungen der französischen Verleger sind, zeigen die Verhandlungen des
internationalen Vcrlegerkongresfes, der im Juni 1896 in Paris getagt hat.
Es heißt dort in einem der Beschlüsse: „Die öffentliche Vorlesung eines
litterarischen Werkes kann nur stattfinden mit ausdrücklicher Genehmigung der
Rechtsinhaber dieses Werkes, d, h. des Verfassers oder Verlegers. Von dieser
Genehmigung kann nur Abstand genommen werden, wenn die öffentliche Vor¬
lesung nicht eine oxsi-Mon voinrnereiecks ist (d. h. also, wenn kein Eintritts¬
geld erhoben wird), oder wenn sie zu kritischen oder Unterrichtszwecken
geschieht." Wenn man das, wie es thatsächlich geschehen zu sollen scheint,
auf musikalische Werke überträgt, so dürfte kein französisches Lied, dessen Kom¬
ponist und Verfasser noch nicht dreißig Jahre tot sind, in einem Konzert ge¬
sungen werden ohne die natürlich zu erkaufende Genehmigung der g-Mills äroit.
In der Schweiz scheinen ähnliche Forderungen schon gestellt zu werden, denn
dort haben sich sämtliche Musikvereine zusammengethan, um bei der Bundes¬
regierung vorstellig zu werden gegen die übertriebnen Forderungen der Fran¬
zosen. Ja man spricht sogar von Bestrebungen, die auf einen noch viel un-
beschränktem Autor- und Verlagsschutz zielen, der sich über achtzig Jahre er¬
strecken soll, und eine launige Darstellung der Verhältnisse, wie sie sich nach
dem Erfolge dieser Bestrebungen gestalten würden, habe ich kürzlich gelesen.
Der Verfasser geht von der Voraussetzung aus, daß auch die deutschen Ver¬
leger diese internationalen Bestrebungen und Abmachungen annehmen werden,
wozu manche von ihnen auch sehr geneigt sind. Wenn dann z. B. eine Ge¬
sellschaft fröhlicher Studenten auf einem Rheindampfer an dem Loreleifelsen


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[0632] [Abbildung] Der deutsch-französische Litterarvertrag und die französische Lektüre an den deutschen höhern Schulen I. Wychgrain von er französische Verlagsbuchhandel, nicht zufrieden mit den Vor¬ teilen, die ihm aus dem Litterarvertrage mit Deutschland vom Jahre 1883 erwachsen, hat seit einiger Zeit einen förmlichen Feldzug gegen diesen Litterarvertrag und seine in beiden Ländern seit einem Jahrzehnt übliche Auslegung geführt. Welcher Art die Forderungen der französischen Verleger sind, zeigen die Verhandlungen des internationalen Vcrlegerkongresfes, der im Juni 1896 in Paris getagt hat. Es heißt dort in einem der Beschlüsse: „Die öffentliche Vorlesung eines litterarischen Werkes kann nur stattfinden mit ausdrücklicher Genehmigung der Rechtsinhaber dieses Werkes, d, h. des Verfassers oder Verlegers. Von dieser Genehmigung kann nur Abstand genommen werden, wenn die öffentliche Vor¬ lesung nicht eine oxsi-Mon voinrnereiecks ist (d. h. also, wenn kein Eintritts¬ geld erhoben wird), oder wenn sie zu kritischen oder Unterrichtszwecken geschieht." Wenn man das, wie es thatsächlich geschehen zu sollen scheint, auf musikalische Werke überträgt, so dürfte kein französisches Lied, dessen Kom¬ ponist und Verfasser noch nicht dreißig Jahre tot sind, in einem Konzert ge¬ sungen werden ohne die natürlich zu erkaufende Genehmigung der g-Mills äroit. In der Schweiz scheinen ähnliche Forderungen schon gestellt zu werden, denn dort haben sich sämtliche Musikvereine zusammengethan, um bei der Bundes¬ regierung vorstellig zu werden gegen die übertriebnen Forderungen der Fran¬ zosen. Ja man spricht sogar von Bestrebungen, die auf einen noch viel un- beschränktem Autor- und Verlagsschutz zielen, der sich über achtzig Jahre er¬ strecken soll, und eine launige Darstellung der Verhältnisse, wie sie sich nach dem Erfolge dieser Bestrebungen gestalten würden, habe ich kürzlich gelesen. Der Verfasser geht von der Voraussetzung aus, daß auch die deutschen Ver¬ leger diese internationalen Bestrebungen und Abmachungen annehmen werden, wozu manche von ihnen auch sehr geneigt sind. Wenn dann z. B. eine Ge¬ sellschaft fröhlicher Studenten auf einem Rheindampfer an dem Loreleifelsen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/632>, abgerufen am 05.01.2025.