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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Litteratur

die zahlreichste Nachkommenschaft hat. Uns droht von Osten her eine Völkerrasse
einzuengen, die mit unheimlicher Ausdehnungskraft in unser Gebiet eindringt, die
dnrch einfachere Lebensweise unsre untern Volksklassen auf dem Gebiete der
Arbcitskvnkurrenz schlägt und durch ihre größere Vermehrungsfähigkeit eine fried¬
liche Eroberung vollzieht. Noch weiter im Osten aber taucht das Gespenst der
"gelben Gefahr" auf. Ein häßlicher, schlitzäugiger Menschenschlag bedroht die
Kulturmenschheit nicht durch irgend welche Überlegenheit in Künsten des Kriegs
oder Friedens, sondern dnrch die welterobernde Kraft einer grenzenlosen Bedürfnis¬
losigkeit und einer starken Vermehrnngsfnhigkeit.

Höhere Kultur verleiht uicht unbedingt einem Volke Überlegenheit im Kampf
uns Dasein. Wohl sehen wir wilde Völker vor dem "Pesthauch der Zivilisation"
dahinschwinden. Aber andrerseits steht der Uuterergang der alten'Jultur durch rohe
kräftige Naturvölker als warnenvcs Beispiel da. Auch die Völker der Neuzeit
können sich Jugendkraft und Lebensfähigkeit nur erhalten, wenn sie ihre Kultur
vor der Entartung zu bewahren wissen, wenn Genußsucht und Verweichlichung
nicht überhandnehmen, wenn sich die breiten Schichten des Volkes Arbeitsamkeit
und Einfachheit der Sitten bewahren.


Zum Instanzenzug

erhalten wir aus unserm Leserkreise folgendes erbauliche
Beispiel: Das Preußische Kultusministerium wünscht eine Kommission zur Heraus¬
gabe alter Kuuststdeukmäler zu bilden und fordert einen Leipziger Professor auf,
dieser Kommission mit beizutreten. Nicht aber durch einen einfachen, direkten Brief,
sondern die Angelegenheit geht den Instanzenweg. Zuerst tritt die diplomatische
Maschine in Thätigkeit: der Preußische Gesandte giebt die Sache um das Auswärtige
Ministerium in Dresden, dieses wendet sich an das Ministerium! des Innern. Es
folgt Kreishanptmmmschaft, Stadtrat, Polizeidirektion. Schließlich erscheint ein Ge¬
wappneter bei dem Professor und zitirt ihn aufs Polizeiamt: "der Herr Re¬
ferendar X wünschen aber, daß Sie gleich kommen." Unser Freund, auf hochnotpein¬
liches gefaßt, geht auch gleich und erfährt nach einem kleinen Verhör, daß ihn der
preußische Kultusminister um eine Gefälligkeit ersucht! So war durch den Instanzen-
zug nicht bloß eine Menge Zeit und Papier verloren, sondern eine Bitte und An¬
frage auch glücklich in eine ganz ungehörige und brutale Form gebracht.




Litteratur

Zur Frage nach dem Malerischen. Sein Grundbegriff und seine Entwicklung. Von
A, Schmarsow, Leipzig, S> Hirzel, 18W

Allen, die sich mit der Kunst forschend oder beschreibend, lehrend oder lernend
beschäftigen, drängt sich nachgerade die Beobachtung ans, daß in dem Gebrauche
selbst der allergeläufigsteu ästhetischen Begriffe sehr wenig Klarheit und Einigkeit
herrscht. Eines der häufigsten Schlagwörter neuerer Zeit hat Schmarsow in der
vorliegenden Schrift zum Ausgangspunkt seiner Erörterung gemacht.

Die Bezeichnung "malerisch" trifft zunächst das der Malerei eigentümliche,
zur Architektur und Plastik, ja allen übrigen Künsten gegensätzliche. Wir gewinnen


Litteratur

die zahlreichste Nachkommenschaft hat. Uns droht von Osten her eine Völkerrasse
einzuengen, die mit unheimlicher Ausdehnungskraft in unser Gebiet eindringt, die
dnrch einfachere Lebensweise unsre untern Volksklassen auf dem Gebiete der
Arbcitskvnkurrenz schlägt und durch ihre größere Vermehrungsfähigkeit eine fried¬
liche Eroberung vollzieht. Noch weiter im Osten aber taucht das Gespenst der
„gelben Gefahr" auf. Ein häßlicher, schlitzäugiger Menschenschlag bedroht die
Kulturmenschheit nicht durch irgend welche Überlegenheit in Künsten des Kriegs
oder Friedens, sondern dnrch die welterobernde Kraft einer grenzenlosen Bedürfnis¬
losigkeit und einer starken Vermehrnngsfnhigkeit.

Höhere Kultur verleiht uicht unbedingt einem Volke Überlegenheit im Kampf
uns Dasein. Wohl sehen wir wilde Völker vor dem „Pesthauch der Zivilisation"
dahinschwinden. Aber andrerseits steht der Uuterergang der alten'Jultur durch rohe
kräftige Naturvölker als warnenvcs Beispiel da. Auch die Völker der Neuzeit
können sich Jugendkraft und Lebensfähigkeit nur erhalten, wenn sie ihre Kultur
vor der Entartung zu bewahren wissen, wenn Genußsucht und Verweichlichung
nicht überhandnehmen, wenn sich die breiten Schichten des Volkes Arbeitsamkeit
und Einfachheit der Sitten bewahren.


Zum Instanzenzug

erhalten wir aus unserm Leserkreise folgendes erbauliche
Beispiel: Das Preußische Kultusministerium wünscht eine Kommission zur Heraus¬
gabe alter Kuuststdeukmäler zu bilden und fordert einen Leipziger Professor auf,
dieser Kommission mit beizutreten. Nicht aber durch einen einfachen, direkten Brief,
sondern die Angelegenheit geht den Instanzenweg. Zuerst tritt die diplomatische
Maschine in Thätigkeit: der Preußische Gesandte giebt die Sache um das Auswärtige
Ministerium in Dresden, dieses wendet sich an das Ministerium! des Innern. Es
folgt Kreishanptmmmschaft, Stadtrat, Polizeidirektion. Schließlich erscheint ein Ge¬
wappneter bei dem Professor und zitirt ihn aufs Polizeiamt: „der Herr Re¬
ferendar X wünschen aber, daß Sie gleich kommen." Unser Freund, auf hochnotpein¬
liches gefaßt, geht auch gleich und erfährt nach einem kleinen Verhör, daß ihn der
preußische Kultusminister um eine Gefälligkeit ersucht! So war durch den Instanzen-
zug nicht bloß eine Menge Zeit und Papier verloren, sondern eine Bitte und An¬
frage auch glücklich in eine ganz ungehörige und brutale Form gebracht.




Litteratur

Zur Frage nach dem Malerischen. Sein Grundbegriff und seine Entwicklung. Von
A, Schmarsow, Leipzig, S> Hirzel, 18W

Allen, die sich mit der Kunst forschend oder beschreibend, lehrend oder lernend
beschäftigen, drängt sich nachgerade die Beobachtung ans, daß in dem Gebrauche
selbst der allergeläufigsteu ästhetischen Begriffe sehr wenig Klarheit und Einigkeit
herrscht. Eines der häufigsten Schlagwörter neuerer Zeit hat Schmarsow in der
vorliegenden Schrift zum Ausgangspunkt seiner Erörterung gemacht.

Die Bezeichnung „malerisch" trifft zunächst das der Malerei eigentümliche,
zur Architektur und Plastik, ja allen übrigen Künsten gegensätzliche. Wir gewinnen


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[0062] Litteratur die zahlreichste Nachkommenschaft hat. Uns droht von Osten her eine Völkerrasse einzuengen, die mit unheimlicher Ausdehnungskraft in unser Gebiet eindringt, die dnrch einfachere Lebensweise unsre untern Volksklassen auf dem Gebiete der Arbcitskvnkurrenz schlägt und durch ihre größere Vermehrungsfähigkeit eine fried¬ liche Eroberung vollzieht. Noch weiter im Osten aber taucht das Gespenst der „gelben Gefahr" auf. Ein häßlicher, schlitzäugiger Menschenschlag bedroht die Kulturmenschheit nicht durch irgend welche Überlegenheit in Künsten des Kriegs oder Friedens, sondern dnrch die welterobernde Kraft einer grenzenlosen Bedürfnis¬ losigkeit und einer starken Vermehrnngsfnhigkeit. Höhere Kultur verleiht uicht unbedingt einem Volke Überlegenheit im Kampf uns Dasein. Wohl sehen wir wilde Völker vor dem „Pesthauch der Zivilisation" dahinschwinden. Aber andrerseits steht der Uuterergang der alten'Jultur durch rohe kräftige Naturvölker als warnenvcs Beispiel da. Auch die Völker der Neuzeit können sich Jugendkraft und Lebensfähigkeit nur erhalten, wenn sie ihre Kultur vor der Entartung zu bewahren wissen, wenn Genußsucht und Verweichlichung nicht überhandnehmen, wenn sich die breiten Schichten des Volkes Arbeitsamkeit und Einfachheit der Sitten bewahren. Zum Instanzenzug erhalten wir aus unserm Leserkreise folgendes erbauliche Beispiel: Das Preußische Kultusministerium wünscht eine Kommission zur Heraus¬ gabe alter Kuuststdeukmäler zu bilden und fordert einen Leipziger Professor auf, dieser Kommission mit beizutreten. Nicht aber durch einen einfachen, direkten Brief, sondern die Angelegenheit geht den Instanzenweg. Zuerst tritt die diplomatische Maschine in Thätigkeit: der Preußische Gesandte giebt die Sache um das Auswärtige Ministerium in Dresden, dieses wendet sich an das Ministerium! des Innern. Es folgt Kreishanptmmmschaft, Stadtrat, Polizeidirektion. Schließlich erscheint ein Ge¬ wappneter bei dem Professor und zitirt ihn aufs Polizeiamt: „der Herr Re¬ ferendar X wünschen aber, daß Sie gleich kommen." Unser Freund, auf hochnotpein¬ liches gefaßt, geht auch gleich und erfährt nach einem kleinen Verhör, daß ihn der preußische Kultusminister um eine Gefälligkeit ersucht! So war durch den Instanzen- zug nicht bloß eine Menge Zeit und Papier verloren, sondern eine Bitte und An¬ frage auch glücklich in eine ganz ungehörige und brutale Form gebracht. Litteratur Zur Frage nach dem Malerischen. Sein Grundbegriff und seine Entwicklung. Von A, Schmarsow, Leipzig, S> Hirzel, 18W Allen, die sich mit der Kunst forschend oder beschreibend, lehrend oder lernend beschäftigen, drängt sich nachgerade die Beobachtung ans, daß in dem Gebrauche selbst der allergeläufigsteu ästhetischen Begriffe sehr wenig Klarheit und Einigkeit herrscht. Eines der häufigsten Schlagwörter neuerer Zeit hat Schmarsow in der vorliegenden Schrift zum Ausgangspunkt seiner Erörterung gemacht. Die Bezeichnung „malerisch" trifft zunächst das der Malerei eigentümliche, zur Architektur und Plastik, ja allen übrigen Künsten gegensätzliche. Wir gewinnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/62>, abgerufen am 05.01.2025.