Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus Llara Schumanns Brautzeit

Arbeiter für ihren Beruf liegt, berühren wir die Vorbildungsfrage; soweit
moralische oder sonstige Schwäche oder Verderbnis schuld ist, kommen Fragen
der Sanitätspolizei, der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Betracht; soweit
die Schwankungen der Geschäftslage schuld sind, stehen wir vor der vielum¬
fassenden und schwierigen Frage, wie weit, wenn überhaupt, diese Schwankungen
auf Ursachen beruhen, die sich beseitigen lassen. Einige dieser Fragen sollen
den Gegenstand späterer Berichte bilden." Der dritten und schwierigsten, aber
auch wichtigsten dieser Fragen gedenken wir eine kurze Erörterung zu widmen,
nachdem wir noch auf die englische Landwirtschaft einen Blick geworfen haben
werden. Daß Whitmcm die Durchschuittslage des deutschen Arbeiters besser
als die des englischen, und Schilderungen der heutigen englischen Arbeiterver¬
hältnisse wie die von Schulze-Gävernitz zu rosig findet, dürfte allgemein be¬
kannt sein.




Aus (Llara Schumanns Brautzeit

in 19. Mai dieses Jahres hat Clara Schumann für immer ihre
Augen geschlossen, die letzte hohe Gestalt aus der Zeit und dem
Kreise Mendelssohns und Schumanns.

Damit ist Wohl der Zeitpunkt gekommen, über einzelnes
aus dem Leben Robert Schumanns und seiner Gattin, an das
bisher die Wissenden nicht zu rühren gewagt hatten, endlich die Wahrheit zu
sagen: vor allem über das Verhältnis Schumanns zu Wieck und über die Um¬
stände, unter denen das Ehebündnis von Robert Schumann und Clara Wieck
zu stände kam.

Es ist bekannt, daß sich Schumann im Januar 1836 mit der Tochter
seines ehemaligen Klavierlehrers verlobte, nachdem ihre Herzen schon jahrelang
im Stillen sür einander geglüht hatten, daß er sich dann im September 1837
bei Wieck um die Hand der Geliebten bewarb, daß er aber, obwohl ihm Wieck
früher in seiner Weise zugethan gewesen war, zunächst scheinbar auf Unent-
schiedenheit, bald aber auf offnen Widerstand stieß, und daß das Brautpaar
endlich, da sich dieser Widerstand auf keine Weise beseitigen ließ, unter schweren
Herzenskämpfen den Entschluß faßte, den Rechtsweg zu beschreiben, und gegen
Wieck eine Klage bei dem Appellationsgericht in Leipzig einreichte, infolge
deren dann die Weigerung Wiecks für unbegründet erklärt und zu der Ehe¬
schließung des Brautpaars gerichtlicher "Conseils" erteilt wurde. Was aber


Aus Llara Schumanns Brautzeit

Arbeiter für ihren Beruf liegt, berühren wir die Vorbildungsfrage; soweit
moralische oder sonstige Schwäche oder Verderbnis schuld ist, kommen Fragen
der Sanitätspolizei, der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Betracht; soweit
die Schwankungen der Geschäftslage schuld sind, stehen wir vor der vielum¬
fassenden und schwierigen Frage, wie weit, wenn überhaupt, diese Schwankungen
auf Ursachen beruhen, die sich beseitigen lassen. Einige dieser Fragen sollen
den Gegenstand späterer Berichte bilden." Der dritten und schwierigsten, aber
auch wichtigsten dieser Fragen gedenken wir eine kurze Erörterung zu widmen,
nachdem wir noch auf die englische Landwirtschaft einen Blick geworfen haben
werden. Daß Whitmcm die Durchschuittslage des deutschen Arbeiters besser
als die des englischen, und Schilderungen der heutigen englischen Arbeiterver¬
hältnisse wie die von Schulze-Gävernitz zu rosig findet, dürfte allgemein be¬
kannt sein.




Aus (Llara Schumanns Brautzeit

in 19. Mai dieses Jahres hat Clara Schumann für immer ihre
Augen geschlossen, die letzte hohe Gestalt aus der Zeit und dem
Kreise Mendelssohns und Schumanns.

Damit ist Wohl der Zeitpunkt gekommen, über einzelnes
aus dem Leben Robert Schumanns und seiner Gattin, an das
bisher die Wissenden nicht zu rühren gewagt hatten, endlich die Wahrheit zu
sagen: vor allem über das Verhältnis Schumanns zu Wieck und über die Um¬
stände, unter denen das Ehebündnis von Robert Schumann und Clara Wieck
zu stände kam.

Es ist bekannt, daß sich Schumann im Januar 1836 mit der Tochter
seines ehemaligen Klavierlehrers verlobte, nachdem ihre Herzen schon jahrelang
im Stillen sür einander geglüht hatten, daß er sich dann im September 1837
bei Wieck um die Hand der Geliebten bewarb, daß er aber, obwohl ihm Wieck
früher in seiner Weise zugethan gewesen war, zunächst scheinbar auf Unent-
schiedenheit, bald aber auf offnen Widerstand stieß, und daß das Brautpaar
endlich, da sich dieser Widerstand auf keine Weise beseitigen ließ, unter schweren
Herzenskämpfen den Entschluß faßte, den Rechtsweg zu beschreiben, und gegen
Wieck eine Klage bei dem Appellationsgericht in Leipzig einreichte, infolge
deren dann die Weigerung Wiecks für unbegründet erklärt und zu der Ehe¬
schließung des Brautpaars gerichtlicher „Conseils" erteilt wurde. Was aber


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0514" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224098"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus Llara Schumanns Brautzeit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1509" prev="#ID_1508"> Arbeiter für ihren Beruf liegt, berühren wir die Vorbildungsfrage; soweit<lb/>
moralische oder sonstige Schwäche oder Verderbnis schuld ist, kommen Fragen<lb/>
der Sanitätspolizei, der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Betracht; soweit<lb/>
die Schwankungen der Geschäftslage schuld sind, stehen wir vor der vielum¬<lb/>
fassenden und schwierigen Frage, wie weit, wenn überhaupt, diese Schwankungen<lb/>
auf Ursachen beruhen, die sich beseitigen lassen. Einige dieser Fragen sollen<lb/>
den Gegenstand späterer Berichte bilden." Der dritten und schwierigsten, aber<lb/>
auch wichtigsten dieser Fragen gedenken wir eine kurze Erörterung zu widmen,<lb/>
nachdem wir noch auf die englische Landwirtschaft einen Blick geworfen haben<lb/>
werden. Daß Whitmcm die Durchschuittslage des deutschen Arbeiters besser<lb/>
als die des englischen, und Schilderungen der heutigen englischen Arbeiterver¬<lb/>
hältnisse wie die von Schulze-Gävernitz zu rosig findet, dürfte allgemein be¬<lb/>
kannt sein.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aus (Llara Schumanns Brautzeit</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1510"> in 19. Mai dieses Jahres hat Clara Schumann für immer ihre<lb/>
Augen geschlossen, die letzte hohe Gestalt aus der Zeit und dem<lb/>
Kreise Mendelssohns und Schumanns.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1511"> Damit ist Wohl der Zeitpunkt gekommen, über einzelnes<lb/>
aus dem Leben Robert Schumanns und seiner Gattin, an das<lb/>
bisher die Wissenden nicht zu rühren gewagt hatten, endlich die Wahrheit zu<lb/>
sagen: vor allem über das Verhältnis Schumanns zu Wieck und über die Um¬<lb/>
stände, unter denen das Ehebündnis von Robert Schumann und Clara Wieck<lb/>
zu stände kam.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1512" next="#ID_1513"> Es ist bekannt, daß sich Schumann im Januar 1836 mit der Tochter<lb/>
seines ehemaligen Klavierlehrers verlobte, nachdem ihre Herzen schon jahrelang<lb/>
im Stillen sür einander geglüht hatten, daß er sich dann im September 1837<lb/>
bei Wieck um die Hand der Geliebten bewarb, daß er aber, obwohl ihm Wieck<lb/>
früher in seiner Weise zugethan gewesen war, zunächst scheinbar auf Unent-<lb/>
schiedenheit, bald aber auf offnen Widerstand stieß, und daß das Brautpaar<lb/>
endlich, da sich dieser Widerstand auf keine Weise beseitigen ließ, unter schweren<lb/>
Herzenskämpfen den Entschluß faßte, den Rechtsweg zu beschreiben, und gegen<lb/>
Wieck eine Klage bei dem Appellationsgericht in Leipzig einreichte, infolge<lb/>
deren dann die Weigerung Wiecks für unbegründet erklärt und zu der Ehe¬<lb/>
schließung des Brautpaars gerichtlicher &#x201E;Conseils" erteilt wurde.  Was aber</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0514] Aus Llara Schumanns Brautzeit Arbeiter für ihren Beruf liegt, berühren wir die Vorbildungsfrage; soweit moralische oder sonstige Schwäche oder Verderbnis schuld ist, kommen Fragen der Sanitätspolizei, der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Betracht; soweit die Schwankungen der Geschäftslage schuld sind, stehen wir vor der vielum¬ fassenden und schwierigen Frage, wie weit, wenn überhaupt, diese Schwankungen auf Ursachen beruhen, die sich beseitigen lassen. Einige dieser Fragen sollen den Gegenstand späterer Berichte bilden." Der dritten und schwierigsten, aber auch wichtigsten dieser Fragen gedenken wir eine kurze Erörterung zu widmen, nachdem wir noch auf die englische Landwirtschaft einen Blick geworfen haben werden. Daß Whitmcm die Durchschuittslage des deutschen Arbeiters besser als die des englischen, und Schilderungen der heutigen englischen Arbeiterver¬ hältnisse wie die von Schulze-Gävernitz zu rosig findet, dürfte allgemein be¬ kannt sein. Aus (Llara Schumanns Brautzeit in 19. Mai dieses Jahres hat Clara Schumann für immer ihre Augen geschlossen, die letzte hohe Gestalt aus der Zeit und dem Kreise Mendelssohns und Schumanns. Damit ist Wohl der Zeitpunkt gekommen, über einzelnes aus dem Leben Robert Schumanns und seiner Gattin, an das bisher die Wissenden nicht zu rühren gewagt hatten, endlich die Wahrheit zu sagen: vor allem über das Verhältnis Schumanns zu Wieck und über die Um¬ stände, unter denen das Ehebündnis von Robert Schumann und Clara Wieck zu stände kam. Es ist bekannt, daß sich Schumann im Januar 1836 mit der Tochter seines ehemaligen Klavierlehrers verlobte, nachdem ihre Herzen schon jahrelang im Stillen sür einander geglüht hatten, daß er sich dann im September 1837 bei Wieck um die Hand der Geliebten bewarb, daß er aber, obwohl ihm Wieck früher in seiner Weise zugethan gewesen war, zunächst scheinbar auf Unent- schiedenheit, bald aber auf offnen Widerstand stieß, und daß das Brautpaar endlich, da sich dieser Widerstand auf keine Weise beseitigen ließ, unter schweren Herzenskämpfen den Entschluß faßte, den Rechtsweg zu beschreiben, und gegen Wieck eine Klage bei dem Appellationsgericht in Leipzig einreichte, infolge deren dann die Weigerung Wiecks für unbegründet erklärt und zu der Ehe¬ schließung des Brautpaars gerichtlicher „Conseils" erteilt wurde. Was aber

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/514
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/514>, abgerufen am 05.01.2025.