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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Frau in der Dichtung

rüber stellte man zu litterarischer Betrachtung Frauencharaktere
aus Shakespeare, Goethe oder Schiller zusammen. Mit diesem
harmlosen Geschlecht beschäftigen sich die folgenden Bemerkungen
nicht. Die gegenwärtigen Frauen fragen, wie die Männer in
der Dichtung ihr -- der Frauen -- Bild zeichnen, und machen
daraus Schlüsse, und zwar praktische, die mit ihrer eignen sozialen Aufgabe
in Verbindung stehen. Wie weit zeichnet der Mann die Frau richtig, und
wie weit falsch? Woher kennt er eigentlich die Frau so weit, daß er das Nechr
hat, sie in der Litteratur zu schildern, ihr einen gewissen nach Ständen und
Rassen verschiednen Typus zu geben, der dann von vielen sür richtig gehalten
wird? Eigentlich müßte doch die Frau, die allein sich wirklich keimt, die
Zeichnung dieses Typus übernehmen. Das geschieht auch, aber wenn es ge¬
schehen ist -- mit diesem in Romanen von Frauen geschilderten Frauentypen
sind die Frauen dann in der Regel noch weniger zufrieden, als mit den von
Männern gezeichneten. Ist das nicht merkwürdig? Eigentlich doch nicht.
Denn es kommt zunächst daher, daß die Männer solche Sachen bei allen
Fehlern der Beobachtung und allen Mängeln ihrer Erfahrung immer noch
etwas besser machen als die Frauen, weil sie gewohnt sind, die Sachen gründ¬
licher zu nehmen. Wie weit sind nun diese Frauentypen richtige Bilder der
Zeit, wenn auch nicht von Vorhandnen und bereits Erreichten, so doch vielleicht
von dem, was man wünscht, und wenn in einem einzelnen Falle auch nur der
betreffende Mann der einzige wünschende wäre? Hätte sein Wunsch ein ge¬
wisses Recht, dann gehörte sein Buch schon mit zu dem Bilde der Zeit. Es
ist sehr berechtigt, daß die Frauen die Frage nach der Richtigkeit jener Typen
aufwerfen, es ist sehr interessant, ihr nachzugehen, und es wäre auch nicht
unmöglich, darauf eine unser Wissen ausreichend befriedigende Antwort eben¬
falls in interessanter Einkleidung zu geben. Also das soziale Bild der Frau
in der Litteratur, bei den Dichtern und Romanschriftstellern der europäischen
Kulturvölker unsers Jahrhunderts, und wie es sich innerhalb der Jahrzehnte
verändert, und auf welcher Stufe ihres Schaffens länger lebende Schriftsteller,
die eine Entwicklung durchgemacht, also sich verändert haben, in Bezug auf
die Frau das Richtige sahen, d. h. das, was die Spätern vou dem Bilde fest-




Die Frau in der Dichtung

rüber stellte man zu litterarischer Betrachtung Frauencharaktere
aus Shakespeare, Goethe oder Schiller zusammen. Mit diesem
harmlosen Geschlecht beschäftigen sich die folgenden Bemerkungen
nicht. Die gegenwärtigen Frauen fragen, wie die Männer in
der Dichtung ihr — der Frauen — Bild zeichnen, und machen
daraus Schlüsse, und zwar praktische, die mit ihrer eignen sozialen Aufgabe
in Verbindung stehen. Wie weit zeichnet der Mann die Frau richtig, und
wie weit falsch? Woher kennt er eigentlich die Frau so weit, daß er das Nechr
hat, sie in der Litteratur zu schildern, ihr einen gewissen nach Ständen und
Rassen verschiednen Typus zu geben, der dann von vielen sür richtig gehalten
wird? Eigentlich müßte doch die Frau, die allein sich wirklich keimt, die
Zeichnung dieses Typus übernehmen. Das geschieht auch, aber wenn es ge¬
schehen ist — mit diesem in Romanen von Frauen geschilderten Frauentypen
sind die Frauen dann in der Regel noch weniger zufrieden, als mit den von
Männern gezeichneten. Ist das nicht merkwürdig? Eigentlich doch nicht.
Denn es kommt zunächst daher, daß die Männer solche Sachen bei allen
Fehlern der Beobachtung und allen Mängeln ihrer Erfahrung immer noch
etwas besser machen als die Frauen, weil sie gewohnt sind, die Sachen gründ¬
licher zu nehmen. Wie weit sind nun diese Frauentypen richtige Bilder der
Zeit, wenn auch nicht von Vorhandnen und bereits Erreichten, so doch vielleicht
von dem, was man wünscht, und wenn in einem einzelnen Falle auch nur der
betreffende Mann der einzige wünschende wäre? Hätte sein Wunsch ein ge¬
wisses Recht, dann gehörte sein Buch schon mit zu dem Bilde der Zeit. Es
ist sehr berechtigt, daß die Frauen die Frage nach der Richtigkeit jener Typen
aufwerfen, es ist sehr interessant, ihr nachzugehen, und es wäre auch nicht
unmöglich, darauf eine unser Wissen ausreichend befriedigende Antwort eben¬
falls in interessanter Einkleidung zu geben. Also das soziale Bild der Frau
in der Litteratur, bei den Dichtern und Romanschriftstellern der europäischen
Kulturvölker unsers Jahrhunderts, und wie es sich innerhalb der Jahrzehnte
verändert, und auf welcher Stufe ihres Schaffens länger lebende Schriftsteller,
die eine Entwicklung durchgemacht, also sich verändert haben, in Bezug auf
die Frau das Richtige sahen, d. h. das, was die Spätern vou dem Bilde fest-


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[0478] [Abbildung] Die Frau in der Dichtung rüber stellte man zu litterarischer Betrachtung Frauencharaktere aus Shakespeare, Goethe oder Schiller zusammen. Mit diesem harmlosen Geschlecht beschäftigen sich die folgenden Bemerkungen nicht. Die gegenwärtigen Frauen fragen, wie die Männer in der Dichtung ihr — der Frauen — Bild zeichnen, und machen daraus Schlüsse, und zwar praktische, die mit ihrer eignen sozialen Aufgabe in Verbindung stehen. Wie weit zeichnet der Mann die Frau richtig, und wie weit falsch? Woher kennt er eigentlich die Frau so weit, daß er das Nechr hat, sie in der Litteratur zu schildern, ihr einen gewissen nach Ständen und Rassen verschiednen Typus zu geben, der dann von vielen sür richtig gehalten wird? Eigentlich müßte doch die Frau, die allein sich wirklich keimt, die Zeichnung dieses Typus übernehmen. Das geschieht auch, aber wenn es ge¬ schehen ist — mit diesem in Romanen von Frauen geschilderten Frauentypen sind die Frauen dann in der Regel noch weniger zufrieden, als mit den von Männern gezeichneten. Ist das nicht merkwürdig? Eigentlich doch nicht. Denn es kommt zunächst daher, daß die Männer solche Sachen bei allen Fehlern der Beobachtung und allen Mängeln ihrer Erfahrung immer noch etwas besser machen als die Frauen, weil sie gewohnt sind, die Sachen gründ¬ licher zu nehmen. Wie weit sind nun diese Frauentypen richtige Bilder der Zeit, wenn auch nicht von Vorhandnen und bereits Erreichten, so doch vielleicht von dem, was man wünscht, und wenn in einem einzelnen Falle auch nur der betreffende Mann der einzige wünschende wäre? Hätte sein Wunsch ein ge¬ wisses Recht, dann gehörte sein Buch schon mit zu dem Bilde der Zeit. Es ist sehr berechtigt, daß die Frauen die Frage nach der Richtigkeit jener Typen aufwerfen, es ist sehr interessant, ihr nachzugehen, und es wäre auch nicht unmöglich, darauf eine unser Wissen ausreichend befriedigende Antwort eben¬ falls in interessanter Einkleidung zu geben. Also das soziale Bild der Frau in der Litteratur, bei den Dichtern und Romanschriftstellern der europäischen Kulturvölker unsers Jahrhunderts, und wie es sich innerhalb der Jahrzehnte verändert, und auf welcher Stufe ihres Schaffens länger lebende Schriftsteller, die eine Entwicklung durchgemacht, also sich verändert haben, in Bezug auf die Frau das Richtige sahen, d. h. das, was die Spätern vou dem Bilde fest-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/478>, abgerufen am 05.01.2025.