Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Die ungerechte Verteilung der Arozeßkosten im Strafverfahren em Tagelöhner August Stegwart war es nach langjähriger Da brachte eines Tages der Gemeindcdiener vom Ortsvorsteher den Auf¬ Stegwart war der Ansicht, daß eine Grandaufschüttung auf dem Wege Die Staatsanwaltschaft war jedoch andrer Ansicht und legte Berufung Die ungerechte Verteilung der Arozeßkosten im Strafverfahren em Tagelöhner August Stegwart war es nach langjähriger Da brachte eines Tages der Gemeindcdiener vom Ortsvorsteher den Auf¬ Stegwart war der Ansicht, daß eine Grandaufschüttung auf dem Wege Die Staatsanwaltschaft war jedoch andrer Ansicht und legte Berufung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0436" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224020"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341863_223583/figures/grenzboten_341863_223583_224020_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Die ungerechte Verteilung der Arozeßkosten<lb/> im Strafverfahren</head><lb/> <p xml:id="ID_1309"> em Tagelöhner August Stegwart war es nach langjähriger<lb/> harter Arbeit gelungen, Eigentümer eines am Dorfende ge¬<lb/> legnen bescheidnen Häuschens mit Hof und Garten zu werden.<lb/> Zwar war sein kleines Anwesen bis zum First des Strohdaches<lb/> mit Hypotheken belastet, aber er hatte doch immer rechtzeitig die<lb/> Zinsen bezahlen können, und stolz auf den eignen Herd führte er mit den<lb/> Seinen ein bescheidnes, aber zufriednes Leben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1310"> Da brachte eines Tages der Gemeindcdiener vom Ortsvorsteher den Auf¬<lb/> trag, Herr Stegwart solle innerhalb von acht Tagen zur Ausbesserung des<lb/> an dem Hause vorbeiführenden Weges eine Fuhre Grand herbeischaffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1311"> Stegwart war der Ansicht, daß eine Grandaufschüttung auf dem Wege<lb/> ganz unzweckmäßig sei, auch glaubte er, daß nach altem Gebrauch der Orts-<lb/> vorsteher einen Gemeindebeschluß herbeiführen müßte, ehe er die Wegeausbesse¬<lb/> rung anordnen könnte. Er teilte diese Ansicht dem Ortsvorsteher mit und<lb/> leistete weder der an ihn ergcmgnen, noch einer erneuten Anordnung Folge;<lb/> gegen die Geldstrafe von fünf Mark, die nun der Amtsvorsteher gegen ihn<lb/> verfügte, trug er in dem Bewußtsein seines Rechts auf gerichtliche Entscheidung<lb/> an, und das Gericht erkannte auf Freisprechung. Zwar nicht aus den von<lb/> Stegwart geltend gemachten Gründen. Diese zu prüfen hatte das Gericht<lb/> keinen Anlaß, da es zu der Überzeugung kam, das Gesetz (vom Jahre 1842),<lb/> auf Grund dessen der Amtsvorsteher die Strafverfügung erlassen hatte, sei<lb/> durch neuere Gesetze beseitigt worden. Es mußte also ohne weiteres die Straf¬<lb/> verfügung als unzulässig aufheben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1312" next="#ID_1313"> Die Staatsanwaltschaft war jedoch andrer Ansicht und legte Berufung<lb/> ein. Aber auch das Berufungsgericht sprach Stegwart frei. Freilich hatten<lb/> die Richter lange geschwankt. Nicht weniger als vier aus weit aus einander<lb/> liegenden Zeiträumen stammende Gesetze hatten sie prüfen und mit einander<lb/> vergleichen müssen, um die Frage zu beantworten, ob das Gesetz vom<lb/> Jahre 1842 aufgehoben sei. Dabei hatten sich weitere Fragen ergeben, z. B.<lb/> ob die in jenem Gesetz angedrohten Bußen kriminelle Strafen oder nur Zwangs-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0436]
[Abbildung]
Die ungerechte Verteilung der Arozeßkosten
im Strafverfahren
em Tagelöhner August Stegwart war es nach langjähriger
harter Arbeit gelungen, Eigentümer eines am Dorfende ge¬
legnen bescheidnen Häuschens mit Hof und Garten zu werden.
Zwar war sein kleines Anwesen bis zum First des Strohdaches
mit Hypotheken belastet, aber er hatte doch immer rechtzeitig die
Zinsen bezahlen können, und stolz auf den eignen Herd führte er mit den
Seinen ein bescheidnes, aber zufriednes Leben.
Da brachte eines Tages der Gemeindcdiener vom Ortsvorsteher den Auf¬
trag, Herr Stegwart solle innerhalb von acht Tagen zur Ausbesserung des
an dem Hause vorbeiführenden Weges eine Fuhre Grand herbeischaffen.
Stegwart war der Ansicht, daß eine Grandaufschüttung auf dem Wege
ganz unzweckmäßig sei, auch glaubte er, daß nach altem Gebrauch der Orts-
vorsteher einen Gemeindebeschluß herbeiführen müßte, ehe er die Wegeausbesse¬
rung anordnen könnte. Er teilte diese Ansicht dem Ortsvorsteher mit und
leistete weder der an ihn ergcmgnen, noch einer erneuten Anordnung Folge;
gegen die Geldstrafe von fünf Mark, die nun der Amtsvorsteher gegen ihn
verfügte, trug er in dem Bewußtsein seines Rechts auf gerichtliche Entscheidung
an, und das Gericht erkannte auf Freisprechung. Zwar nicht aus den von
Stegwart geltend gemachten Gründen. Diese zu prüfen hatte das Gericht
keinen Anlaß, da es zu der Überzeugung kam, das Gesetz (vom Jahre 1842),
auf Grund dessen der Amtsvorsteher die Strafverfügung erlassen hatte, sei
durch neuere Gesetze beseitigt worden. Es mußte also ohne weiteres die Straf¬
verfügung als unzulässig aufheben.
Die Staatsanwaltschaft war jedoch andrer Ansicht und legte Berufung
ein. Aber auch das Berufungsgericht sprach Stegwart frei. Freilich hatten
die Richter lange geschwankt. Nicht weniger als vier aus weit aus einander
liegenden Zeiträumen stammende Gesetze hatten sie prüfen und mit einander
vergleichen müssen, um die Frage zu beantworten, ob das Gesetz vom
Jahre 1842 aufgehoben sei. Dabei hatten sich weitere Fragen ergeben, z. B.
ob die in jenem Gesetz angedrohten Bußen kriminelle Strafen oder nur Zwangs-
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