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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Reform unsers Zeichenunterrichts

und Seelenfrieden. Als einen "Kampf zwischen thätigem und beschaulichem
Leben, zwischen irdischem Bestreben und mystisch-asketischen Kult des Guten
und Schönen, zwischen Weltgenuß und Weltentsagung," so hat der gereifte
Mann später selbst diese innern Kämpfe bezeichnet. Das Ende dieses Ringens
war eine völlige Niederlage aller klosterhaften Überbleibsel in Hamerlings
Sittlichkeit und Anschauung: Frau Welt schlug die Askese und Mystik aus
dem Felde. Aber diese seelische Katastrophe war deshalb noch kein schroffer
Abfall, keine brüske Lossagung von der Religion und ihrem Trost, wenn es
dem Genesenden auch feststand, daß sich ihm nicht auf geistlichem Wege und
in geistlicher Form das Göttliche offenbaren und der Beruf erfüllen sollte.
Schade nur, daß die Welt noch immer grausam genug war, ihm ihren hei߬
begehrten Ersatz für die gestürzten Ideale vorzuenthalten.

"In diesen Worten ist alles Weh meines Herzens ausgesprochen," so schreibt er
am Ende seiner Wiener Periode ins Tagebuch, als er wieder in seiner Heimat
durch Flur und Feld streift und den Atem der freien Natur zieht. -- "Wenn
ich nur einmal wüßte, ob die Mystik oder die Menschheit Recht hat. . . .
Vielleicht kann ich als Mittler zwischen beiden auftreten!" tröstet er sich in
seinen aufreibenden Meditationen, aber wieder und wieder doues: "Wo weilt
die Seele, wie meine gestimmt?" . . .

Wir sind zu Ende. Das war der junge Hamerling. Der junge -- ?




Z)le Reform unsers Zeichenunterrichts
Ronrad Lange von

an sängt einen Artikel nicht gern mit sich selbst an, aber dies¬
mal muß ich den Leser schon um die Erlaubnis dazu bitten.
Seit etwa drei Jahren finde ich nämlich jede Woche oder
wenigstens aller paar Wochen einmal morgens auf meinem
Kaffeetisch irgend eine interessante Sendung, die sich auf Kinder¬
spiel oder Kunstunterricht bezieht. Entweder ist es etwas litterarisches, ein
Zeitungsartikel, ein Gymnasialprogramm, eine Antrittsvorlesung, oder die Post
bringt mir einen Verbrauchsgegenstand, ein Bilderbuch, ein belehrendes Spiel-


Die Reform unsers Zeichenunterrichts

und Seelenfrieden. Als einen „Kampf zwischen thätigem und beschaulichem
Leben, zwischen irdischem Bestreben und mystisch-asketischen Kult des Guten
und Schönen, zwischen Weltgenuß und Weltentsagung," so hat der gereifte
Mann später selbst diese innern Kämpfe bezeichnet. Das Ende dieses Ringens
war eine völlige Niederlage aller klosterhaften Überbleibsel in Hamerlings
Sittlichkeit und Anschauung: Frau Welt schlug die Askese und Mystik aus
dem Felde. Aber diese seelische Katastrophe war deshalb noch kein schroffer
Abfall, keine brüske Lossagung von der Religion und ihrem Trost, wenn es
dem Genesenden auch feststand, daß sich ihm nicht auf geistlichem Wege und
in geistlicher Form das Göttliche offenbaren und der Beruf erfüllen sollte.
Schade nur, daß die Welt noch immer grausam genug war, ihm ihren hei߬
begehrten Ersatz für die gestürzten Ideale vorzuenthalten.

„In diesen Worten ist alles Weh meines Herzens ausgesprochen," so schreibt er
am Ende seiner Wiener Periode ins Tagebuch, als er wieder in seiner Heimat
durch Flur und Feld streift und den Atem der freien Natur zieht. — „Wenn
ich nur einmal wüßte, ob die Mystik oder die Menschheit Recht hat. . . .
Vielleicht kann ich als Mittler zwischen beiden auftreten!" tröstet er sich in
seinen aufreibenden Meditationen, aber wieder und wieder doues: „Wo weilt
die Seele, wie meine gestimmt?" . . .

Wir sind zu Ende. Das war der junge Hamerling. Der junge — ?




Z)le Reform unsers Zeichenunterrichts
Ronrad Lange von

an sängt einen Artikel nicht gern mit sich selbst an, aber dies¬
mal muß ich den Leser schon um die Erlaubnis dazu bitten.
Seit etwa drei Jahren finde ich nämlich jede Woche oder
wenigstens aller paar Wochen einmal morgens auf meinem
Kaffeetisch irgend eine interessante Sendung, die sich auf Kinder¬
spiel oder Kunstunterricht bezieht. Entweder ist es etwas litterarisches, ein
Zeitungsartikel, ein Gymnasialprogramm, eine Antrittsvorlesung, oder die Post
bringt mir einen Verbrauchsgegenstand, ein Bilderbuch, ein belehrendes Spiel-


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[0423] Die Reform unsers Zeichenunterrichts und Seelenfrieden. Als einen „Kampf zwischen thätigem und beschaulichem Leben, zwischen irdischem Bestreben und mystisch-asketischen Kult des Guten und Schönen, zwischen Weltgenuß und Weltentsagung," so hat der gereifte Mann später selbst diese innern Kämpfe bezeichnet. Das Ende dieses Ringens war eine völlige Niederlage aller klosterhaften Überbleibsel in Hamerlings Sittlichkeit und Anschauung: Frau Welt schlug die Askese und Mystik aus dem Felde. Aber diese seelische Katastrophe war deshalb noch kein schroffer Abfall, keine brüske Lossagung von der Religion und ihrem Trost, wenn es dem Genesenden auch feststand, daß sich ihm nicht auf geistlichem Wege und in geistlicher Form das Göttliche offenbaren und der Beruf erfüllen sollte. Schade nur, daß die Welt noch immer grausam genug war, ihm ihren hei߬ begehrten Ersatz für die gestürzten Ideale vorzuenthalten. „In diesen Worten ist alles Weh meines Herzens ausgesprochen," so schreibt er am Ende seiner Wiener Periode ins Tagebuch, als er wieder in seiner Heimat durch Flur und Feld streift und den Atem der freien Natur zieht. — „Wenn ich nur einmal wüßte, ob die Mystik oder die Menschheit Recht hat. . . . Vielleicht kann ich als Mittler zwischen beiden auftreten!" tröstet er sich in seinen aufreibenden Meditationen, aber wieder und wieder doues: „Wo weilt die Seele, wie meine gestimmt?" . . . Wir sind zu Ende. Das war der junge Hamerling. Der junge — ? Z)le Reform unsers Zeichenunterrichts Ronrad Lange von an sängt einen Artikel nicht gern mit sich selbst an, aber dies¬ mal muß ich den Leser schon um die Erlaubnis dazu bitten. Seit etwa drei Jahren finde ich nämlich jede Woche oder wenigstens aller paar Wochen einmal morgens auf meinem Kaffeetisch irgend eine interessante Sendung, die sich auf Kinder¬ spiel oder Kunstunterricht bezieht. Entweder ist es etwas litterarisches, ein Zeitungsartikel, ein Gymnasialprogramm, eine Antrittsvorlesung, oder die Post bringt mir einen Verbrauchsgegenstand, ein Bilderbuch, ein belehrendes Spiel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/423>, abgerufen am 05.01.2025.