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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der junge Hamerling

der "echten Volkstümlichkeit und Lebensfrische" Uhlands gerade so unver¬
ständlich sein wie sein späterer Ausspruch, in dem echten Volksliede sehe er den
Gipfelpunkt aller Poesie, und breite, sogenannte Neflexionslyrik sei nie seine
Sache gewesen!

Über Hamerlings erste Jugenddichtnngen, von denen Rabenlechner viele
neue zum erstenmale mitteilt, ist wenig zu sagen, soviel Aufhebens auch der
enthusiastische Biograph davon macht. Die gereimten Fabeln, womit der
Zwettler Chorsänger anfing, sind keineswegs gewandt; die frommen Gedichte,
noch die besten unter seinen damaligen poetischen Erzeugnissen, arbeiten fast
ausschließlich mit den geläufigen, ins Geistliche verkehrten Naturvorstellungen,
die dann und wann sogar an Brockes teleologische Wendungen erinnern, wie
denn auch die Themata für die religiösen Befehlspoesien, die der Stiftzögling
liefern mußte, aus dem sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert entnommen
zu sein scheinen. Der eigentliche "Musendienst" hob erst in Wien an. Am
19. Dezember 1844 meldet das Tagebuch: "Vollendete meinen Columbus!"
Natürlich ein Drama in fünffüßigen Jamben, ganz nach Luise Brachmanns
bekannter Ballade, voller lyrischer Breiten, voller Monologe, bar aller Hand¬
lung und Charakteristik. Ein christliches Trauerspiel "Die Märtyrer," das
zur Zeit Konstantins spielt, zeigt manchen glücklichen Fortschritt in Versifikatiou
und Ausdruck, bleibt aber gleichfalls im lyrischen, melodramatischen oder epischen
Element erstecken, anstatt sich irgendwo zu dramatischer Spannung in der Hand¬
lung zu erheben. Der Grundton des Klosters zittert auch noch in den ersten
lyrischen Erzeugnissen des Wiener Aufenthalts nach. Die Vergänglichkeit des
Irdischen und das Glück des Jenseits find immer wiederkehrende Töne, gern
macht der Benediktinerzögling seine Gedankenanleihen bei der Bibel, und auch
ein längeres Gedicht in Kanzonenform, "Eutychia oder die Wege zur Glück¬
seligkeit," muß trotz der bewuuderuswerteu Formvollendung und der erhabnen
Gedanken, die es durchwogen, mehr virtuosenhaft als künstlerisch genannt
werden. In andern Dichtungen macht sich wieder der schon öfters beobachtete
Zug zum Deutsamen und sinnigen bemerkbar, der sich meist sogar ins Er¬
klügelte und Frostige verliert. Auch die Gedichte, die Negiswinda galten,
können, wie gesagt, kaum zur echten Poesie des Gefühls gerechnet werden.
Sie fügen Bilder an Bilder geläufiger Vorstellungen und verschwimmen ins
Allgemeine; bemerkenswert ist nur die beinahe fieberhaft keuchende Wollust der
Phantasie, die sich an Häufungen und Steigerungen ihrer Darstellungsmittel
nicht genng thun kann.

Zu Hamerlings Wiener Herzenskrisen gesellten sich im Herbst 1845
schwere Gewissenskämpfe. In nächtlichem Gebete spricht er dann dem gott¬
seliger Thomas a Kempis nach: "Ich verlange dich innigst zu genießen, Gott,
kann dich aber nicht erreichen." Ein heftiger Konflikt war in der Brust des
sechzehnjähriger ausgebrochen, ein ethischer Widerstreit zwischen Erdenglück


Der junge Hamerling

der „echten Volkstümlichkeit und Lebensfrische" Uhlands gerade so unver¬
ständlich sein wie sein späterer Ausspruch, in dem echten Volksliede sehe er den
Gipfelpunkt aller Poesie, und breite, sogenannte Neflexionslyrik sei nie seine
Sache gewesen!

Über Hamerlings erste Jugenddichtnngen, von denen Rabenlechner viele
neue zum erstenmale mitteilt, ist wenig zu sagen, soviel Aufhebens auch der
enthusiastische Biograph davon macht. Die gereimten Fabeln, womit der
Zwettler Chorsänger anfing, sind keineswegs gewandt; die frommen Gedichte,
noch die besten unter seinen damaligen poetischen Erzeugnissen, arbeiten fast
ausschließlich mit den geläufigen, ins Geistliche verkehrten Naturvorstellungen,
die dann und wann sogar an Brockes teleologische Wendungen erinnern, wie
denn auch die Themata für die religiösen Befehlspoesien, die der Stiftzögling
liefern mußte, aus dem sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert entnommen
zu sein scheinen. Der eigentliche „Musendienst" hob erst in Wien an. Am
19. Dezember 1844 meldet das Tagebuch: „Vollendete meinen Columbus!"
Natürlich ein Drama in fünffüßigen Jamben, ganz nach Luise Brachmanns
bekannter Ballade, voller lyrischer Breiten, voller Monologe, bar aller Hand¬
lung und Charakteristik. Ein christliches Trauerspiel „Die Märtyrer," das
zur Zeit Konstantins spielt, zeigt manchen glücklichen Fortschritt in Versifikatiou
und Ausdruck, bleibt aber gleichfalls im lyrischen, melodramatischen oder epischen
Element erstecken, anstatt sich irgendwo zu dramatischer Spannung in der Hand¬
lung zu erheben. Der Grundton des Klosters zittert auch noch in den ersten
lyrischen Erzeugnissen des Wiener Aufenthalts nach. Die Vergänglichkeit des
Irdischen und das Glück des Jenseits find immer wiederkehrende Töne, gern
macht der Benediktinerzögling seine Gedankenanleihen bei der Bibel, und auch
ein längeres Gedicht in Kanzonenform, „Eutychia oder die Wege zur Glück¬
seligkeit," muß trotz der bewuuderuswerteu Formvollendung und der erhabnen
Gedanken, die es durchwogen, mehr virtuosenhaft als künstlerisch genannt
werden. In andern Dichtungen macht sich wieder der schon öfters beobachtete
Zug zum Deutsamen und sinnigen bemerkbar, der sich meist sogar ins Er¬
klügelte und Frostige verliert. Auch die Gedichte, die Negiswinda galten,
können, wie gesagt, kaum zur echten Poesie des Gefühls gerechnet werden.
Sie fügen Bilder an Bilder geläufiger Vorstellungen und verschwimmen ins
Allgemeine; bemerkenswert ist nur die beinahe fieberhaft keuchende Wollust der
Phantasie, die sich an Häufungen und Steigerungen ihrer Darstellungsmittel
nicht genng thun kann.

Zu Hamerlings Wiener Herzenskrisen gesellten sich im Herbst 1845
schwere Gewissenskämpfe. In nächtlichem Gebete spricht er dann dem gott¬
seliger Thomas a Kempis nach: „Ich verlange dich innigst zu genießen, Gott,
kann dich aber nicht erreichen." Ein heftiger Konflikt war in der Brust des
sechzehnjähriger ausgebrochen, ein ethischer Widerstreit zwischen Erdenglück


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[0422] Der junge Hamerling der „echten Volkstümlichkeit und Lebensfrische" Uhlands gerade so unver¬ ständlich sein wie sein späterer Ausspruch, in dem echten Volksliede sehe er den Gipfelpunkt aller Poesie, und breite, sogenannte Neflexionslyrik sei nie seine Sache gewesen! Über Hamerlings erste Jugenddichtnngen, von denen Rabenlechner viele neue zum erstenmale mitteilt, ist wenig zu sagen, soviel Aufhebens auch der enthusiastische Biograph davon macht. Die gereimten Fabeln, womit der Zwettler Chorsänger anfing, sind keineswegs gewandt; die frommen Gedichte, noch die besten unter seinen damaligen poetischen Erzeugnissen, arbeiten fast ausschließlich mit den geläufigen, ins Geistliche verkehrten Naturvorstellungen, die dann und wann sogar an Brockes teleologische Wendungen erinnern, wie denn auch die Themata für die religiösen Befehlspoesien, die der Stiftzögling liefern mußte, aus dem sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert entnommen zu sein scheinen. Der eigentliche „Musendienst" hob erst in Wien an. Am 19. Dezember 1844 meldet das Tagebuch: „Vollendete meinen Columbus!" Natürlich ein Drama in fünffüßigen Jamben, ganz nach Luise Brachmanns bekannter Ballade, voller lyrischer Breiten, voller Monologe, bar aller Hand¬ lung und Charakteristik. Ein christliches Trauerspiel „Die Märtyrer," das zur Zeit Konstantins spielt, zeigt manchen glücklichen Fortschritt in Versifikatiou und Ausdruck, bleibt aber gleichfalls im lyrischen, melodramatischen oder epischen Element erstecken, anstatt sich irgendwo zu dramatischer Spannung in der Hand¬ lung zu erheben. Der Grundton des Klosters zittert auch noch in den ersten lyrischen Erzeugnissen des Wiener Aufenthalts nach. Die Vergänglichkeit des Irdischen und das Glück des Jenseits find immer wiederkehrende Töne, gern macht der Benediktinerzögling seine Gedankenanleihen bei der Bibel, und auch ein längeres Gedicht in Kanzonenform, „Eutychia oder die Wege zur Glück¬ seligkeit," muß trotz der bewuuderuswerteu Formvollendung und der erhabnen Gedanken, die es durchwogen, mehr virtuosenhaft als künstlerisch genannt werden. In andern Dichtungen macht sich wieder der schon öfters beobachtete Zug zum Deutsamen und sinnigen bemerkbar, der sich meist sogar ins Er¬ klügelte und Frostige verliert. Auch die Gedichte, die Negiswinda galten, können, wie gesagt, kaum zur echten Poesie des Gefühls gerechnet werden. Sie fügen Bilder an Bilder geläufiger Vorstellungen und verschwimmen ins Allgemeine; bemerkenswert ist nur die beinahe fieberhaft keuchende Wollust der Phantasie, die sich an Häufungen und Steigerungen ihrer Darstellungsmittel nicht genng thun kann. Zu Hamerlings Wiener Herzenskrisen gesellten sich im Herbst 1845 schwere Gewissenskämpfe. In nächtlichem Gebete spricht er dann dem gott¬ seliger Thomas a Kempis nach: „Ich verlange dich innigst zu genießen, Gott, kann dich aber nicht erreichen." Ein heftiger Konflikt war in der Brust des sechzehnjähriger ausgebrochen, ein ethischer Widerstreit zwischen Erdenglück

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/422>, abgerufen am 06.01.2025.