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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Mißstände in der Aleider- und Wäscheindustrie

in der That, in den letzten Wochen haben wir uns angesichts der schimpf¬
lichen Preßhetze gegen den Fürsten und aller der erdrückenden Beweise einer
kläglichen politischen Unreife wie einer himmelschreienden Undankbarkeit oft
geradezu des deutschen Namens geschämt vor dem Auslande und uns ge¬
fragt, ob unsre Hasser am Ende doch Recht hätten mit der Behauptung,
wir Deutschen seien gar kein großes Volk, wir hätten nur das Glück gehabt,
einige große Männer zu finden, die etwas aus uns gemacht hätten, aber ver¬
dient hätten wir es nicht, und wir würden unsrer Größe ja auch rasch genug
selbstmörderisch wieder ein Ende machen. Seit der Reichstagssitzung vom
16. November fühlen wir diese schwere Last von uns genommen: die Regie¬
rung liegt jetzt in fester Hand, und die Nation hat ihre Dankespflicht nicht
ganz vergessen.




Die Mißstände in der Kleider- und Wäscheindustrie
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a als Mißstände in der Konfektionsindustrie vielfach gewisse in
ihr gebräuchliche Betriebsformen bezeichnet werden, und die Ab¬
hilfe deshalb in dem Verbot oder der Beseitigung dieser Betriebs¬
formen gesucht wird, so ist es nötig, vor allem die Betriebs¬
verhältnisse überhaupt und die durch sie den Arbeitern zugewiesene
Wirtschaftliche und rechtliche Stellung auf Grund unsrer Quellen kurz zu be¬
sprechen. Freilich kann diese Aufgabe hier nur ganz unvollständig gelöst
Werden. Die schon erwähnte Unklarheit "ut Unsicherheit in den Begrisfs-
estinnnungen gerade auf diesem Gebiete und der Mangel an Übereinstimmung
^r zivilrechtlichen, versicherungsrechtlichen und gewerberechtlichen Grundsätze
den thatsächlichen Verhältnissen und unter einander setzt einer erschöpfenden
Darlegung zur Zeit unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Man muß es
^ gewissem Sinne als einen Hauptmißstand bezeichnen, wenigstens als etwas,
^of die Gesundung der Verhältnisse ungeheuer erschwert, daß, abgesehen von
den Willkürlichkeiten in den volkswirtschaftlichen Auffassungen, die Gesetzgebung
^ den Arbeiterversicherungsgesetzen, in der Gewerbeordnung und nun auch in
bürgerlichen Gesetzbuch überall viel zu sehr ihre besondern Wege geht.

^ Die Reichsstatistik versteht unter Konfektion die "Herstellung fertiger Kleider
und ffertiger^ Wäsche." Was man damit den thatsächlichen Verhältnissen gegen¬
über anfangen soll, ist uns nicht recht klar; jedenfalls werden auch in der


Die Mißstände in der Aleider- und Wäscheindustrie

in der That, in den letzten Wochen haben wir uns angesichts der schimpf¬
lichen Preßhetze gegen den Fürsten und aller der erdrückenden Beweise einer
kläglichen politischen Unreife wie einer himmelschreienden Undankbarkeit oft
geradezu des deutschen Namens geschämt vor dem Auslande und uns ge¬
fragt, ob unsre Hasser am Ende doch Recht hätten mit der Behauptung,
wir Deutschen seien gar kein großes Volk, wir hätten nur das Glück gehabt,
einige große Männer zu finden, die etwas aus uns gemacht hätten, aber ver¬
dient hätten wir es nicht, und wir würden unsrer Größe ja auch rasch genug
selbstmörderisch wieder ein Ende machen. Seit der Reichstagssitzung vom
16. November fühlen wir diese schwere Last von uns genommen: die Regie¬
rung liegt jetzt in fester Hand, und die Nation hat ihre Dankespflicht nicht
ganz vergessen.




Die Mißstände in der Kleider- und Wäscheindustrie
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a als Mißstände in der Konfektionsindustrie vielfach gewisse in
ihr gebräuchliche Betriebsformen bezeichnet werden, und die Ab¬
hilfe deshalb in dem Verbot oder der Beseitigung dieser Betriebs¬
formen gesucht wird, so ist es nötig, vor allem die Betriebs¬
verhältnisse überhaupt und die durch sie den Arbeitern zugewiesene
Wirtschaftliche und rechtliche Stellung auf Grund unsrer Quellen kurz zu be¬
sprechen. Freilich kann diese Aufgabe hier nur ganz unvollständig gelöst
Werden. Die schon erwähnte Unklarheit »ut Unsicherheit in den Begrisfs-
estinnnungen gerade auf diesem Gebiete und der Mangel an Übereinstimmung
^r zivilrechtlichen, versicherungsrechtlichen und gewerberechtlichen Grundsätze
den thatsächlichen Verhältnissen und unter einander setzt einer erschöpfenden
Darlegung zur Zeit unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Man muß es
^ gewissem Sinne als einen Hauptmißstand bezeichnen, wenigstens als etwas,
^of die Gesundung der Verhältnisse ungeheuer erschwert, daß, abgesehen von
den Willkürlichkeiten in den volkswirtschaftlichen Auffassungen, die Gesetzgebung
^ den Arbeiterversicherungsgesetzen, in der Gewerbeordnung und nun auch in
bürgerlichen Gesetzbuch überall viel zu sehr ihre besondern Wege geht.

^ Die Reichsstatistik versteht unter Konfektion die „Herstellung fertiger Kleider
und ffertiger^ Wäsche." Was man damit den thatsächlichen Verhältnissen gegen¬
über anfangen soll, ist uns nicht recht klar; jedenfalls werden auch in der


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[0403] Die Mißstände in der Aleider- und Wäscheindustrie in der That, in den letzten Wochen haben wir uns angesichts der schimpf¬ lichen Preßhetze gegen den Fürsten und aller der erdrückenden Beweise einer kläglichen politischen Unreife wie einer himmelschreienden Undankbarkeit oft geradezu des deutschen Namens geschämt vor dem Auslande und uns ge¬ fragt, ob unsre Hasser am Ende doch Recht hätten mit der Behauptung, wir Deutschen seien gar kein großes Volk, wir hätten nur das Glück gehabt, einige große Männer zu finden, die etwas aus uns gemacht hätten, aber ver¬ dient hätten wir es nicht, und wir würden unsrer Größe ja auch rasch genug selbstmörderisch wieder ein Ende machen. Seit der Reichstagssitzung vom 16. November fühlen wir diese schwere Last von uns genommen: die Regie¬ rung liegt jetzt in fester Hand, und die Nation hat ihre Dankespflicht nicht ganz vergessen. Die Mißstände in der Kleider- und Wäscheindustrie 3 a als Mißstände in der Konfektionsindustrie vielfach gewisse in ihr gebräuchliche Betriebsformen bezeichnet werden, und die Ab¬ hilfe deshalb in dem Verbot oder der Beseitigung dieser Betriebs¬ formen gesucht wird, so ist es nötig, vor allem die Betriebs¬ verhältnisse überhaupt und die durch sie den Arbeitern zugewiesene Wirtschaftliche und rechtliche Stellung auf Grund unsrer Quellen kurz zu be¬ sprechen. Freilich kann diese Aufgabe hier nur ganz unvollständig gelöst Werden. Die schon erwähnte Unklarheit »ut Unsicherheit in den Begrisfs- estinnnungen gerade auf diesem Gebiete und der Mangel an Übereinstimmung ^r zivilrechtlichen, versicherungsrechtlichen und gewerberechtlichen Grundsätze den thatsächlichen Verhältnissen und unter einander setzt einer erschöpfenden Darlegung zur Zeit unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Man muß es ^ gewissem Sinne als einen Hauptmißstand bezeichnen, wenigstens als etwas, ^of die Gesundung der Verhältnisse ungeheuer erschwert, daß, abgesehen von den Willkürlichkeiten in den volkswirtschaftlichen Auffassungen, die Gesetzgebung ^ den Arbeiterversicherungsgesetzen, in der Gewerbeordnung und nun auch in bürgerlichen Gesetzbuch überall viel zu sehr ihre besondern Wege geht. ^ Die Reichsstatistik versteht unter Konfektion die „Herstellung fertiger Kleider und ffertiger^ Wäsche." Was man damit den thatsächlichen Verhältnissen gegen¬ über anfangen soll, ist uns nicht recht klar; jedenfalls werden auch in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/403>, abgerufen am 04.01.2025.