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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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<Lin Doppelsieg des Fürsten Bismarck

Also der Angriff wurde abgeschlagen, und von wem? In erster Linie
von der Regierung selbst. Sie hat offen anerkannt, daß Fürst Vismarcks
Größe und Verdienste bei jedem Deutschen unbestritten feststehen, daß ihn bei
jenem russischen Neutralitätsvertrage die besten Absichten geleitet haben, daß
der Vertrag keinen Verstoß gegen die Genossen des Dreibundes enthalten habe,
und daß die angebliche Beunruhigung der Mächte keineswegs eingetreten sei.
Nur auf eine Frage hat Herr von Marschall nicht klipp und klar geantwortet:
warum ist die angebotne Erneuerung des Neutralitätsvertrags im Frühjahr 1890
abgelehnt worden? Doch das mag persönliche Gründe haben, über die sich
jetzt nicht reden läßt, und jedenfalls hat die Sache nur noch historische Be¬
deutung. Wichtiger sind die andern Erklärungen: zuerst, daß kein englischer
Einfluß im Spiele sei, denn wir nehmen das vor allem als eine Versicherung
für die Zukunft, sodann, daß unser Verhältnis zu Rußland gut sei, endlich,
daß wir auch in Zukunft Gelegenheit haben werden, besonders im über¬
seeischen Interesse, mit Rußland und Frankreich zusammenzugehen. Nur die
Bemerkung, es könne nicht die Aufgabe der deutschen Politik sein, zwei
große Nationen zu trennen, klang etwas an den Caprivischeu Satz an, daß
durch den Zweibund das europäische Gleichgewicht hergestellt worden sei, denn
der Gedanke, Frankreich, so lange es nach Revanche schreie, möglichst zu isoliren,
war ein Grundzug der Bismarckischen Politik seit 1871. Aber vielleicht oder
wahrscheinlich ist zu hoffen, daß der Zweibund denselben Zweck erreicht,
Frankreich von einem Angriff auf Deutschland abzuhalten, und alle die andern
Punkte liegen durchaus in der Richtung der von Fürst Bismarck geleiteten
Politik. Wir freuen uns dessen, wie für den greisen Staatsmann selbst,
der damit einen zweiten Triumph erfochten hat, so für Deutschland, dessen
Politik sich nach diesen Versicherungen in den fest und klar vorgezeichneten
Bahnen seines ersten Kanzlers weiter bewegen wird, und, wir hoffen, daß sich
jenes Einvernehmen, das zuerst in der chinesisch-japanischen Frage hervorgetreten
ist, noch weiter bewähren und auch uns Früchte tragen wird. Ein deutsch-
französisch-russtsches Einverständnis in der Weltpolitik kann seinen Willen überall
zur Geltung bringen, und England, dessen Macht immer nur auf dem Zwie¬
spalt des Festlandes beruht hat, ist dadurch so völlig isolirt wie noch nie.
War die Erklärung des Freiherrn von Marschall eine Vertrauenskundgebung
gegenüber Nußland und Frankreich, so war es eine ebenso bestimmte Absage an
England. ,, ... ,,

Bei der Abwehr des Angriffs auf Fürst Bismarck wurde die Negierung
von den Sprechern der alten Kartellparteien aufs entschiedenste unterstützt. Die
"staatsmännische" Zurückhaltung, mit der es diese Parteien seinerzeit fertig ge¬
bracht hatten, den Abgang des Fürsten im Reichstage mit keiner Silbe zu er¬
wähnen, war gewichen; sie traten alle tapfer und offen für den Gründer des
deutschen Reichs und des Reichstags ein. Auch dessen freuen wir uns.. Denn


<Lin Doppelsieg des Fürsten Bismarck

Also der Angriff wurde abgeschlagen, und von wem? In erster Linie
von der Regierung selbst. Sie hat offen anerkannt, daß Fürst Vismarcks
Größe und Verdienste bei jedem Deutschen unbestritten feststehen, daß ihn bei
jenem russischen Neutralitätsvertrage die besten Absichten geleitet haben, daß
der Vertrag keinen Verstoß gegen die Genossen des Dreibundes enthalten habe,
und daß die angebliche Beunruhigung der Mächte keineswegs eingetreten sei.
Nur auf eine Frage hat Herr von Marschall nicht klipp und klar geantwortet:
warum ist die angebotne Erneuerung des Neutralitätsvertrags im Frühjahr 1890
abgelehnt worden? Doch das mag persönliche Gründe haben, über die sich
jetzt nicht reden läßt, und jedenfalls hat die Sache nur noch historische Be¬
deutung. Wichtiger sind die andern Erklärungen: zuerst, daß kein englischer
Einfluß im Spiele sei, denn wir nehmen das vor allem als eine Versicherung
für die Zukunft, sodann, daß unser Verhältnis zu Rußland gut sei, endlich,
daß wir auch in Zukunft Gelegenheit haben werden, besonders im über¬
seeischen Interesse, mit Rußland und Frankreich zusammenzugehen. Nur die
Bemerkung, es könne nicht die Aufgabe der deutschen Politik sein, zwei
große Nationen zu trennen, klang etwas an den Caprivischeu Satz an, daß
durch den Zweibund das europäische Gleichgewicht hergestellt worden sei, denn
der Gedanke, Frankreich, so lange es nach Revanche schreie, möglichst zu isoliren,
war ein Grundzug der Bismarckischen Politik seit 1871. Aber vielleicht oder
wahrscheinlich ist zu hoffen, daß der Zweibund denselben Zweck erreicht,
Frankreich von einem Angriff auf Deutschland abzuhalten, und alle die andern
Punkte liegen durchaus in der Richtung der von Fürst Bismarck geleiteten
Politik. Wir freuen uns dessen, wie für den greisen Staatsmann selbst,
der damit einen zweiten Triumph erfochten hat, so für Deutschland, dessen
Politik sich nach diesen Versicherungen in den fest und klar vorgezeichneten
Bahnen seines ersten Kanzlers weiter bewegen wird, und, wir hoffen, daß sich
jenes Einvernehmen, das zuerst in der chinesisch-japanischen Frage hervorgetreten
ist, noch weiter bewähren und auch uns Früchte tragen wird. Ein deutsch-
französisch-russtsches Einverständnis in der Weltpolitik kann seinen Willen überall
zur Geltung bringen, und England, dessen Macht immer nur auf dem Zwie¬
spalt des Festlandes beruht hat, ist dadurch so völlig isolirt wie noch nie.
War die Erklärung des Freiherrn von Marschall eine Vertrauenskundgebung
gegenüber Nußland und Frankreich, so war es eine ebenso bestimmte Absage an
England. ,, ... ,,

Bei der Abwehr des Angriffs auf Fürst Bismarck wurde die Negierung
von den Sprechern der alten Kartellparteien aufs entschiedenste unterstützt. Die
„staatsmännische" Zurückhaltung, mit der es diese Parteien seinerzeit fertig ge¬
bracht hatten, den Abgang des Fürsten im Reichstage mit keiner Silbe zu er¬
wähnen, war gewichen; sie traten alle tapfer und offen für den Gründer des
deutschen Reichs und des Reichstags ein. Auch dessen freuen wir uns.. Denn


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[0402] <Lin Doppelsieg des Fürsten Bismarck Also der Angriff wurde abgeschlagen, und von wem? In erster Linie von der Regierung selbst. Sie hat offen anerkannt, daß Fürst Vismarcks Größe und Verdienste bei jedem Deutschen unbestritten feststehen, daß ihn bei jenem russischen Neutralitätsvertrage die besten Absichten geleitet haben, daß der Vertrag keinen Verstoß gegen die Genossen des Dreibundes enthalten habe, und daß die angebliche Beunruhigung der Mächte keineswegs eingetreten sei. Nur auf eine Frage hat Herr von Marschall nicht klipp und klar geantwortet: warum ist die angebotne Erneuerung des Neutralitätsvertrags im Frühjahr 1890 abgelehnt worden? Doch das mag persönliche Gründe haben, über die sich jetzt nicht reden läßt, und jedenfalls hat die Sache nur noch historische Be¬ deutung. Wichtiger sind die andern Erklärungen: zuerst, daß kein englischer Einfluß im Spiele sei, denn wir nehmen das vor allem als eine Versicherung für die Zukunft, sodann, daß unser Verhältnis zu Rußland gut sei, endlich, daß wir auch in Zukunft Gelegenheit haben werden, besonders im über¬ seeischen Interesse, mit Rußland und Frankreich zusammenzugehen. Nur die Bemerkung, es könne nicht die Aufgabe der deutschen Politik sein, zwei große Nationen zu trennen, klang etwas an den Caprivischeu Satz an, daß durch den Zweibund das europäische Gleichgewicht hergestellt worden sei, denn der Gedanke, Frankreich, so lange es nach Revanche schreie, möglichst zu isoliren, war ein Grundzug der Bismarckischen Politik seit 1871. Aber vielleicht oder wahrscheinlich ist zu hoffen, daß der Zweibund denselben Zweck erreicht, Frankreich von einem Angriff auf Deutschland abzuhalten, und alle die andern Punkte liegen durchaus in der Richtung der von Fürst Bismarck geleiteten Politik. Wir freuen uns dessen, wie für den greisen Staatsmann selbst, der damit einen zweiten Triumph erfochten hat, so für Deutschland, dessen Politik sich nach diesen Versicherungen in den fest und klar vorgezeichneten Bahnen seines ersten Kanzlers weiter bewegen wird, und, wir hoffen, daß sich jenes Einvernehmen, das zuerst in der chinesisch-japanischen Frage hervorgetreten ist, noch weiter bewähren und auch uns Früchte tragen wird. Ein deutsch- französisch-russtsches Einverständnis in der Weltpolitik kann seinen Willen überall zur Geltung bringen, und England, dessen Macht immer nur auf dem Zwie¬ spalt des Festlandes beruht hat, ist dadurch so völlig isolirt wie noch nie. War die Erklärung des Freiherrn von Marschall eine Vertrauenskundgebung gegenüber Nußland und Frankreich, so war es eine ebenso bestimmte Absage an England. ,, ... ,, Bei der Abwehr des Angriffs auf Fürst Bismarck wurde die Negierung von den Sprechern der alten Kartellparteien aufs entschiedenste unterstützt. Die „staatsmännische" Zurückhaltung, mit der es diese Parteien seinerzeit fertig ge¬ bracht hatten, den Abgang des Fürsten im Reichstage mit keiner Silbe zu er¬ wähnen, war gewichen; sie traten alle tapfer und offen für den Gründer des deutschen Reichs und des Reichstags ein. Auch dessen freuen wir uns.. Denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/402>, abgerufen am 06.01.2025.