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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Zur Frauenfrage

wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Beziehung möglichst sicher zu stellen, die
soziale Lage der Frauenwelt zu verbessern, das kann kein unberechtigtes Ver¬
langen sein. Verschließe sich die Mehrheit unsers Volkes gegen solche Be¬
strebungen, dann ist Gefahr vorhanden, daß der alte deutsche Ruhm, wonach
bei uns die Fran besonders hoch gehalten wird, verloren geht. Dahin darf
es, dahin wird es nicht kommen. Welch eine bevorzugte Stellung kam der
deutschen Frau schon vor Jahrtausenden zu! Ihre Würde in deutschen Gauen
weiß der Römer Tacitus nicht genug zu rühmen. Nicht Sklavin, nicht Spiel¬
zeug war sie dem Manne, sondern Genossin, ausgestattet in-t großen Rechten
und Pflichten. Sie war es, die zur Schlacht anfeuerte, die den heimkehrenden
Sieger krönte. Selbst davor schreckte sie nicht zurück, für das Vaterland ihr
Leben hinzugeben.

Unsre Sorge muß es fein, diesen alten Ruhm ungeschmälert auf die Nach¬
kommen zu bringen. Wir müssen selbst mit Hand anlegen und dürfen nicht
wüssig bleiben, wenn es gilt, den Frauenstand sozial und sittlich zu heben.
Helfen wir den Frauen, so dienen wir uns selbst und unserm Volke, wir
ehren uns selbst, wir tragen ein Körnlein von dem Berge der Schuld ab
an die Frauen, denen wir unser Leben und die Verschönerung unsers Lebens
verdanken. Keiner darf da zurückstehen.

Nachschrift.

Wer etwa glaubt, wir möchten zu scharf getadelt, zu finster
gesehen haben, den verweisen wir auf den Berliner Internationalen Frauenkongreß
und dessen Verhandlungen. Die Ansprachen, die dort gehalten wurden,
bekunden aufs deutlichste, daß die Frauenbewegung auf eine schiefe Ebene
gekommen ist, die für die ganze Sache verhängnisvoll und gefährlich werden
wuß, wenn nicht Einhalt gethan wird. Wir lassen uns auch nicht dadurch
täuschen, daß die Versammlungen gut besucht waren und sehr lebhaft verliefen.
ist ganz natürlich, daß die Frauenfrage tausende interessirt. Sie hat
unstreitig einen berechtigten Kern, und jeder, der für des Volkes Wohl ein
H^z hat, wird sich nur darüber freuen können, daß die gesamte Presse diese
Strömung beachtet und ihre Entwicklung verfolgt. Die Zeiten des vornehmen
Uberschens dieser Erscheinung sind ein für alle mal vorüber. Wer heute
versuchen wollte, die Frage ins Komische zu ziehen, würde sich selbst nur
lächerlich machen. Gerade deshalb aber ist es notwendig, den allzu kühnen
Nednerinnen ein ernst gemeintes "Halt!" zuzurufen, weil sie in Gefahr stehen,
sub auf Abwege zu verirren.

Es kann der Frauenhände unmöglich nützen, es kann auch den Nednerinnen
"icht zur Ehre gereichen, wenn sich auf solchen Kongressen flacher Kosmo-
politismus breit macht und mit der Forderung auftritt, die Nationen müßten
fallen, oder wenn aus zartem Munde die platteste materialistische Welt¬
anschauung sprudelt. Noch ein paar solcher Kongresse, und die öffentliche
Meinung wird die ganze Bewegung trotz ihrer berechtigten Seiten verurteilen.


Zur Frauenfrage

wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Beziehung möglichst sicher zu stellen, die
soziale Lage der Frauenwelt zu verbessern, das kann kein unberechtigtes Ver¬
langen sein. Verschließe sich die Mehrheit unsers Volkes gegen solche Be¬
strebungen, dann ist Gefahr vorhanden, daß der alte deutsche Ruhm, wonach
bei uns die Fran besonders hoch gehalten wird, verloren geht. Dahin darf
es, dahin wird es nicht kommen. Welch eine bevorzugte Stellung kam der
deutschen Frau schon vor Jahrtausenden zu! Ihre Würde in deutschen Gauen
weiß der Römer Tacitus nicht genug zu rühmen. Nicht Sklavin, nicht Spiel¬
zeug war sie dem Manne, sondern Genossin, ausgestattet in-t großen Rechten
und Pflichten. Sie war es, die zur Schlacht anfeuerte, die den heimkehrenden
Sieger krönte. Selbst davor schreckte sie nicht zurück, für das Vaterland ihr
Leben hinzugeben.

Unsre Sorge muß es fein, diesen alten Ruhm ungeschmälert auf die Nach¬
kommen zu bringen. Wir müssen selbst mit Hand anlegen und dürfen nicht
wüssig bleiben, wenn es gilt, den Frauenstand sozial und sittlich zu heben.
Helfen wir den Frauen, so dienen wir uns selbst und unserm Volke, wir
ehren uns selbst, wir tragen ein Körnlein von dem Berge der Schuld ab
an die Frauen, denen wir unser Leben und die Verschönerung unsers Lebens
verdanken. Keiner darf da zurückstehen.

Nachschrift.

Wer etwa glaubt, wir möchten zu scharf getadelt, zu finster
gesehen haben, den verweisen wir auf den Berliner Internationalen Frauenkongreß
und dessen Verhandlungen. Die Ansprachen, die dort gehalten wurden,
bekunden aufs deutlichste, daß die Frauenbewegung auf eine schiefe Ebene
gekommen ist, die für die ganze Sache verhängnisvoll und gefährlich werden
wuß, wenn nicht Einhalt gethan wird. Wir lassen uns auch nicht dadurch
täuschen, daß die Versammlungen gut besucht waren und sehr lebhaft verliefen.
ist ganz natürlich, daß die Frauenfrage tausende interessirt. Sie hat
unstreitig einen berechtigten Kern, und jeder, der für des Volkes Wohl ein
H^z hat, wird sich nur darüber freuen können, daß die gesamte Presse diese
Strömung beachtet und ihre Entwicklung verfolgt. Die Zeiten des vornehmen
Uberschens dieser Erscheinung sind ein für alle mal vorüber. Wer heute
versuchen wollte, die Frage ins Komische zu ziehen, würde sich selbst nur
lächerlich machen. Gerade deshalb aber ist es notwendig, den allzu kühnen
Nednerinnen ein ernst gemeintes „Halt!" zuzurufen, weil sie in Gefahr stehen,
sub auf Abwege zu verirren.

Es kann der Frauenhände unmöglich nützen, es kann auch den Nednerinnen
"icht zur Ehre gereichen, wenn sich auf solchen Kongressen flacher Kosmo-
politismus breit macht und mit der Forderung auftritt, die Nationen müßten
fallen, oder wenn aus zartem Munde die platteste materialistische Welt¬
anschauung sprudelt. Noch ein paar solcher Kongresse, und die öffentliche
Meinung wird die ganze Bewegung trotz ihrer berechtigten Seiten verurteilen.


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[0383] Zur Frauenfrage wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Beziehung möglichst sicher zu stellen, die soziale Lage der Frauenwelt zu verbessern, das kann kein unberechtigtes Ver¬ langen sein. Verschließe sich die Mehrheit unsers Volkes gegen solche Be¬ strebungen, dann ist Gefahr vorhanden, daß der alte deutsche Ruhm, wonach bei uns die Fran besonders hoch gehalten wird, verloren geht. Dahin darf es, dahin wird es nicht kommen. Welch eine bevorzugte Stellung kam der deutschen Frau schon vor Jahrtausenden zu! Ihre Würde in deutschen Gauen weiß der Römer Tacitus nicht genug zu rühmen. Nicht Sklavin, nicht Spiel¬ zeug war sie dem Manne, sondern Genossin, ausgestattet in-t großen Rechten und Pflichten. Sie war es, die zur Schlacht anfeuerte, die den heimkehrenden Sieger krönte. Selbst davor schreckte sie nicht zurück, für das Vaterland ihr Leben hinzugeben. Unsre Sorge muß es fein, diesen alten Ruhm ungeschmälert auf die Nach¬ kommen zu bringen. Wir müssen selbst mit Hand anlegen und dürfen nicht wüssig bleiben, wenn es gilt, den Frauenstand sozial und sittlich zu heben. Helfen wir den Frauen, so dienen wir uns selbst und unserm Volke, wir ehren uns selbst, wir tragen ein Körnlein von dem Berge der Schuld ab an die Frauen, denen wir unser Leben und die Verschönerung unsers Lebens verdanken. Keiner darf da zurückstehen. Nachschrift. Wer etwa glaubt, wir möchten zu scharf getadelt, zu finster gesehen haben, den verweisen wir auf den Berliner Internationalen Frauenkongreß und dessen Verhandlungen. Die Ansprachen, die dort gehalten wurden, bekunden aufs deutlichste, daß die Frauenbewegung auf eine schiefe Ebene gekommen ist, die für die ganze Sache verhängnisvoll und gefährlich werden wuß, wenn nicht Einhalt gethan wird. Wir lassen uns auch nicht dadurch täuschen, daß die Versammlungen gut besucht waren und sehr lebhaft verliefen. ist ganz natürlich, daß die Frauenfrage tausende interessirt. Sie hat unstreitig einen berechtigten Kern, und jeder, der für des Volkes Wohl ein H^z hat, wird sich nur darüber freuen können, daß die gesamte Presse diese Strömung beachtet und ihre Entwicklung verfolgt. Die Zeiten des vornehmen Uberschens dieser Erscheinung sind ein für alle mal vorüber. Wer heute versuchen wollte, die Frage ins Komische zu ziehen, würde sich selbst nur lächerlich machen. Gerade deshalb aber ist es notwendig, den allzu kühnen Nednerinnen ein ernst gemeintes „Halt!" zuzurufen, weil sie in Gefahr stehen, sub auf Abwege zu verirren. Es kann der Frauenhände unmöglich nützen, es kann auch den Nednerinnen "icht zur Ehre gereichen, wenn sich auf solchen Kongressen flacher Kosmo- politismus breit macht und mit der Forderung auftritt, die Nationen müßten fallen, oder wenn aus zartem Munde die platteste materialistische Welt¬ anschauung sprudelt. Noch ein paar solcher Kongresse, und die öffentliche Meinung wird die ganze Bewegung trotz ihrer berechtigten Seiten verurteilen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/383>, abgerufen am 04.01.2025.