Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches gerade vor sich gehen. Raffael läßt, halb träumend, alles mit sich machen. Da Raffael ist also von der Fornarina vergiftet worden. Das ist die Erfindung Wenn nur irgend etwas einzelnes noch wäre, "voran man sich erholen könnte. Nach unserm Geschmack ist Paul Heyses Fornarina nichts als eine drcnnatisirte Maßgebliches und Unmaßgebliches Drei Wahlschlachteu. Arendt und vou Kardorff haben Glück. Hätte Maßgebliches und Unmaßgebliches gerade vor sich gehen. Raffael läßt, halb träumend, alles mit sich machen. Da Raffael ist also von der Fornarina vergiftet worden. Das ist die Erfindung Wenn nur irgend etwas einzelnes noch wäre, »voran man sich erholen könnte. Nach unserm Geschmack ist Paul Heyses Fornarina nichts als eine drcnnatisirte Maßgebliches und Unmaßgebliches Drei Wahlschlachteu. Arendt und vou Kardorff haben Glück. Hätte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0343" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223927"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1041" prev="#ID_1040"> gerade vor sich gehen. Raffael läßt, halb träumend, alles mit sich machen. Da<lb/> erscheint plötzlich wieder Vice, die um von dem seltsamerweise aufgesparten Nest<lb/> des Bechers sich selbst den Tod getrunken hat, und Raffael erklärt uuter allgemeiner<lb/> Erregung seiner vornehmern Braut: „Ich gehöre einer Toten!" und damit fällt<lb/> der Vorhang.</p><lb/> <p xml:id="ID_1042"> Raffael ist also von der Fornarina vergiftet worden. Das ist die Erfindung<lb/> des Dichters. Ist sie — dem Eindrucke nach, den sie ans die Zuhörer macht —<lb/> wahr? Ist sie schön? Möchte man, daß es in Wirklichkeit so gewesen wäre?<lb/> Wer gewinnt etwas bei solcher Dichtung? Weder der Freund der Kunst, dem<lb/> dadurch seine Kunstgeschichte verdorben wird, noch der Liebhaber des Schönen, der<lb/> leer ausgeht, noch das große Publikum, das etwas falsches lernt. Paul Heyse<lb/> nennt das ein Trauerspiel! Wir wollen nicht boshaft werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1043"> Wenn nur irgend etwas einzelnes noch wäre, »voran man sich erholen könnte.<lb/> Aber nichts als künstlich hervorgesuchte Reminiszenzen aus Kunst und Litteratur.<lb/> Nirgends wirkliches, überzeugendes Leben. Wie trivial und archäologisch ist es z. B.,<lb/> daß Raffael, als er den Giftbecher an die Lippen setzt, das viel gebrauchte und<lb/> mißbrauchte Wort von Dante zitirt: „Kein größerer Schmerz, als des ent-<lb/> schwundnen Glückes sich erinnern im Elend." Ein dramatischer Dichter hätte sich<lb/> Wohl vor allem dessen erinnern können, daß der Satz, wie oft hervorgehoben<lb/> worden ist, psychologisch genommen nicht einmal für richtig gelten kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1044"> Nach unserm Geschmack ist Paul Heyses Fornarina nichts als eine drcnnatisirte<lb/> Künstlernovelle von geringem Wert. Wir glauben kaum, daß andre günstiger<lb/> urteilen werden, und noch weniger, daß der berühmte Name des Dichters den<lb/> Lesern einen Ersatz gewähren wird für die Enttäuschung, die sie an dem Inhalt<lb/> der Dichtung erfahren müssen. Der Herausgeber aber wird, wenn er sein der<lb/> Absicht und dem Plane nach beifallswürdigcs Werk lebensfähig erhalten will,<lb/> vollends bei zehn Heften jährlich, uicht nur auf die Namen, sondern vor allem<lb/> auf die Beiträge seiner Mitarbeiter zu sehen haben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Drei Wahlschlachteu. </head> <p xml:id="ID_1045" next="#ID_1046"> Arendt und vou Kardorff haben Glück. Hätte<lb/> Bryan gesiegt, so würde man binnen einem Jahre genau erfahren haben, was bei<lb/> der künstlichen Wertsteigernng des Silbers herauskommt, und der Währuugsstreit<lb/> wäre entschieden gewesen. Das Volk der großen Republik hat sich zu dem gefähr¬<lb/> lichen Experiment nicht hergegeben, und so können unsre Silbermänner ihre Rolle<lb/> als Volksretter vorläufig Weiter spielen. Daß sich beinahe die Hälfte der Nord¬<lb/> amerikaner fürs Silber bis zur Tollheit hat erhitzen lassen, darf weiter nicht<lb/> Wunder nehmen. Es ist das Schicksal der großen Völker unsrer modernen<lb/> Welt, von Phrasen und Schlagwörtern genarrt zu werden, weil sie bei der un-<lb/> übersehbaren Größe und heillosen Verworrenheit ihrer Staatswesen die wirklichen<lb/> Ursachen ihrer Leiden nicht so leicht zu ermitteln vermögen wie die Bürger eines</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0343]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
gerade vor sich gehen. Raffael läßt, halb träumend, alles mit sich machen. Da
erscheint plötzlich wieder Vice, die um von dem seltsamerweise aufgesparten Nest
des Bechers sich selbst den Tod getrunken hat, und Raffael erklärt uuter allgemeiner
Erregung seiner vornehmern Braut: „Ich gehöre einer Toten!" und damit fällt
der Vorhang.
Raffael ist also von der Fornarina vergiftet worden. Das ist die Erfindung
des Dichters. Ist sie — dem Eindrucke nach, den sie ans die Zuhörer macht —
wahr? Ist sie schön? Möchte man, daß es in Wirklichkeit so gewesen wäre?
Wer gewinnt etwas bei solcher Dichtung? Weder der Freund der Kunst, dem
dadurch seine Kunstgeschichte verdorben wird, noch der Liebhaber des Schönen, der
leer ausgeht, noch das große Publikum, das etwas falsches lernt. Paul Heyse
nennt das ein Trauerspiel! Wir wollen nicht boshaft werden.
Wenn nur irgend etwas einzelnes noch wäre, »voran man sich erholen könnte.
Aber nichts als künstlich hervorgesuchte Reminiszenzen aus Kunst und Litteratur.
Nirgends wirkliches, überzeugendes Leben. Wie trivial und archäologisch ist es z. B.,
daß Raffael, als er den Giftbecher an die Lippen setzt, das viel gebrauchte und
mißbrauchte Wort von Dante zitirt: „Kein größerer Schmerz, als des ent-
schwundnen Glückes sich erinnern im Elend." Ein dramatischer Dichter hätte sich
Wohl vor allem dessen erinnern können, daß der Satz, wie oft hervorgehoben
worden ist, psychologisch genommen nicht einmal für richtig gelten kann.
Nach unserm Geschmack ist Paul Heyses Fornarina nichts als eine drcnnatisirte
Künstlernovelle von geringem Wert. Wir glauben kaum, daß andre günstiger
urteilen werden, und noch weniger, daß der berühmte Name des Dichters den
Lesern einen Ersatz gewähren wird für die Enttäuschung, die sie an dem Inhalt
der Dichtung erfahren müssen. Der Herausgeber aber wird, wenn er sein der
Absicht und dem Plane nach beifallswürdigcs Werk lebensfähig erhalten will,
vollends bei zehn Heften jährlich, uicht nur auf die Namen, sondern vor allem
auf die Beiträge seiner Mitarbeiter zu sehen haben.
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Drei Wahlschlachteu. Arendt und vou Kardorff haben Glück. Hätte
Bryan gesiegt, so würde man binnen einem Jahre genau erfahren haben, was bei
der künstlichen Wertsteigernng des Silbers herauskommt, und der Währuugsstreit
wäre entschieden gewesen. Das Volk der großen Republik hat sich zu dem gefähr¬
lichen Experiment nicht hergegeben, und so können unsre Silbermänner ihre Rolle
als Volksretter vorläufig Weiter spielen. Daß sich beinahe die Hälfte der Nord¬
amerikaner fürs Silber bis zur Tollheit hat erhitzen lassen, darf weiter nicht
Wunder nehmen. Es ist das Schicksal der großen Völker unsrer modernen
Welt, von Phrasen und Schlagwörtern genarrt zu werden, weil sie bei der un-
übersehbaren Größe und heillosen Verworrenheit ihrer Staatswesen die wirklichen
Ursachen ihrer Leiden nicht so leicht zu ermitteln vermögen wie die Bürger eines
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