Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Litteratur

genug der verkehrten Welt? Wir befinden uns thatsächlich im Stande der Notwehr,
es müssen feste Platze gegründet werden, und die Hospize mögen als die ersten
Forts dienen.

"Lassen wir die Semitenfrage, erklärte endlich der Senior der Gesellschaft,
wir werden sie so wenig wie die soziale lösen, und wenn wir über die Polizei¬
stunde beisammen bliebe"." Das Thema wurde verlassen. Ich aber erwog das
Gehörte im lieben Gemüte, nahm mir vor, mir selbst ein Urteil zu bilden, und
bestellte vor dem nächsten Besuche Berlins ein Zimmer in einem Hospiz. Es war
das letzte und daher Wohl nicht das beste, aber gut und sauber, die Bedienung
sehr aufmerksam, Speise und Trank befriedigend, die Preise denen in anständigen
doch nicht vornehmen Hotels entsprechend. Im ganzen Hause herrschte Ruhe, man
bewegte sich in gebildeter Gesellschaft, der allerdings anch -- man erschrecke nicht! --
einige Agrarier anzugehören schienen. Die Damen entfalteten keinen unpassenden
Kleiderluxus, die einzelnen Gruppen unterhielten sich in gemessenem Tone, ohne
Geschrei und lautes Lachen, ich wurde nie von zuthulicheu Nachbarn einem Pein¬
lichen Verhör nach dein Kategorienschema puis, quick, udi, "Mons auxiIÜ8, our,
cjuomoäo, gMnclo unterzöge". Auch fand kein Zwang zur Teilnahme an den
Morgenandachten statt, und daß am Sonntage vom Hofe aus der Gesaug frischer
Knabenstimmen zu mir herausdrang, gab mir keinen Anlaß zur Beschwerde. Bei
der Abreise drängte sich nicht das Dienstpersonal um mich, nnr der Portier
wünschte mir von seinem Platze aus glückliche Reise: ich hatte nämlich mit der Rech¬
nung auch "Ablösung der Trinkgelder" nach einem bestimmten Prozentsätze ent¬
richtet. Das ist praktischer als die offizielle Abschaffung des Triukgelduufuges
durch Erhöhung der Preise für Wohnung und Kost, denn trotz dieser Maßregel
muß der Abreisende doch Spießruten laufen zwischen wehmütigen Ober- und Uuter-
tellner-, Mädchen- und Hauskuechtgesichteru. Genug, ich war ganz zufrieden und
beabsichtige der neuen Schöpfung treu zu bleiben, so lauge sie ihren Grundsätzen
treu bleibt.




Litteratur
Der deutsche Soldat im amerikanischen Bürgerkrieg. Avr William Vöcke, ehe¬
maligem Kapitän der Kompagnie I) des 24. Jllinoiser Infanterieregiments. Chicago, Kölling
und Klappenlmch, >8W

Diese Schrift von dreiundvierzig Seiten ist zwar nur ein erweiterter Vortrag.
Wir glauben aber doch die Aufmerksamkeit unsrer Leser darauf lenke" zu dürfe".
Die deutschen Soldaten im nordamerikanischen Bürgerkrieg sind in Deutschland nicht
nach Verdienst bekannt geworden und anerkannt worden. Ihre Haltung und
ihre Leistungen sind auch in der ungemein reichen auglv-amerikanischen Litteratur
über die Kämpfe vo" 1361 bis 1864- nicht mit geschichtlicher Tre"e behandelt. Wehren
sich die Deutschen auch in diesem Falle nicht ihrer Hund, so werden ihre Opfer für
die Erhaltung der Union in kurzer Zeit gerade so vergessen sein, wie die Verdienste
der deutschen Pioniere um die Begründung der Kolonien, aus denen die Vereinigten


Litteratur

genug der verkehrten Welt? Wir befinden uns thatsächlich im Stande der Notwehr,
es müssen feste Platze gegründet werden, und die Hospize mögen als die ersten
Forts dienen.

„Lassen wir die Semitenfrage, erklärte endlich der Senior der Gesellschaft,
wir werden sie so wenig wie die soziale lösen, und wenn wir über die Polizei¬
stunde beisammen bliebe»." Das Thema wurde verlassen. Ich aber erwog das
Gehörte im lieben Gemüte, nahm mir vor, mir selbst ein Urteil zu bilden, und
bestellte vor dem nächsten Besuche Berlins ein Zimmer in einem Hospiz. Es war
das letzte und daher Wohl nicht das beste, aber gut und sauber, die Bedienung
sehr aufmerksam, Speise und Trank befriedigend, die Preise denen in anständigen
doch nicht vornehmen Hotels entsprechend. Im ganzen Hause herrschte Ruhe, man
bewegte sich in gebildeter Gesellschaft, der allerdings anch — man erschrecke nicht! —
einige Agrarier anzugehören schienen. Die Damen entfalteten keinen unpassenden
Kleiderluxus, die einzelnen Gruppen unterhielten sich in gemessenem Tone, ohne
Geschrei und lautes Lachen, ich wurde nie von zuthulicheu Nachbarn einem Pein¬
lichen Verhör nach dein Kategorienschema puis, quick, udi, «Mons auxiIÜ8, our,
cjuomoäo, gMnclo unterzöge». Auch fand kein Zwang zur Teilnahme an den
Morgenandachten statt, und daß am Sonntage vom Hofe aus der Gesaug frischer
Knabenstimmen zu mir herausdrang, gab mir keinen Anlaß zur Beschwerde. Bei
der Abreise drängte sich nicht das Dienstpersonal um mich, nnr der Portier
wünschte mir von seinem Platze aus glückliche Reise: ich hatte nämlich mit der Rech¬
nung auch „Ablösung der Trinkgelder" nach einem bestimmten Prozentsätze ent¬
richtet. Das ist praktischer als die offizielle Abschaffung des Triukgelduufuges
durch Erhöhung der Preise für Wohnung und Kost, denn trotz dieser Maßregel
muß der Abreisende doch Spießruten laufen zwischen wehmütigen Ober- und Uuter-
tellner-, Mädchen- und Hauskuechtgesichteru. Genug, ich war ganz zufrieden und
beabsichtige der neuen Schöpfung treu zu bleiben, so lauge sie ihren Grundsätzen
treu bleibt.




Litteratur
Der deutsche Soldat im amerikanischen Bürgerkrieg. Avr William Vöcke, ehe¬
maligem Kapitän der Kompagnie I) des 24. Jllinoiser Infanterieregiments. Chicago, Kölling
und Klappenlmch, >8W

Diese Schrift von dreiundvierzig Seiten ist zwar nur ein erweiterter Vortrag.
Wir glauben aber doch die Aufmerksamkeit unsrer Leser darauf lenke» zu dürfe».
Die deutschen Soldaten im nordamerikanischen Bürgerkrieg sind in Deutschland nicht
nach Verdienst bekannt geworden und anerkannt worden. Ihre Haltung und
ihre Leistungen sind auch in der ungemein reichen auglv-amerikanischen Litteratur
über die Kämpfe vo» 1361 bis 1864- nicht mit geschichtlicher Tre»e behandelt. Wehren
sich die Deutschen auch in diesem Falle nicht ihrer Hund, so werden ihre Opfer für
die Erhaltung der Union in kurzer Zeit gerade so vergessen sein, wie die Verdienste
der deutschen Pioniere um die Begründung der Kolonien, aus denen die Vereinigten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223884"/>
            <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_930" prev="#ID_929"> genug der verkehrten Welt? Wir befinden uns thatsächlich im Stande der Notwehr,<lb/>
es müssen feste Platze gegründet werden, und die Hospize mögen als die ersten<lb/>
Forts dienen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_931"> &#x201E;Lassen wir die Semitenfrage, erklärte endlich der Senior der Gesellschaft,<lb/>
wir werden sie so wenig wie die soziale lösen, und wenn wir über die Polizei¬<lb/>
stunde beisammen bliebe»." Das Thema wurde verlassen. Ich aber erwog das<lb/>
Gehörte im lieben Gemüte, nahm mir vor, mir selbst ein Urteil zu bilden, und<lb/>
bestellte vor dem nächsten Besuche Berlins ein Zimmer in einem Hospiz. Es war<lb/>
das letzte und daher Wohl nicht das beste, aber gut und sauber, die Bedienung<lb/>
sehr aufmerksam, Speise und Trank befriedigend, die Preise denen in anständigen<lb/>
doch nicht vornehmen Hotels entsprechend. Im ganzen Hause herrschte Ruhe, man<lb/>
bewegte sich in gebildeter Gesellschaft, der allerdings anch &#x2014; man erschrecke nicht! &#x2014;<lb/>
einige Agrarier anzugehören schienen. Die Damen entfalteten keinen unpassenden<lb/>
Kleiderluxus, die einzelnen Gruppen unterhielten sich in gemessenem Tone, ohne<lb/>
Geschrei und lautes Lachen, ich wurde nie von zuthulicheu Nachbarn einem Pein¬<lb/>
lichen Verhör nach dein Kategorienschema puis, quick, udi, «Mons auxiIÜ8, our,<lb/>
cjuomoäo, gMnclo unterzöge». Auch fand kein Zwang zur Teilnahme an den<lb/>
Morgenandachten statt, und daß am Sonntage vom Hofe aus der Gesaug frischer<lb/>
Knabenstimmen zu mir herausdrang, gab mir keinen Anlaß zur Beschwerde. Bei<lb/>
der Abreise drängte sich nicht das Dienstpersonal um mich, nnr der Portier<lb/>
wünschte mir von seinem Platze aus glückliche Reise: ich hatte nämlich mit der Rech¬<lb/>
nung auch &#x201E;Ablösung der Trinkgelder" nach einem bestimmten Prozentsätze ent¬<lb/>
richtet. Das ist praktischer als die offizielle Abschaffung des Triukgelduufuges<lb/>
durch Erhöhung der Preise für Wohnung und Kost, denn trotz dieser Maßregel<lb/>
muß der Abreisende doch Spießruten laufen zwischen wehmütigen Ober- und Uuter-<lb/>
tellner-, Mädchen- und Hauskuechtgesichteru. Genug, ich war ganz zufrieden und<lb/>
beabsichtige der neuen Schöpfung treu zu bleiben, so lauge sie ihren Grundsätzen<lb/>
treu bleibt.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Litteratur</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Der deutsche Soldat im amerikanischen Bürgerkrieg. Avr William Vöcke, ehe¬<lb/>
maligem Kapitän der Kompagnie I) des 24. Jllinoiser Infanterieregiments.  Chicago, Kölling<lb/>
und Klappenlmch, &gt;8W</head><lb/>
            <p xml:id="ID_932" next="#ID_933"> Diese Schrift von dreiundvierzig Seiten ist zwar nur ein erweiterter Vortrag.<lb/>
Wir glauben aber doch die Aufmerksamkeit unsrer Leser darauf lenke» zu dürfe».<lb/>
Die deutschen Soldaten im nordamerikanischen Bürgerkrieg sind in Deutschland nicht<lb/>
nach Verdienst bekannt geworden und anerkannt worden. Ihre Haltung und<lb/>
ihre Leistungen sind auch in der ungemein reichen auglv-amerikanischen Litteratur<lb/>
über die Kämpfe vo» 1361 bis 1864- nicht mit geschichtlicher Tre»e behandelt. Wehren<lb/>
sich die Deutschen auch in diesem Falle nicht ihrer Hund, so werden ihre Opfer für<lb/>
die Erhaltung der Union in kurzer Zeit gerade so vergessen sein, wie die Verdienste<lb/>
der deutschen Pioniere um die Begründung der Kolonien, aus denen die Vereinigten</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0300] Litteratur genug der verkehrten Welt? Wir befinden uns thatsächlich im Stande der Notwehr, es müssen feste Platze gegründet werden, und die Hospize mögen als die ersten Forts dienen. „Lassen wir die Semitenfrage, erklärte endlich der Senior der Gesellschaft, wir werden sie so wenig wie die soziale lösen, und wenn wir über die Polizei¬ stunde beisammen bliebe»." Das Thema wurde verlassen. Ich aber erwog das Gehörte im lieben Gemüte, nahm mir vor, mir selbst ein Urteil zu bilden, und bestellte vor dem nächsten Besuche Berlins ein Zimmer in einem Hospiz. Es war das letzte und daher Wohl nicht das beste, aber gut und sauber, die Bedienung sehr aufmerksam, Speise und Trank befriedigend, die Preise denen in anständigen doch nicht vornehmen Hotels entsprechend. Im ganzen Hause herrschte Ruhe, man bewegte sich in gebildeter Gesellschaft, der allerdings anch — man erschrecke nicht! — einige Agrarier anzugehören schienen. Die Damen entfalteten keinen unpassenden Kleiderluxus, die einzelnen Gruppen unterhielten sich in gemessenem Tone, ohne Geschrei und lautes Lachen, ich wurde nie von zuthulicheu Nachbarn einem Pein¬ lichen Verhör nach dein Kategorienschema puis, quick, udi, «Mons auxiIÜ8, our, cjuomoäo, gMnclo unterzöge». Auch fand kein Zwang zur Teilnahme an den Morgenandachten statt, und daß am Sonntage vom Hofe aus der Gesaug frischer Knabenstimmen zu mir herausdrang, gab mir keinen Anlaß zur Beschwerde. Bei der Abreise drängte sich nicht das Dienstpersonal um mich, nnr der Portier wünschte mir von seinem Platze aus glückliche Reise: ich hatte nämlich mit der Rech¬ nung auch „Ablösung der Trinkgelder" nach einem bestimmten Prozentsätze ent¬ richtet. Das ist praktischer als die offizielle Abschaffung des Triukgelduufuges durch Erhöhung der Preise für Wohnung und Kost, denn trotz dieser Maßregel muß der Abreisende doch Spießruten laufen zwischen wehmütigen Ober- und Uuter- tellner-, Mädchen- und Hauskuechtgesichteru. Genug, ich war ganz zufrieden und beabsichtige der neuen Schöpfung treu zu bleiben, so lauge sie ihren Grundsätzen treu bleibt. Litteratur Der deutsche Soldat im amerikanischen Bürgerkrieg. Avr William Vöcke, ehe¬ maligem Kapitän der Kompagnie I) des 24. Jllinoiser Infanterieregiments. Chicago, Kölling und Klappenlmch, >8W Diese Schrift von dreiundvierzig Seiten ist zwar nur ein erweiterter Vortrag. Wir glauben aber doch die Aufmerksamkeit unsrer Leser darauf lenke» zu dürfe». Die deutschen Soldaten im nordamerikanischen Bürgerkrieg sind in Deutschland nicht nach Verdienst bekannt geworden und anerkannt worden. Ihre Haltung und ihre Leistungen sind auch in der ungemein reichen auglv-amerikanischen Litteratur über die Kämpfe vo» 1361 bis 1864- nicht mit geschichtlicher Tre»e behandelt. Wehren sich die Deutschen auch in diesem Falle nicht ihrer Hund, so werden ihre Opfer für die Erhaltung der Union in kurzer Zeit gerade so vergessen sein, wie die Verdienste der deutschen Pioniere um die Begründung der Kolonien, aus denen die Vereinigten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/300
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/300>, abgerufen am 05.01.2025.