Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches unerklälich bleiben nud daher unmvtivirt aussehen, erhält schließlich auch die Lehre So lange das Menschenherz nicht in eine Maschine verwandelt werden kann, Die Berliner GeWerbeausstellung hat mit einem Defizit von etwa einer Maßgebliches und Unmaßgebliches unerklälich bleiben nud daher unmvtivirt aussehen, erhält schließlich auch die Lehre So lange das Menschenherz nicht in eine Maschine verwandelt werden kann, Die Berliner GeWerbeausstellung hat mit einem Defizit von etwa einer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0296" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223880"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_919" prev="#ID_918"> unerklälich bleiben nud daher unmvtivirt aussehen, erhält schließlich auch die Lehre<lb/> von der Wahlfreiheit, bei der jede Möglichkeit einer Gegenwirkung oder Vorbeugung<lb/> aufhört, einen Schein von Berechtigung. Nur daß gerade Raubmorde nicht eben<lb/> zu den unbegreiflicheren Handlungen gehören;, hat doch Bulwer in seinem Eugen<lb/> Aram gezeigt, wie sogar ein edler, hochgebildeter, feinfühlender und sehr mitleidiger<lb/> Manu dazu kommen könne, einen Raubmord zu begehen. Vor dreißig Jahren<lb/> brachen einmal in einer großem Kleinstadt zwei Schlosserlehrlinge bei einer alten<lb/> Frau ein und bestcihlen sie. Sie wurden natürlich erwischt und erzählten dann,<lb/> sie hätten jeden Abend von ihrer Schlafkammer aus gesehen, wie die ihnen gegen¬<lb/> überwohnende Frau, deren Geiz von den Nachbarn viel verspottet wurde, ihre<lb/> Thaler zählte und blank putzte, und sie hätten oft eiuer zum andern gesagt: was<lb/> nutzen nun der Alten ihre Thaler, und was könnten dagegen wir uns fiir schöne<lb/> Tage damit machen! So lauge es ver^chiedue Lebenslagen giebt, werden solche<lb/> Raisonnements, über denen sich sogar hochgebildete Männer manchmal ertappen, bei<lb/> dumme» Jungen noch weit öfter vorkommen. Selbstverständlich liegt in jedem<lb/> Verbrechen eine Mahnung an Eltern, Lehrer und Obrigkeiten, ihre Schuldigkeit zu<lb/> thun, aber wenn orthodoxer Glaube, strenge Zucht und Prügel die Verbrechen aus<lb/> der Welt schaffe» könnten, dann müßten jene Jahrhunderte ganz frei von Verbrechen<lb/> gewesen sein, wo — der Henker einer einzigen deutschen Stadt in einem Jahre mehr<lb/> Hinrichtungen vollzog, als jetzt in ganz Deutschland Mordthaten begangen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_920"> So lange das Menschenherz nicht in eine Maschine verwandelt werden kann,<lb/> die im Auftrage des Staates gebaut, regulirt und regelmäßig aufgezogen wird, so<lb/> lange es das wunderliche, trutzige und verzagte Ding bleibt, von dem die Geist¬<lb/> lichen, die Strafrichter und die Dichter leben, so lange wird es unmöglich sein,<lb/> unliebsame Überraschungen zu verhüten, Dummheiten und Verbrechen, die der Han¬<lb/> delnde selbst oft am Tage vor der That noch nicht vorausgewußt hat. Aber hat<lb/> menschliche Weisheit und Voraussicht keine Macht über die einzelne zukünftige<lb/> Handlung, so vermag sie doch einen Zustand zu befördern, wo Gelegenheit und<lb/> Neigung zu gewissen Handlungen schwinden, deren Zahl also im ganzen abnimmt.<lb/> Anders im Guten wie im Bösen ist das Thun des Cholerikers, anders das<lb/> des Sanguinikers, des Melancholikers, des Phlegmatikers — dieser sündigt<lb/> meist durch Unterlassungen —> anders das des Reichen als das des Armen, und<lb/> das gilt vom einzelnen, wie von ganzen Klassen, Ständen und Völkern. Will<lb/> man einen Zustand, der für Gewaltthaten und Mordgedanken einen möglichst un¬<lb/> geeigneten Nährboden abgiebt, so schaffe man ein rotbäckiges Volk fröhlicher, gut¬<lb/> mütiger, menschenfreundlicher, weichmütigcr Leute, die allesamt in behaglichem und<lb/> gesichertem Wohlstande leben. „Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein, mit<lb/> glatten Köpfen, und die Nachts gut schlafen," sprach Cäsar, und Cäsar war nicht<lb/> dumm. Leider sieht unsre Zeit des wütendsten Konkurrenzkampfes nicht darnach<lb/> aus, als wollte sie eine Entwicklung nach dieser Richtung hin begünstigen. Leider?<lb/> werden die Selettionisten spöttisch rufen — im Gegenteil, gerade so ists gut!</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Die Berliner GeWerbeausstellung </head> <p xml:id="ID_921" next="#ID_922"> hat mit einem Defizit von etwa einer<lb/> Million abgeschlossen. Es wäre falsch, darnach den Erfolg der Ausstellung über¬<lb/> haupt beurteilen zu wollen. In dem Defizit besteht der Mißerfolg der Berliner<lb/> GeWerbeausstellung 1896 gar nicht. Freilich hätte sich auch das Defizit trotz der<lb/> Ungunst des Wetters leicht vermeiden lassen, wenn man nicht für diese Lokal-<lb/> ausstellnng den Rahmen viel zu weit gemacht und viel zu kostbar ausgestattet<lb/> hätte. Viele haben dieses Mißverhältnis zwischen Nahmen und Inhalt als Ge-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0296]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
unerklälich bleiben nud daher unmvtivirt aussehen, erhält schließlich auch die Lehre
von der Wahlfreiheit, bei der jede Möglichkeit einer Gegenwirkung oder Vorbeugung
aufhört, einen Schein von Berechtigung. Nur daß gerade Raubmorde nicht eben
zu den unbegreiflicheren Handlungen gehören;, hat doch Bulwer in seinem Eugen
Aram gezeigt, wie sogar ein edler, hochgebildeter, feinfühlender und sehr mitleidiger
Manu dazu kommen könne, einen Raubmord zu begehen. Vor dreißig Jahren
brachen einmal in einer großem Kleinstadt zwei Schlosserlehrlinge bei einer alten
Frau ein und bestcihlen sie. Sie wurden natürlich erwischt und erzählten dann,
sie hätten jeden Abend von ihrer Schlafkammer aus gesehen, wie die ihnen gegen¬
überwohnende Frau, deren Geiz von den Nachbarn viel verspottet wurde, ihre
Thaler zählte und blank putzte, und sie hätten oft eiuer zum andern gesagt: was
nutzen nun der Alten ihre Thaler, und was könnten dagegen wir uns fiir schöne
Tage damit machen! So lauge es ver^chiedue Lebenslagen giebt, werden solche
Raisonnements, über denen sich sogar hochgebildete Männer manchmal ertappen, bei
dumme» Jungen noch weit öfter vorkommen. Selbstverständlich liegt in jedem
Verbrechen eine Mahnung an Eltern, Lehrer und Obrigkeiten, ihre Schuldigkeit zu
thun, aber wenn orthodoxer Glaube, strenge Zucht und Prügel die Verbrechen aus
der Welt schaffe» könnten, dann müßten jene Jahrhunderte ganz frei von Verbrechen
gewesen sein, wo — der Henker einer einzigen deutschen Stadt in einem Jahre mehr
Hinrichtungen vollzog, als jetzt in ganz Deutschland Mordthaten begangen werden.
So lange das Menschenherz nicht in eine Maschine verwandelt werden kann,
die im Auftrage des Staates gebaut, regulirt und regelmäßig aufgezogen wird, so
lange es das wunderliche, trutzige und verzagte Ding bleibt, von dem die Geist¬
lichen, die Strafrichter und die Dichter leben, so lange wird es unmöglich sein,
unliebsame Überraschungen zu verhüten, Dummheiten und Verbrechen, die der Han¬
delnde selbst oft am Tage vor der That noch nicht vorausgewußt hat. Aber hat
menschliche Weisheit und Voraussicht keine Macht über die einzelne zukünftige
Handlung, so vermag sie doch einen Zustand zu befördern, wo Gelegenheit und
Neigung zu gewissen Handlungen schwinden, deren Zahl also im ganzen abnimmt.
Anders im Guten wie im Bösen ist das Thun des Cholerikers, anders das
des Sanguinikers, des Melancholikers, des Phlegmatikers — dieser sündigt
meist durch Unterlassungen —> anders das des Reichen als das des Armen, und
das gilt vom einzelnen, wie von ganzen Klassen, Ständen und Völkern. Will
man einen Zustand, der für Gewaltthaten und Mordgedanken einen möglichst un¬
geeigneten Nährboden abgiebt, so schaffe man ein rotbäckiges Volk fröhlicher, gut¬
mütiger, menschenfreundlicher, weichmütigcr Leute, die allesamt in behaglichem und
gesichertem Wohlstande leben. „Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein, mit
glatten Köpfen, und die Nachts gut schlafen," sprach Cäsar, und Cäsar war nicht
dumm. Leider sieht unsre Zeit des wütendsten Konkurrenzkampfes nicht darnach
aus, als wollte sie eine Entwicklung nach dieser Richtung hin begünstigen. Leider?
werden die Selettionisten spöttisch rufen — im Gegenteil, gerade so ists gut!
Die Berliner GeWerbeausstellung hat mit einem Defizit von etwa einer
Million abgeschlossen. Es wäre falsch, darnach den Erfolg der Ausstellung über¬
haupt beurteilen zu wollen. In dem Defizit besteht der Mißerfolg der Berliner
GeWerbeausstellung 1896 gar nicht. Freilich hätte sich auch das Defizit trotz der
Ungunst des Wetters leicht vermeiden lassen, wenn man nicht für diese Lokal-
ausstellnng den Rahmen viel zu weit gemacht und viel zu kostbar ausgestattet
hätte. Viele haben dieses Mißverhältnis zwischen Nahmen und Inhalt als Ge-
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