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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die preußischen Richter und Gerichtsassessoren

er Wunsch der preußischen Justizverwaltung, dem überhand¬
nehmenden Zudrange zum juristischen Studium Einhalt zu thun
und sür die Mühe der Ausbildung aller in dem ganzen Staats¬
und Privatleben zur Verwendung kommenden Juristen sich selbst
die erste Auswahl zu sichern, erscheint so berechtigt, daß er eigent¬
lich einer weiter" Begründung gar nicht bedarf. Es ist unleugbar ein un¬
gesunder Zustand, wenn jetzt fast das Achtfache des jährlichen Staats¬
bedarfs an Assessoren (nach den amtlichen Mitteilungen waren am 1. Oktober
1895 im ganzen 1649 vorhanden, während jährlich nnr 220 bis 230 angestellt
werden können) hoffend und harrend den Chef der Justiz umlagert, bald in
Eingaben Anstellung sucht, bald in Zeitungsartikeln und Parlamentsreden das
Los der Anwärter beklagt und dabei sich selbst den unhaltbaren Satz vor¬
redet: Staat! du hast es ohne Widerspruch gelitten, daß wir uns zehn Jahre
auf deinen Dienst vorbereitet und unser Vermögen dabei verzehrt haben --
nun schaffe uns Brot! und man legt es der schulenden und ausbildenden Justiz
nicht als ein Zeichen besondrer Klugheit, sondern eher als ein Zeichen bedauer¬
licher "Gutmütigkeit" aus, wenn sie bisher still ergeben die Auswahl unter
ihren Meisterstücken andern Dienstzweigen überließ und selbst nahm, was
übrig blieb.

Wenn dem aber so ist, wie konnte dann der Assessorenparagraph in der
jüngst verflossenen Landtagssession eine so lebhafte Opposition hervorrufen,
daß selbst die nationalliberale Partei bis zum Schlüsse bei ihrem Widerstande
verharrte -- ganz oontrg. ng,wrg,in sui Zöngris? Die Besorgnis vor willkür¬
licher Handhabung des Gesetzes war zwar vorhanden, aber doch nicht aus¬
schlaggebend. In den letzten fünfzehn Jahren sind mit dem wachsenden Ver¬
trauen zu der Verwaltung und ihrer Kontrolle durch die Öffentlichkeit den
Nesfortchefs manche noch viel weiter gehende Befugnisse zugestanden worden,
ohne daß es die Opposition hätte hindern können. Die Ursachen müssen also
tiefer liegen.

Die Justizverwaltung begründet den Entwurf unter anderm mit dein
Hinweis auf die Notwendigkeit, solche Leute fernzuhalten, denen es an dem ge¬
nügenden persönlichen Takt fehlt. Aber in demselben Augenblicke begeht sie selbst




Die preußischen Richter und Gerichtsassessoren

er Wunsch der preußischen Justizverwaltung, dem überhand¬
nehmenden Zudrange zum juristischen Studium Einhalt zu thun
und sür die Mühe der Ausbildung aller in dem ganzen Staats¬
und Privatleben zur Verwendung kommenden Juristen sich selbst
die erste Auswahl zu sichern, erscheint so berechtigt, daß er eigent¬
lich einer weiter« Begründung gar nicht bedarf. Es ist unleugbar ein un¬
gesunder Zustand, wenn jetzt fast das Achtfache des jährlichen Staats¬
bedarfs an Assessoren (nach den amtlichen Mitteilungen waren am 1. Oktober
1895 im ganzen 1649 vorhanden, während jährlich nnr 220 bis 230 angestellt
werden können) hoffend und harrend den Chef der Justiz umlagert, bald in
Eingaben Anstellung sucht, bald in Zeitungsartikeln und Parlamentsreden das
Los der Anwärter beklagt und dabei sich selbst den unhaltbaren Satz vor¬
redet: Staat! du hast es ohne Widerspruch gelitten, daß wir uns zehn Jahre
auf deinen Dienst vorbereitet und unser Vermögen dabei verzehrt haben —
nun schaffe uns Brot! und man legt es der schulenden und ausbildenden Justiz
nicht als ein Zeichen besondrer Klugheit, sondern eher als ein Zeichen bedauer¬
licher „Gutmütigkeit" aus, wenn sie bisher still ergeben die Auswahl unter
ihren Meisterstücken andern Dienstzweigen überließ und selbst nahm, was
übrig blieb.

Wenn dem aber so ist, wie konnte dann der Assessorenparagraph in der
jüngst verflossenen Landtagssession eine so lebhafte Opposition hervorrufen,
daß selbst die nationalliberale Partei bis zum Schlüsse bei ihrem Widerstande
verharrte — ganz oontrg. ng,wrg,in sui Zöngris? Die Besorgnis vor willkür¬
licher Handhabung des Gesetzes war zwar vorhanden, aber doch nicht aus¬
schlaggebend. In den letzten fünfzehn Jahren sind mit dem wachsenden Ver¬
trauen zu der Verwaltung und ihrer Kontrolle durch die Öffentlichkeit den
Nesfortchefs manche noch viel weiter gehende Befugnisse zugestanden worden,
ohne daß es die Opposition hätte hindern können. Die Ursachen müssen also
tiefer liegen.

Die Justizverwaltung begründet den Entwurf unter anderm mit dein
Hinweis auf die Notwendigkeit, solche Leute fernzuhalten, denen es an dem ge¬
nügenden persönlichen Takt fehlt. Aber in demselben Augenblicke begeht sie selbst


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[0181] [Abbildung] Die preußischen Richter und Gerichtsassessoren er Wunsch der preußischen Justizverwaltung, dem überhand¬ nehmenden Zudrange zum juristischen Studium Einhalt zu thun und sür die Mühe der Ausbildung aller in dem ganzen Staats¬ und Privatleben zur Verwendung kommenden Juristen sich selbst die erste Auswahl zu sichern, erscheint so berechtigt, daß er eigent¬ lich einer weiter« Begründung gar nicht bedarf. Es ist unleugbar ein un¬ gesunder Zustand, wenn jetzt fast das Achtfache des jährlichen Staats¬ bedarfs an Assessoren (nach den amtlichen Mitteilungen waren am 1. Oktober 1895 im ganzen 1649 vorhanden, während jährlich nnr 220 bis 230 angestellt werden können) hoffend und harrend den Chef der Justiz umlagert, bald in Eingaben Anstellung sucht, bald in Zeitungsartikeln und Parlamentsreden das Los der Anwärter beklagt und dabei sich selbst den unhaltbaren Satz vor¬ redet: Staat! du hast es ohne Widerspruch gelitten, daß wir uns zehn Jahre auf deinen Dienst vorbereitet und unser Vermögen dabei verzehrt haben — nun schaffe uns Brot! und man legt es der schulenden und ausbildenden Justiz nicht als ein Zeichen besondrer Klugheit, sondern eher als ein Zeichen bedauer¬ licher „Gutmütigkeit" aus, wenn sie bisher still ergeben die Auswahl unter ihren Meisterstücken andern Dienstzweigen überließ und selbst nahm, was übrig blieb. Wenn dem aber so ist, wie konnte dann der Assessorenparagraph in der jüngst verflossenen Landtagssession eine so lebhafte Opposition hervorrufen, daß selbst die nationalliberale Partei bis zum Schlüsse bei ihrem Widerstande verharrte — ganz oontrg. ng,wrg,in sui Zöngris? Die Besorgnis vor willkür¬ licher Handhabung des Gesetzes war zwar vorhanden, aber doch nicht aus¬ schlaggebend. In den letzten fünfzehn Jahren sind mit dem wachsenden Ver¬ trauen zu der Verwaltung und ihrer Kontrolle durch die Öffentlichkeit den Nesfortchefs manche noch viel weiter gehende Befugnisse zugestanden worden, ohne daß es die Opposition hätte hindern können. Die Ursachen müssen also tiefer liegen. Die Justizverwaltung begründet den Entwurf unter anderm mit dein Hinweis auf die Notwendigkeit, solche Leute fernzuhalten, denen es an dem ge¬ nügenden persönlichen Takt fehlt. Aber in demselben Augenblicke begeht sie selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/181>, abgerufen am 04.01.2025.