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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die englischen Gewerkvereine

den vielen schweren Pflichten, die das moderne Leben dem ernsten und dein
wahrhaft gebildeten Menschen auferlegt, tritt als eine weitere Pflicht die, seine
Augen gegen alles Blendwerk zu schürfen, sich den klaren Blick für die gute,
nicht auf Aktien gegründete Schöpfung und Leistung zu erhalten, tiefes Mi߬
trauen gegen alle Prospekte und geistigen Dividendenverheißungen zu hegen,
mutig die abweichende Meinung zu bekennen, das wahre, große, aber schlichte
Verdienst aller Protzenwirtschaft zum Trotz zu ehren. Wer sich nicht die
Unabhängigkeit des Geistes, die Fähigkeit der Unterscheidung zutraut, die auf
Aktien erreichten Erfolge von den aus wahrhaftem Vermögen entsprungnen zu
unterscheiden, wer dem schmeichelnden Eindruck der äußern Lage in Dingen
des Geistes und der Kunst nicht zu widerstehen vermag, der darf eigentlich in
diesen Dingen nicht mehr mitsprechen. Es ist vollkommen widersinnig, die
Übermacht des Kapitals auf Lebens- und Thätigkeitsgebieten zu bekämpfen,
auf denen es allenfalls Gutes zu schaffen und zu fördern vermag, und ihm ein
Recht auf Gebieten einzuräumen, auf denen es nur hemmend und lähmend,
verderbend und verwüstend wirken kann.




Die englischen Gewerkvereine

eatriee Potter ist den Grenzbotenlesern bekannt als Verfasserin
eines Buches über die britische Genossenschaftsbewegung und
als die erste der heldenmütigen Frauen aus den höhern Ständen
-- ihr Vater war ein internationaler Eisenbahnkönig --, die
eine Zeit lang in Verkleidung als Arbeiterinnen leben, um dann
ihren armen Mitschwestern wirksame Hilfe bringen zu können. Im Jahre 1892
hat sie Herrn situes Webb geheiratet, der' als eifriges Mitglied der
?iMtm Loeist^ mehrere Schriften über den englischen Sozialismus heraus¬
gegeben hat. Die Fabler (siehe Schulze-Güvernitz: Zum sozialen Frieden II,
122 sf.) sind Staatssozialisten, bilden aber im Unterschiede von ihren deutschen
Gesinnungsgenossen eine geschlossene Gesellschaft, die mit Vortrügen und Agi¬
tationsschriften planmäßig arbeitet. Sie nennen sich Fabler, weil sie, auf der
Entwicklungslehre fußend und an die Möglichkeit einer friedlichen Fortent¬
wicklung der Gesellschaft zum Bessern glaubend, gleich dem alten Zauberer
langsam, schrittweise, opportunistisch vorgehen Wollen. Sie stimmen mit den
Sozialdemokraten in dein Verdammungsurteil über die gegenwärtige Gesellschaft


Grenzboten IV 1896 21
Die englischen Gewerkvereine

den vielen schweren Pflichten, die das moderne Leben dem ernsten und dein
wahrhaft gebildeten Menschen auferlegt, tritt als eine weitere Pflicht die, seine
Augen gegen alles Blendwerk zu schürfen, sich den klaren Blick für die gute,
nicht auf Aktien gegründete Schöpfung und Leistung zu erhalten, tiefes Mi߬
trauen gegen alle Prospekte und geistigen Dividendenverheißungen zu hegen,
mutig die abweichende Meinung zu bekennen, das wahre, große, aber schlichte
Verdienst aller Protzenwirtschaft zum Trotz zu ehren. Wer sich nicht die
Unabhängigkeit des Geistes, die Fähigkeit der Unterscheidung zutraut, die auf
Aktien erreichten Erfolge von den aus wahrhaftem Vermögen entsprungnen zu
unterscheiden, wer dem schmeichelnden Eindruck der äußern Lage in Dingen
des Geistes und der Kunst nicht zu widerstehen vermag, der darf eigentlich in
diesen Dingen nicht mehr mitsprechen. Es ist vollkommen widersinnig, die
Übermacht des Kapitals auf Lebens- und Thätigkeitsgebieten zu bekämpfen,
auf denen es allenfalls Gutes zu schaffen und zu fördern vermag, und ihm ein
Recht auf Gebieten einzuräumen, auf denen es nur hemmend und lähmend,
verderbend und verwüstend wirken kann.




Die englischen Gewerkvereine

eatriee Potter ist den Grenzbotenlesern bekannt als Verfasserin
eines Buches über die britische Genossenschaftsbewegung und
als die erste der heldenmütigen Frauen aus den höhern Ständen
— ihr Vater war ein internationaler Eisenbahnkönig —, die
eine Zeit lang in Verkleidung als Arbeiterinnen leben, um dann
ihren armen Mitschwestern wirksame Hilfe bringen zu können. Im Jahre 1892
hat sie Herrn situes Webb geheiratet, der' als eifriges Mitglied der
?iMtm Loeist^ mehrere Schriften über den englischen Sozialismus heraus¬
gegeben hat. Die Fabler (siehe Schulze-Güvernitz: Zum sozialen Frieden II,
122 sf.) sind Staatssozialisten, bilden aber im Unterschiede von ihren deutschen
Gesinnungsgenossen eine geschlossene Gesellschaft, die mit Vortrügen und Agi¬
tationsschriften planmäßig arbeitet. Sie nennen sich Fabler, weil sie, auf der
Entwicklungslehre fußend und an die Möglichkeit einer friedlichen Fortent¬
wicklung der Gesellschaft zum Bessern glaubend, gleich dem alten Zauberer
langsam, schrittweise, opportunistisch vorgehen Wollen. Sie stimmen mit den
Sozialdemokraten in dein Verdammungsurteil über die gegenwärtige Gesellschaft


Grenzboten IV 1896 21
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[0169] Die englischen Gewerkvereine den vielen schweren Pflichten, die das moderne Leben dem ernsten und dein wahrhaft gebildeten Menschen auferlegt, tritt als eine weitere Pflicht die, seine Augen gegen alles Blendwerk zu schürfen, sich den klaren Blick für die gute, nicht auf Aktien gegründete Schöpfung und Leistung zu erhalten, tiefes Mi߬ trauen gegen alle Prospekte und geistigen Dividendenverheißungen zu hegen, mutig die abweichende Meinung zu bekennen, das wahre, große, aber schlichte Verdienst aller Protzenwirtschaft zum Trotz zu ehren. Wer sich nicht die Unabhängigkeit des Geistes, die Fähigkeit der Unterscheidung zutraut, die auf Aktien erreichten Erfolge von den aus wahrhaftem Vermögen entsprungnen zu unterscheiden, wer dem schmeichelnden Eindruck der äußern Lage in Dingen des Geistes und der Kunst nicht zu widerstehen vermag, der darf eigentlich in diesen Dingen nicht mehr mitsprechen. Es ist vollkommen widersinnig, die Übermacht des Kapitals auf Lebens- und Thätigkeitsgebieten zu bekämpfen, auf denen es allenfalls Gutes zu schaffen und zu fördern vermag, und ihm ein Recht auf Gebieten einzuräumen, auf denen es nur hemmend und lähmend, verderbend und verwüstend wirken kann. Die englischen Gewerkvereine eatriee Potter ist den Grenzbotenlesern bekannt als Verfasserin eines Buches über die britische Genossenschaftsbewegung und als die erste der heldenmütigen Frauen aus den höhern Ständen — ihr Vater war ein internationaler Eisenbahnkönig —, die eine Zeit lang in Verkleidung als Arbeiterinnen leben, um dann ihren armen Mitschwestern wirksame Hilfe bringen zu können. Im Jahre 1892 hat sie Herrn situes Webb geheiratet, der' als eifriges Mitglied der ?iMtm Loeist^ mehrere Schriften über den englischen Sozialismus heraus¬ gegeben hat. Die Fabler (siehe Schulze-Güvernitz: Zum sozialen Frieden II, 122 sf.) sind Staatssozialisten, bilden aber im Unterschiede von ihren deutschen Gesinnungsgenossen eine geschlossene Gesellschaft, die mit Vortrügen und Agi¬ tationsschriften planmäßig arbeitet. Sie nennen sich Fabler, weil sie, auf der Entwicklungslehre fußend und an die Möglichkeit einer friedlichen Fortent¬ wicklung der Gesellschaft zum Bessern glaubend, gleich dem alten Zauberer langsam, schrittweise, opportunistisch vorgehen Wollen. Sie stimmen mit den Sozialdemokraten in dein Verdammungsurteil über die gegenwärtige Gesellschaft Grenzboten IV 1896 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/169>, abgerufen am 05.01.2025.