Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches zugleich im Biwak an, und lange zu warten hat in diesem Jahre sicherlich Das wäre freilich auch gerade diesmal besonders empfindlich gewesen, Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Herrschaft der Masse über den Geist. Daß auch noch so viel ge¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches zugleich im Biwak an, und lange zu warten hat in diesem Jahre sicherlich Das wäre freilich auch gerade diesmal besonders empfindlich gewesen, Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Herrschaft der Masse über den Geist. Daß auch noch so viel ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223736"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_460" prev="#ID_459"> zugleich im Biwak an, und lange zu warten hat in diesem Jahre sicherlich<lb/> keiner brauchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_461"> Das wäre freilich auch gerade diesmal besonders empfindlich gewesen,<lb/> denn das Wetter war die ganze Zeit über abscheulich. Der Gang der Übungen<lb/> wurde aber — völlig kriegsgemäß — durch den fortgesetzten Regen in keiner<lb/> Weise beeinflußt, und die Haltung der Truppen war trotz der zum Teil außer¬<lb/> ordentlichen Anstrengungen vorzüglich. Am Abend des 11. September besuchte<lb/> ich das Biwak eines Infanterieregiments, das zum viertenmal hintereinander<lb/> biwcikirte; um fünf Uhr früh war es aufgebrochen, um vier Uhr nachmittags<lb/> zur Ruhe gekommen, und gerade in dem Augenblick, als die Erbswurstsuppe<lb/> verteilt werden sollte — bei nassem Holz und feuchtem Boden ist das Kochen<lb/> im Freien ein schwieriges Geschäft —, prasselte ein fürchterlicher Platzregen<lb/> hernieder. Aber die Stimmung wurde dadurch nicht im geringsten getrübt.<lb/> Die Kochkessel wurden rasch in die Zelte getragen, und die Verteilung ging<lb/> dort so ruhig vor sich, wie beim schönsten Sonnenschein. Am nächsten Morgen<lb/> traf ich dasselbe Regiment auf dem Marsch; man sah den frischen Gesichtern<lb/> und dem blanken Putz die vierte im Regen verbrachte Biwaksnacht wahrlich<lb/> nicht an. Das aber scheint mir die Probe aufs Exempel zu sein, denn in<lb/> solchen Tagen lockern sich die Bande der strengsten Disziplin, die Überwachung<lb/> hört auf, und das Pflichtgefühl des einzelnen Mannes bleibt allein in Gel¬<lb/> tung. Es mag dem Laien sonderbar klingen, ist aber nichtsdestoweniger wahr:<lb/> solange unsre Leute noch im vierten Biwak ihre Sachen putzen, obwohl sie<lb/> wissen, daß Regen und Schmutz in der nächsten halben Stunde den Glanz<lb/> wieder verwischen werden, solange kaun das liebe Vaterland ruhig sein und<lb/> stolz auf seine treue Wacht. Mit solchen Truppen läßt sich alles machen, denn<lb/> ihre Tüchtigkeit ruht auf dem noch unerschütterten Grunde der Disziplin.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Die Herrschaft der Masse über den Geist. </head> <p xml:id="ID_462" next="#ID_463"> Daß auch noch so viel ge¬<lb/> scheite Leute, wenn sie gemeinsam zu handeln gezwungen sind, oft nur einen einzigen<lb/> Kollektivdummkopf ausmachen, ist eine alte Erfahrung, aber daß eine ganze gescheite<lb/> Nation toll werden und jahrelang toll bleiben sollte, vermögen wir trotz allem,<lb/> was in Paris geschieht, immer noch nicht so recht zu glauben. Legten sich die<lb/> Franzosen dem Russenkaiser wirklich nur in der Erwartung zu Füßen, daß er<lb/> ihnen helfen werde, Elsaß-Lothringen wieder zu erobern, so wäre das in der<lb/> That reine Tollheit. Bei einem stolzen Adelsgeschlecht, dem eine Schmach wieder¬<lb/> fahren ist, findet man es natürlich, daß sich seine Gedanken jahrzehntelang um</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0152]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
zugleich im Biwak an, und lange zu warten hat in diesem Jahre sicherlich
keiner brauchen.
Das wäre freilich auch gerade diesmal besonders empfindlich gewesen,
denn das Wetter war die ganze Zeit über abscheulich. Der Gang der Übungen
wurde aber — völlig kriegsgemäß — durch den fortgesetzten Regen in keiner
Weise beeinflußt, und die Haltung der Truppen war trotz der zum Teil außer¬
ordentlichen Anstrengungen vorzüglich. Am Abend des 11. September besuchte
ich das Biwak eines Infanterieregiments, das zum viertenmal hintereinander
biwcikirte; um fünf Uhr früh war es aufgebrochen, um vier Uhr nachmittags
zur Ruhe gekommen, und gerade in dem Augenblick, als die Erbswurstsuppe
verteilt werden sollte — bei nassem Holz und feuchtem Boden ist das Kochen
im Freien ein schwieriges Geschäft —, prasselte ein fürchterlicher Platzregen
hernieder. Aber die Stimmung wurde dadurch nicht im geringsten getrübt.
Die Kochkessel wurden rasch in die Zelte getragen, und die Verteilung ging
dort so ruhig vor sich, wie beim schönsten Sonnenschein. Am nächsten Morgen
traf ich dasselbe Regiment auf dem Marsch; man sah den frischen Gesichtern
und dem blanken Putz die vierte im Regen verbrachte Biwaksnacht wahrlich
nicht an. Das aber scheint mir die Probe aufs Exempel zu sein, denn in
solchen Tagen lockern sich die Bande der strengsten Disziplin, die Überwachung
hört auf, und das Pflichtgefühl des einzelnen Mannes bleibt allein in Gel¬
tung. Es mag dem Laien sonderbar klingen, ist aber nichtsdestoweniger wahr:
solange unsre Leute noch im vierten Biwak ihre Sachen putzen, obwohl sie
wissen, daß Regen und Schmutz in der nächsten halben Stunde den Glanz
wieder verwischen werden, solange kaun das liebe Vaterland ruhig sein und
stolz auf seine treue Wacht. Mit solchen Truppen läßt sich alles machen, denn
ihre Tüchtigkeit ruht auf dem noch unerschütterten Grunde der Disziplin.
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Herrschaft der Masse über den Geist. Daß auch noch so viel ge¬
scheite Leute, wenn sie gemeinsam zu handeln gezwungen sind, oft nur einen einzigen
Kollektivdummkopf ausmachen, ist eine alte Erfahrung, aber daß eine ganze gescheite
Nation toll werden und jahrelang toll bleiben sollte, vermögen wir trotz allem,
was in Paris geschieht, immer noch nicht so recht zu glauben. Legten sich die
Franzosen dem Russenkaiser wirklich nur in der Erwartung zu Füßen, daß er
ihnen helfen werde, Elsaß-Lothringen wieder zu erobern, so wäre das in der
That reine Tollheit. Bei einem stolzen Adelsgeschlecht, dem eine Schmach wieder¬
fahren ist, findet man es natürlich, daß sich seine Gedanken jahrzehntelang um
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