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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen
Lin Beitrag zur deutschen Litteraturgeschichte der Gegenwart
Adolf Barrels von(Schluß)
11

as Ende des jüngstdeutscheu Sturms und Dranges, der, wie
gesagt, hauptsächlich lyrischer Natur war, kann man ungefähr
in das Jahr 1889 setzen; da löste sich von dem Tohuwabohu
der realistischen und idealistischen, vor allem unklaren Bestre¬
bungen ein zielbewußter Naturalismus, und zugleich traten die
führenden Talente hervor, die denn auch bald die ganze Nation als Publikum
gewannen, während die Bewegung bisher nur in engern Kreisen Aufmerksam¬
keit erregt hatte. Daß der Sieg der neuen Dichtung nur eine Frage der Zeit
war, bewies namentlich der Umstand, daß sich ihr nun auch die Talente zu¬
zuwenden begannen, die mit jenein glücklichen Ahnungsvermögen des Erfolgs
begabt sind, das eine Täuschung über deu Ausgang einer Bewegung nicht
zuläßt. Sie nehmen, wie sich Hebbel ausdrückt, soviel vom Neuen, wie nötig
ist, um pikant zu sein, und thun soviel vom Alten hinzu, als nötig ist, um
nicht herbe zu werden; die Mischung gefällt, und was gefällt, macht Glück.
Das ist das Geheimnis des Erfolgs Hermann Sudermanns (geb. 1857 zu
Matzicken in Ostpreußen) und der andern Übergangstalente.

Ich will hier nicht in das Geschimpf auf Sudermcmn einstimmen. Er ist
ein starkes Talent, nicht bloß eine neue verbesserte Auflage von Paul Lindau.
Aber es war freilich ein verhängnisvoller Irrtum, den Dichter der "Ehre"
als den wahren Dichter unsrer Zeit und Bringer alles Heils aufzufassen, wie
es das große Publikum that. Nicht aus dem berechtigten Sturm und Drang
Yt Sudermann hervorgewachsen, sondern aus dem Feuilletonismus -- insofern
der Vergleich mit Lindau nicht abzuweisen --, doch ist er freilich imstande
gewesen, diesem als der auf die Schilderung der Oberfläche der Gesellschaft
ausgehenden litterarischen Richtung eine gewisse Berechtigung zu geben. Suder¬
manns geistige Väter sind nicht Ibsen, Zola und die großen Russen, sondern
die ältern Franzosen, Dumas und Genossen; kann man Lindau eine philiströse


Grenzboten III 1L96 58


Die Alten und die Jungen
Lin Beitrag zur deutschen Litteraturgeschichte der Gegenwart
Adolf Barrels von(Schluß)
11

as Ende des jüngstdeutscheu Sturms und Dranges, der, wie
gesagt, hauptsächlich lyrischer Natur war, kann man ungefähr
in das Jahr 1889 setzen; da löste sich von dem Tohuwabohu
der realistischen und idealistischen, vor allem unklaren Bestre¬
bungen ein zielbewußter Naturalismus, und zugleich traten die
führenden Talente hervor, die denn auch bald die ganze Nation als Publikum
gewannen, während die Bewegung bisher nur in engern Kreisen Aufmerksam¬
keit erregt hatte. Daß der Sieg der neuen Dichtung nur eine Frage der Zeit
war, bewies namentlich der Umstand, daß sich ihr nun auch die Talente zu¬
zuwenden begannen, die mit jenein glücklichen Ahnungsvermögen des Erfolgs
begabt sind, das eine Täuschung über deu Ausgang einer Bewegung nicht
zuläßt. Sie nehmen, wie sich Hebbel ausdrückt, soviel vom Neuen, wie nötig
ist, um pikant zu sein, und thun soviel vom Alten hinzu, als nötig ist, um
nicht herbe zu werden; die Mischung gefällt, und was gefällt, macht Glück.
Das ist das Geheimnis des Erfolgs Hermann Sudermanns (geb. 1857 zu
Matzicken in Ostpreußen) und der andern Übergangstalente.

Ich will hier nicht in das Geschimpf auf Sudermcmn einstimmen. Er ist
ein starkes Talent, nicht bloß eine neue verbesserte Auflage von Paul Lindau.
Aber es war freilich ein verhängnisvoller Irrtum, den Dichter der „Ehre"
als den wahren Dichter unsrer Zeit und Bringer alles Heils aufzufassen, wie
es das große Publikum that. Nicht aus dem berechtigten Sturm und Drang
Yt Sudermann hervorgewachsen, sondern aus dem Feuilletonismus — insofern
der Vergleich mit Lindau nicht abzuweisen —, doch ist er freilich imstande
gewesen, diesem als der auf die Schilderung der Oberfläche der Gesellschaft
ausgehenden litterarischen Richtung eine gewisse Berechtigung zu geben. Suder¬
manns geistige Väter sind nicht Ibsen, Zola und die großen Russen, sondern
die ältern Franzosen, Dumas und Genossen; kann man Lindau eine philiströse


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[0465] [Abbildung] Die Alten und die Jungen Lin Beitrag zur deutschen Litteraturgeschichte der Gegenwart Adolf Barrels von(Schluß) 11 as Ende des jüngstdeutscheu Sturms und Dranges, der, wie gesagt, hauptsächlich lyrischer Natur war, kann man ungefähr in das Jahr 1889 setzen; da löste sich von dem Tohuwabohu der realistischen und idealistischen, vor allem unklaren Bestre¬ bungen ein zielbewußter Naturalismus, und zugleich traten die führenden Talente hervor, die denn auch bald die ganze Nation als Publikum gewannen, während die Bewegung bisher nur in engern Kreisen Aufmerksam¬ keit erregt hatte. Daß der Sieg der neuen Dichtung nur eine Frage der Zeit war, bewies namentlich der Umstand, daß sich ihr nun auch die Talente zu¬ zuwenden begannen, die mit jenein glücklichen Ahnungsvermögen des Erfolgs begabt sind, das eine Täuschung über deu Ausgang einer Bewegung nicht zuläßt. Sie nehmen, wie sich Hebbel ausdrückt, soviel vom Neuen, wie nötig ist, um pikant zu sein, und thun soviel vom Alten hinzu, als nötig ist, um nicht herbe zu werden; die Mischung gefällt, und was gefällt, macht Glück. Das ist das Geheimnis des Erfolgs Hermann Sudermanns (geb. 1857 zu Matzicken in Ostpreußen) und der andern Übergangstalente. Ich will hier nicht in das Geschimpf auf Sudermcmn einstimmen. Er ist ein starkes Talent, nicht bloß eine neue verbesserte Auflage von Paul Lindau. Aber es war freilich ein verhängnisvoller Irrtum, den Dichter der „Ehre" als den wahren Dichter unsrer Zeit und Bringer alles Heils aufzufassen, wie es das große Publikum that. Nicht aus dem berechtigten Sturm und Drang Yt Sudermann hervorgewachsen, sondern aus dem Feuilletonismus — insofern der Vergleich mit Lindau nicht abzuweisen —, doch ist er freilich imstande gewesen, diesem als der auf die Schilderung der Oberfläche der Gesellschaft ausgehenden litterarischen Richtung eine gewisse Berechtigung zu geben. Suder¬ manns geistige Väter sind nicht Ibsen, Zola und die großen Russen, sondern die ältern Franzosen, Dumas und Genossen; kann man Lindau eine philiströse Grenzboten III 1L96 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/465>, abgerufen am 01.09.2024.