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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

Karrikatur des jüngern Dumas nennen, so ist Sudermann Dumas berufner
deutscher Nachfolger. Ein Vergleich wäre selbst im einzelnen durchzuführen,
Vie deun Sudermann z. B. den Raisonneur der Dumasschen Dramen (Graf
Trask, Dr. Weiße) wiederbringt; die Hauptsache ist jedoch, daß Sudermann
wie Dumas nie zum Kerne vordringt, seine Werke wachsen überhaupt nicht
naturgemäß, sondern sind konstruirt und dann mit großem technischem Raffine¬
ment und sogenanntem Geist durchgeführt. In Einzelheiten zeigt Sudermann
ein nicht unbedeutendes Beobachtnngstalent, da ist er ein echter Realist und
verrät, daß die Bewegungen der Zeit nicht spurlos an ihm vorübergegangen
sind, wenn er auch uicht zu vollem Verständnis durchgedrungen ist; sein Ge¬
samtbild ist immer schief und von der den Franzosen abgelernten "Antithese"
beherrscht. Eine geschickte Mischung aus Altem und Neuem, das ist es in der
That, und zwar sowohl in seinen Dramen wie in seinen Romanen, die man
vielfach höher schätzt als jene. Daher ist Sudermann auch vor allem inter¬
essant. Selbst das Drama, in dem die meiste subjektive Wahrheit steckt,
"Sodoms Ende," zeigt im Grunde, daß Sudermann bei allem Talent doch
kein Dichter ist; sonst Hütte er uns nicht die Gestalt des Willy Jcmnikow bieten
können, die für jeden, der ein bischen Verständnis für das Wesen des Künstlers
hat, uicht bloß eine jämmerliche, sondern eine unmögliche Figur ist. Mit der
"Heimat," die Litzmann komischerweise für die Darstellung eines tief in das
Leben jedes einzelnen von uns eingreifenden Problems erklärt, habe ich die
Hoffnungen auf eine Entwicklung Sudermanns zu Grabe getragen, und sie
sind bisher nicht wieder auferstanden.

Auch Ludwig Fulda (geb. 1862 zu Frankfurt a. M-) ist aus dem Feuille¬
tonismus hervorgewachsen, im übrigen aber durchaus Epigone und nur Form¬
talent. Die Werke, mit denen er sich dem Naturalismus annähern wollte, sind
lächerlich dünn und unwahr und jetzt denn auch schon wieder verschollen.
Sein Erfolg war bekanntlich der "Talisman," ein Werk, das im alten Stile,
etwa dem Grillvarzers oder Halms, recht gut gemacht ist, aber alle höhern
dichterischen Eigenschaften vermissen läßt. Daß es sür den Schillerpreis vor¬
geschlagen wurde, ist eine der köstlichsten Geschichten, die die deutsche Litteratur¬
geschichte zu verzeichnen hat. Weitere Übergangstalente sind dann Ernst von
Wolzogen und A. v. Roberts, die beide einzelne beachtenswerte Romane ge¬
schrieben und auch auf der Bühne gelegentlich Erfolg gehabt haben, aber hinter
Sudermann doch zurückstehen. Talente dritten und vierten Ranges dieser Art
sind außerordentlich viel vorhanden.

Noch ehe Sudermanns "Ehre" auf die Bühne kam und -- was ihr
Hauptverdienst ist -- die Kluft, die sich seit langem zwischen dem Theater
und dem ernsten Drama aufgethan hatte, wieder einmal überbrückte, war Gerhart
Hauptmanns (geb. 1862 zu Salzbruun) "Vor Sonnenaufgang" erschienen (1889)
und zunächst von einer kleinen Partei als der Beginn einer neuen dramatischen


Die Alten und die Jungen

Karrikatur des jüngern Dumas nennen, so ist Sudermann Dumas berufner
deutscher Nachfolger. Ein Vergleich wäre selbst im einzelnen durchzuführen,
Vie deun Sudermann z. B. den Raisonneur der Dumasschen Dramen (Graf
Trask, Dr. Weiße) wiederbringt; die Hauptsache ist jedoch, daß Sudermann
wie Dumas nie zum Kerne vordringt, seine Werke wachsen überhaupt nicht
naturgemäß, sondern sind konstruirt und dann mit großem technischem Raffine¬
ment und sogenanntem Geist durchgeführt. In Einzelheiten zeigt Sudermann
ein nicht unbedeutendes Beobachtnngstalent, da ist er ein echter Realist und
verrät, daß die Bewegungen der Zeit nicht spurlos an ihm vorübergegangen
sind, wenn er auch uicht zu vollem Verständnis durchgedrungen ist; sein Ge¬
samtbild ist immer schief und von der den Franzosen abgelernten „Antithese"
beherrscht. Eine geschickte Mischung aus Altem und Neuem, das ist es in der
That, und zwar sowohl in seinen Dramen wie in seinen Romanen, die man
vielfach höher schätzt als jene. Daher ist Sudermann auch vor allem inter¬
essant. Selbst das Drama, in dem die meiste subjektive Wahrheit steckt,
„Sodoms Ende," zeigt im Grunde, daß Sudermann bei allem Talent doch
kein Dichter ist; sonst Hütte er uns nicht die Gestalt des Willy Jcmnikow bieten
können, die für jeden, der ein bischen Verständnis für das Wesen des Künstlers
hat, uicht bloß eine jämmerliche, sondern eine unmögliche Figur ist. Mit der
„Heimat," die Litzmann komischerweise für die Darstellung eines tief in das
Leben jedes einzelnen von uns eingreifenden Problems erklärt, habe ich die
Hoffnungen auf eine Entwicklung Sudermanns zu Grabe getragen, und sie
sind bisher nicht wieder auferstanden.

Auch Ludwig Fulda (geb. 1862 zu Frankfurt a. M-) ist aus dem Feuille¬
tonismus hervorgewachsen, im übrigen aber durchaus Epigone und nur Form¬
talent. Die Werke, mit denen er sich dem Naturalismus annähern wollte, sind
lächerlich dünn und unwahr und jetzt denn auch schon wieder verschollen.
Sein Erfolg war bekanntlich der „Talisman," ein Werk, das im alten Stile,
etwa dem Grillvarzers oder Halms, recht gut gemacht ist, aber alle höhern
dichterischen Eigenschaften vermissen läßt. Daß es sür den Schillerpreis vor¬
geschlagen wurde, ist eine der köstlichsten Geschichten, die die deutsche Litteratur¬
geschichte zu verzeichnen hat. Weitere Übergangstalente sind dann Ernst von
Wolzogen und A. v. Roberts, die beide einzelne beachtenswerte Romane ge¬
schrieben und auch auf der Bühne gelegentlich Erfolg gehabt haben, aber hinter
Sudermann doch zurückstehen. Talente dritten und vierten Ranges dieser Art
sind außerordentlich viel vorhanden.

Noch ehe Sudermanns „Ehre" auf die Bühne kam und — was ihr
Hauptverdienst ist — die Kluft, die sich seit langem zwischen dem Theater
und dem ernsten Drama aufgethan hatte, wieder einmal überbrückte, war Gerhart
Hauptmanns (geb. 1862 zu Salzbruun) „Vor Sonnenaufgang" erschienen (1889)
und zunächst von einer kleinen Partei als der Beginn einer neuen dramatischen


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[0466] Die Alten und die Jungen Karrikatur des jüngern Dumas nennen, so ist Sudermann Dumas berufner deutscher Nachfolger. Ein Vergleich wäre selbst im einzelnen durchzuführen, Vie deun Sudermann z. B. den Raisonneur der Dumasschen Dramen (Graf Trask, Dr. Weiße) wiederbringt; die Hauptsache ist jedoch, daß Sudermann wie Dumas nie zum Kerne vordringt, seine Werke wachsen überhaupt nicht naturgemäß, sondern sind konstruirt und dann mit großem technischem Raffine¬ ment und sogenanntem Geist durchgeführt. In Einzelheiten zeigt Sudermann ein nicht unbedeutendes Beobachtnngstalent, da ist er ein echter Realist und verrät, daß die Bewegungen der Zeit nicht spurlos an ihm vorübergegangen sind, wenn er auch uicht zu vollem Verständnis durchgedrungen ist; sein Ge¬ samtbild ist immer schief und von der den Franzosen abgelernten „Antithese" beherrscht. Eine geschickte Mischung aus Altem und Neuem, das ist es in der That, und zwar sowohl in seinen Dramen wie in seinen Romanen, die man vielfach höher schätzt als jene. Daher ist Sudermann auch vor allem inter¬ essant. Selbst das Drama, in dem die meiste subjektive Wahrheit steckt, „Sodoms Ende," zeigt im Grunde, daß Sudermann bei allem Talent doch kein Dichter ist; sonst Hütte er uns nicht die Gestalt des Willy Jcmnikow bieten können, die für jeden, der ein bischen Verständnis für das Wesen des Künstlers hat, uicht bloß eine jämmerliche, sondern eine unmögliche Figur ist. Mit der „Heimat," die Litzmann komischerweise für die Darstellung eines tief in das Leben jedes einzelnen von uns eingreifenden Problems erklärt, habe ich die Hoffnungen auf eine Entwicklung Sudermanns zu Grabe getragen, und sie sind bisher nicht wieder auferstanden. Auch Ludwig Fulda (geb. 1862 zu Frankfurt a. M-) ist aus dem Feuille¬ tonismus hervorgewachsen, im übrigen aber durchaus Epigone und nur Form¬ talent. Die Werke, mit denen er sich dem Naturalismus annähern wollte, sind lächerlich dünn und unwahr und jetzt denn auch schon wieder verschollen. Sein Erfolg war bekanntlich der „Talisman," ein Werk, das im alten Stile, etwa dem Grillvarzers oder Halms, recht gut gemacht ist, aber alle höhern dichterischen Eigenschaften vermissen läßt. Daß es sür den Schillerpreis vor¬ geschlagen wurde, ist eine der köstlichsten Geschichten, die die deutsche Litteratur¬ geschichte zu verzeichnen hat. Weitere Übergangstalente sind dann Ernst von Wolzogen und A. v. Roberts, die beide einzelne beachtenswerte Romane ge¬ schrieben und auch auf der Bühne gelegentlich Erfolg gehabt haben, aber hinter Sudermann doch zurückstehen. Talente dritten und vierten Ranges dieser Art sind außerordentlich viel vorhanden. Noch ehe Sudermanns „Ehre" auf die Bühne kam und — was ihr Hauptverdienst ist — die Kluft, die sich seit langem zwischen dem Theater und dem ernsten Drama aufgethan hatte, wieder einmal überbrückte, war Gerhart Hauptmanns (geb. 1862 zu Salzbruun) „Vor Sonnenaufgang" erschienen (1889) und zunächst von einer kleinen Partei als der Beginn einer neuen dramatischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/466>, abgerufen am 01.09.2024.