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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große und der Ursprung des sieben¬
jährigen Krieges
Julius Franz von

n der neuern Geschichte giebt es kaum eine schwierigere, aber
auch reizvollere Aufgabe für den Forscher, als die Untersuchung
über Friedrichs des Großen staatsmännischen Charakter und den
Ursprung des siebenjährigen Krieges. Die Phantasie und den
Scharfsinn zahlreicher Geschichtsforscher hat sie seit länger als
einem Jahrhundert in eifriger Bewegung erhalten, und immer ist sie von
neuem in Angriff genommen worden. Aber während sich zahlreiche andre
Fragen der neuern Geschichte bei dem Gegensatz der Interessen und Leiden¬
schaften, die dabei mitzuspielen Pflegen, kaum zu allgemeiner Zustimmung
durchzuringen vermochten, hat sich über die Entstehungsgeschichte des sieben¬
jährigen Krieges, namentlich seit Öffnung der Berliner, Wiener, Pariser und
Moskaner Archive allmählich eine allseitig anerkannte Meinung gebildet. Von
deutschen und österreichischen, von französischen und russischen Geschichtschreibern,
von Ranke, Koser und Nauds, von Arneth, dem Biographen Maria Theresias,
und von Beer, von dem Herzog von Broglie und von Mariens, dem Ver¬
fasser der "Geschichte der russischen Diplomatie," ist die Geschichte des Ur¬
sprungs des großen Kampfes erforscht worden, und alle sind einmütig zu der
Ansicht gekommen, daß König Friedrich dem ihm von Österreich, Rußland und
Frankreich drohenden Vernichtungskampfe, von dessen Plan er im allgemeinen
unterrichtet war, durch seine plötzliche Schilderhebung im Jahre 1756 habe
zuvorkommen wollen, nach dem alten bewährten Grundsatze, daß die beste Ver¬
teidigung der Angriff ist.

Dagegen ist die Beurteilung der Thätigkeit des Staatsmanns Friedrich
lange Zeit zu keiner Stetigkeit gelangt. "Das Leben des Genius ist immer
geheimnisvoll, selten erscheint es so schwer verständlich, wie in dem unerschöpf¬
lichen Reichtum dieses Geistes." Von der Revolution achtlos verworfen, von
den großen Reformern von 1807/8 hart bekämpft, weil sie seine gewaltige
Erbschaft nicht anerkennen wollten, die Erbschaft der verwegnen Staatsbildung,
die sich ohne die belebende Kraft des Genies nicht zu behaupten vermochte --
'se der Trüger des alten Systems erst vom Liberalismus, von dem hochbegabten




Friedrich der Große und der Ursprung des sieben¬
jährigen Krieges
Julius Franz von

n der neuern Geschichte giebt es kaum eine schwierigere, aber
auch reizvollere Aufgabe für den Forscher, als die Untersuchung
über Friedrichs des Großen staatsmännischen Charakter und den
Ursprung des siebenjährigen Krieges. Die Phantasie und den
Scharfsinn zahlreicher Geschichtsforscher hat sie seit länger als
einem Jahrhundert in eifriger Bewegung erhalten, und immer ist sie von
neuem in Angriff genommen worden. Aber während sich zahlreiche andre
Fragen der neuern Geschichte bei dem Gegensatz der Interessen und Leiden¬
schaften, die dabei mitzuspielen Pflegen, kaum zu allgemeiner Zustimmung
durchzuringen vermochten, hat sich über die Entstehungsgeschichte des sieben¬
jährigen Krieges, namentlich seit Öffnung der Berliner, Wiener, Pariser und
Moskaner Archive allmählich eine allseitig anerkannte Meinung gebildet. Von
deutschen und österreichischen, von französischen und russischen Geschichtschreibern,
von Ranke, Koser und Nauds, von Arneth, dem Biographen Maria Theresias,
und von Beer, von dem Herzog von Broglie und von Mariens, dem Ver¬
fasser der „Geschichte der russischen Diplomatie," ist die Geschichte des Ur¬
sprungs des großen Kampfes erforscht worden, und alle sind einmütig zu der
Ansicht gekommen, daß König Friedrich dem ihm von Österreich, Rußland und
Frankreich drohenden Vernichtungskampfe, von dessen Plan er im allgemeinen
unterrichtet war, durch seine plötzliche Schilderhebung im Jahre 1756 habe
zuvorkommen wollen, nach dem alten bewährten Grundsatze, daß die beste Ver¬
teidigung der Angriff ist.

Dagegen ist die Beurteilung der Thätigkeit des Staatsmanns Friedrich
lange Zeit zu keiner Stetigkeit gelangt. „Das Leben des Genius ist immer
geheimnisvoll, selten erscheint es so schwer verständlich, wie in dem unerschöpf¬
lichen Reichtum dieses Geistes." Von der Revolution achtlos verworfen, von
den großen Reformern von 1807/8 hart bekämpft, weil sie seine gewaltige
Erbschaft nicht anerkennen wollten, die Erbschaft der verwegnen Staatsbildung,
die sich ohne die belebende Kraft des Genies nicht zu behaupten vermochte —
'se der Trüger des alten Systems erst vom Liberalismus, von dem hochbegabten


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[0027] [Abbildung] Friedrich der Große und der Ursprung des sieben¬ jährigen Krieges Julius Franz von n der neuern Geschichte giebt es kaum eine schwierigere, aber auch reizvollere Aufgabe für den Forscher, als die Untersuchung über Friedrichs des Großen staatsmännischen Charakter und den Ursprung des siebenjährigen Krieges. Die Phantasie und den Scharfsinn zahlreicher Geschichtsforscher hat sie seit länger als einem Jahrhundert in eifriger Bewegung erhalten, und immer ist sie von neuem in Angriff genommen worden. Aber während sich zahlreiche andre Fragen der neuern Geschichte bei dem Gegensatz der Interessen und Leiden¬ schaften, die dabei mitzuspielen Pflegen, kaum zu allgemeiner Zustimmung durchzuringen vermochten, hat sich über die Entstehungsgeschichte des sieben¬ jährigen Krieges, namentlich seit Öffnung der Berliner, Wiener, Pariser und Moskaner Archive allmählich eine allseitig anerkannte Meinung gebildet. Von deutschen und österreichischen, von französischen und russischen Geschichtschreibern, von Ranke, Koser und Nauds, von Arneth, dem Biographen Maria Theresias, und von Beer, von dem Herzog von Broglie und von Mariens, dem Ver¬ fasser der „Geschichte der russischen Diplomatie," ist die Geschichte des Ur¬ sprungs des großen Kampfes erforscht worden, und alle sind einmütig zu der Ansicht gekommen, daß König Friedrich dem ihm von Österreich, Rußland und Frankreich drohenden Vernichtungskampfe, von dessen Plan er im allgemeinen unterrichtet war, durch seine plötzliche Schilderhebung im Jahre 1756 habe zuvorkommen wollen, nach dem alten bewährten Grundsatze, daß die beste Ver¬ teidigung der Angriff ist. Dagegen ist die Beurteilung der Thätigkeit des Staatsmanns Friedrich lange Zeit zu keiner Stetigkeit gelangt. „Das Leben des Genius ist immer geheimnisvoll, selten erscheint es so schwer verständlich, wie in dem unerschöpf¬ lichen Reichtum dieses Geistes." Von der Revolution achtlos verworfen, von den großen Reformern von 1807/8 hart bekämpft, weil sie seine gewaltige Erbschaft nicht anerkennen wollten, die Erbschaft der verwegnen Staatsbildung, die sich ohne die belebende Kraft des Genies nicht zu behaupten vermochte — 'se der Trüger des alten Systems erst vom Liberalismus, von dem hochbegabten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/27>, abgerufen am 21.11.2024.