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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

Schotten Thomas Carlyle wieder gewürdigt worden. Aber erst unsrer Zeit
war es vorbehalten, das Wirken des Königs ganz zu erkennen und ihm
auch als Vertreter des Merkantilsystems volle Gerechtigkeit zu teil werdeu
zu lassen.

Kaum aber war das Andenken des Vielgeschmühten, Vielbefehdeten in
seiner ganzen Fülle und Kraft, wie es einst den bewundernden Zeitgenossen
erschienen war, wiederhergestellt, da trat auch schon das Widerspiel ein. Man
begann der harten, rücksichtslosen preußischen Art und der Einseitigkeit der
kleindeutschen Geschichtschreibung, die in Johannes Gustav Droysen und Max
Duncker ihre glänzendsten Vertreter gefunden hat, inne zu werden -- eine
natürliche Folge der Erfüllung der nationalen Gedanken und Bestrebungen,
denen der geheimnisvolle Alte noch als ein geheiligtes Symbol gedient hatte --
und trat nun mit scharfem Widerspruch der ältern Verherrlichung oder, wie
man es nennt, der "preußischen Legende" entgegen. Der lauteste Wortführer,
der entschiedenste Vorkämpfer dieser, namentlich in jüngern Forscherkreisen ge¬
pflegten Richtung ist Max Lehmann, der Verfasser der Biographie Scharnhorsts.

In seinem kürzlich erschienenen Buche: "Friedrich der Große und der
Ursprung des siebenjährigen Krieges" hat es Lehmann unternommen, "die
bisher allgemein geltende Ansicht, König Friedrich habe den siebenjährigen
Krieg nur aus Notwehr begonnen," umzustürzen, "energisch, straff, knapp, mit
einer langen Kette wohlgepflegter Beweise, die er mit apodiktischer Gewißheit
aneinander reiht." Lehmann behauptet, Friedrich habe sich im innersten
Herzen mit Eroberungsabsichten getragen und mit Freuden die günstige Ge¬
legenheit des preußenfeindlichen Bündnisses ergriffen, um den Krieg zu be¬
ginnen. Er bestätigt zwar die österreichischen Angriffspläne, leugnet aber,
daß der Dreibund vollendet gewesen sei, ja daß er überhaupt zu stände ge¬
kommen wäre, wenn nicht der unvorhergesehne Angriff des Königs die letzten
Hindernisse beseitigt hätte. Zweck und Ziel sei für ihn die Eroberung von
Sachsen und Westpreußen gewesen.

Bei der Beurteilung des Lehmaunschen Buches handelt es sich um nichts
geringeres als um die Beantwortung der Frage, ob die Auffassung von Fried-
richs staatsmännischem Charakter wiederum von Grund aus umgestürzt werden,
ob das Gesamturteil über die Beweggründe des Königs im Jahre 1756 end-
giltig aufgegeben werden müsse, und ob die Methode der Qucllenbenutzung,
der psychologischen Auffassung, wie sie hier an einem großartigen Beispiel
angewendet worden ist, als richtig anerkannt werden könne. Und es handelt
sich weiter um das unbestreitbare Recht der Geschichtswissenschaft auf die
Veröffentlichung der wichtigsten Aktenstücke über die vaterländische Geschichte,
um Fragen der "wissenschaftlich persönlichen Diskussion, ihrer Formen und
ihrer Sittlichkeit." Wahrlich Gründe genug, die Aufmerksamkeit auch weiterer
Kreise auf diesen Gegenstand zu lenken. Hören wir zunächst den Verfasser.


Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

Schotten Thomas Carlyle wieder gewürdigt worden. Aber erst unsrer Zeit
war es vorbehalten, das Wirken des Königs ganz zu erkennen und ihm
auch als Vertreter des Merkantilsystems volle Gerechtigkeit zu teil werdeu
zu lassen.

Kaum aber war das Andenken des Vielgeschmühten, Vielbefehdeten in
seiner ganzen Fülle und Kraft, wie es einst den bewundernden Zeitgenossen
erschienen war, wiederhergestellt, da trat auch schon das Widerspiel ein. Man
begann der harten, rücksichtslosen preußischen Art und der Einseitigkeit der
kleindeutschen Geschichtschreibung, die in Johannes Gustav Droysen und Max
Duncker ihre glänzendsten Vertreter gefunden hat, inne zu werden — eine
natürliche Folge der Erfüllung der nationalen Gedanken und Bestrebungen,
denen der geheimnisvolle Alte noch als ein geheiligtes Symbol gedient hatte —
und trat nun mit scharfem Widerspruch der ältern Verherrlichung oder, wie
man es nennt, der „preußischen Legende" entgegen. Der lauteste Wortführer,
der entschiedenste Vorkämpfer dieser, namentlich in jüngern Forscherkreisen ge¬
pflegten Richtung ist Max Lehmann, der Verfasser der Biographie Scharnhorsts.

In seinem kürzlich erschienenen Buche: „Friedrich der Große und der
Ursprung des siebenjährigen Krieges" hat es Lehmann unternommen, „die
bisher allgemein geltende Ansicht, König Friedrich habe den siebenjährigen
Krieg nur aus Notwehr begonnen," umzustürzen, „energisch, straff, knapp, mit
einer langen Kette wohlgepflegter Beweise, die er mit apodiktischer Gewißheit
aneinander reiht." Lehmann behauptet, Friedrich habe sich im innersten
Herzen mit Eroberungsabsichten getragen und mit Freuden die günstige Ge¬
legenheit des preußenfeindlichen Bündnisses ergriffen, um den Krieg zu be¬
ginnen. Er bestätigt zwar die österreichischen Angriffspläne, leugnet aber,
daß der Dreibund vollendet gewesen sei, ja daß er überhaupt zu stände ge¬
kommen wäre, wenn nicht der unvorhergesehne Angriff des Königs die letzten
Hindernisse beseitigt hätte. Zweck und Ziel sei für ihn die Eroberung von
Sachsen und Westpreußen gewesen.

Bei der Beurteilung des Lehmaunschen Buches handelt es sich um nichts
geringeres als um die Beantwortung der Frage, ob die Auffassung von Fried-
richs staatsmännischem Charakter wiederum von Grund aus umgestürzt werden,
ob das Gesamturteil über die Beweggründe des Königs im Jahre 1756 end-
giltig aufgegeben werden müsse, und ob die Methode der Qucllenbenutzung,
der psychologischen Auffassung, wie sie hier an einem großartigen Beispiel
angewendet worden ist, als richtig anerkannt werden könne. Und es handelt
sich weiter um das unbestreitbare Recht der Geschichtswissenschaft auf die
Veröffentlichung der wichtigsten Aktenstücke über die vaterländische Geschichte,
um Fragen der „wissenschaftlich persönlichen Diskussion, ihrer Formen und
ihrer Sittlichkeit." Wahrlich Gründe genug, die Aufmerksamkeit auch weiterer
Kreise auf diesen Gegenstand zu lenken. Hören wir zunächst den Verfasser.


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[0028] Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges Schotten Thomas Carlyle wieder gewürdigt worden. Aber erst unsrer Zeit war es vorbehalten, das Wirken des Königs ganz zu erkennen und ihm auch als Vertreter des Merkantilsystems volle Gerechtigkeit zu teil werdeu zu lassen. Kaum aber war das Andenken des Vielgeschmühten, Vielbefehdeten in seiner ganzen Fülle und Kraft, wie es einst den bewundernden Zeitgenossen erschienen war, wiederhergestellt, da trat auch schon das Widerspiel ein. Man begann der harten, rücksichtslosen preußischen Art und der Einseitigkeit der kleindeutschen Geschichtschreibung, die in Johannes Gustav Droysen und Max Duncker ihre glänzendsten Vertreter gefunden hat, inne zu werden — eine natürliche Folge der Erfüllung der nationalen Gedanken und Bestrebungen, denen der geheimnisvolle Alte noch als ein geheiligtes Symbol gedient hatte — und trat nun mit scharfem Widerspruch der ältern Verherrlichung oder, wie man es nennt, der „preußischen Legende" entgegen. Der lauteste Wortführer, der entschiedenste Vorkämpfer dieser, namentlich in jüngern Forscherkreisen ge¬ pflegten Richtung ist Max Lehmann, der Verfasser der Biographie Scharnhorsts. In seinem kürzlich erschienenen Buche: „Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges" hat es Lehmann unternommen, „die bisher allgemein geltende Ansicht, König Friedrich habe den siebenjährigen Krieg nur aus Notwehr begonnen," umzustürzen, „energisch, straff, knapp, mit einer langen Kette wohlgepflegter Beweise, die er mit apodiktischer Gewißheit aneinander reiht." Lehmann behauptet, Friedrich habe sich im innersten Herzen mit Eroberungsabsichten getragen und mit Freuden die günstige Ge¬ legenheit des preußenfeindlichen Bündnisses ergriffen, um den Krieg zu be¬ ginnen. Er bestätigt zwar die österreichischen Angriffspläne, leugnet aber, daß der Dreibund vollendet gewesen sei, ja daß er überhaupt zu stände ge¬ kommen wäre, wenn nicht der unvorhergesehne Angriff des Königs die letzten Hindernisse beseitigt hätte. Zweck und Ziel sei für ihn die Eroberung von Sachsen und Westpreußen gewesen. Bei der Beurteilung des Lehmaunschen Buches handelt es sich um nichts geringeres als um die Beantwortung der Frage, ob die Auffassung von Fried- richs staatsmännischem Charakter wiederum von Grund aus umgestürzt werden, ob das Gesamturteil über die Beweggründe des Königs im Jahre 1756 end- giltig aufgegeben werden müsse, und ob die Methode der Qucllenbenutzung, der psychologischen Auffassung, wie sie hier an einem großartigen Beispiel angewendet worden ist, als richtig anerkannt werden könne. Und es handelt sich weiter um das unbestreitbare Recht der Geschichtswissenschaft auf die Veröffentlichung der wichtigsten Aktenstücke über die vaterländische Geschichte, um Fragen der „wissenschaftlich persönlichen Diskussion, ihrer Formen und ihrer Sittlichkeit." Wahrlich Gründe genug, die Aufmerksamkeit auch weiterer Kreise auf diesen Gegenstand zu lenken. Hören wir zunächst den Verfasser.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/28>, abgerufen am 01.09.2024.