Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Ernst "Lurtius von Betrügereien, die desto schwerer auszuführen und desto seltener sind, je (Lrnst (Lurtius M n dem hohen Alter von zweiundachtzig Jahren ist Ernst Curtius Ernst «Lurtius von Betrügereien, die desto schwerer auszuführen und desto seltener sind, je (Lrnst (Lurtius M n dem hohen Alter von zweiundachtzig Jahren ist Ernst Curtius <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0182" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223124"/> <fw type="header" place="top"> Ernst «Lurtius</fw><lb/> <p xml:id="ID_554" prev="#ID_553"> von Betrügereien, die desto schwerer auszuführen und desto seltener sind, je<lb/> stärker die Konkurrenz ist, der sittliche Hebel nicht ansetzen. Nicht unmittelbar,<lb/> sondern nur mittelbar kann die Moral den Übeln beikommen. Das Haupt¬<lb/> übel besteht darin, daß, weil das Wirtschaftsleben durch eine Notwendigkeit<lb/> bestimmt und gelenkt zu sein scheint, auf die der menschliche Wille keinen Ein¬<lb/> fluß hat, und weil die Lage der Menschen weniger von dem Verhalten des<lb/> einzelnen Menschen dem einzelnen Menschen gegenüber als von Fernwirkungen<lb/> unbekannter Mächte abhängt, das Gefühl der Verantwortung für die schwächern<lb/> Glieder der Gesellschaft schwindet, während zugleich die heutigen sozialen Sitten<lb/> und die Staatseinrichtungen dafür sorgen, daß der Zustand der untern Klassen<lb/> den obern möglichst verborgen bleibt. Da haben wir nun politische Pastoren<lb/> nötig — sie brauchen nicht ordinirt zu sein —, die die höhern Klassen mit<lb/> der Lage der untern bekannt machen und ihnen unausgesetzt predigen: Ihr seid<lb/> auch bei dem jetzigen Gange der Dinge für diese Lage verantwortlich. Nicht<lb/> bloß in den Fällen — und sie sind immerhin noch sehr zahlreich —, wo noch<lb/> der einzelne Mensch dem einzelnen Menschen gegenübersteht, und wo nicht nach<lb/> dem Gesetz von Angebot und Nachfrage entschieden zu werden braucht, sondern<lb/> nach Gerechtigkeit und Billigkeit und mit Nächstenliebe verfahren werden kann,<lb/> z. B. bei der Behandlung der Dienstboten, der Tagelöhner in kleinern Wirt¬<lb/> schaften oder bei Bezahlung der kleinen Handwerker; sondern auch in dem großen<lb/> Gebiete, das wirklich von dem Gesetze des Spiels von Angebot und Nachfrage<lb/> beherrscht wird, seid ihr verantwortlich! Die Herrschaft dieses Gesetzes muß<lb/> nicht notwendig verderblich wirken; wo es Unheil anrichtet, da läßt sich dem<lb/> Verderben durch Koalitionsfreiheit, Arbeiterschutz, Vodenbesitzreform, gesunde<lb/> Bevvlkerungspolitik und alle die andern Mittel begegnen, deren Anwendung<lb/> von den politischen Pastoren empfohlen zu werden Pflegt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> (Lrnst (Lurtius</head><lb/> <p xml:id="ID_555" next="#ID_556"> M n dem hohen Alter von zweiundachtzig Jahren ist Ernst Curtius<lb/> aus seinem an Erfolgen und an Ehren reichen Leben abgerufen<lb/> worden. Seinem Wissen und seinen Interessen nach gehörte er<lb/> noch zu den universellen Altertumsforscher!?, wie sie heute nicht<lb/> mehr gebildet werdeu. Seit Böckhs und Welckers Tode war er<lb/> ohne Frage der vielseitigste Vertreter des griechischen Altertums, wie Mommsen<lb/> unbestritten für den ersten Kenner des römische« gilt. Er war nicht Philolog</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0182]
Ernst «Lurtius
von Betrügereien, die desto schwerer auszuführen und desto seltener sind, je
stärker die Konkurrenz ist, der sittliche Hebel nicht ansetzen. Nicht unmittelbar,
sondern nur mittelbar kann die Moral den Übeln beikommen. Das Haupt¬
übel besteht darin, daß, weil das Wirtschaftsleben durch eine Notwendigkeit
bestimmt und gelenkt zu sein scheint, auf die der menschliche Wille keinen Ein¬
fluß hat, und weil die Lage der Menschen weniger von dem Verhalten des
einzelnen Menschen dem einzelnen Menschen gegenüber als von Fernwirkungen
unbekannter Mächte abhängt, das Gefühl der Verantwortung für die schwächern
Glieder der Gesellschaft schwindet, während zugleich die heutigen sozialen Sitten
und die Staatseinrichtungen dafür sorgen, daß der Zustand der untern Klassen
den obern möglichst verborgen bleibt. Da haben wir nun politische Pastoren
nötig — sie brauchen nicht ordinirt zu sein —, die die höhern Klassen mit
der Lage der untern bekannt machen und ihnen unausgesetzt predigen: Ihr seid
auch bei dem jetzigen Gange der Dinge für diese Lage verantwortlich. Nicht
bloß in den Fällen — und sie sind immerhin noch sehr zahlreich —, wo noch
der einzelne Mensch dem einzelnen Menschen gegenübersteht, und wo nicht nach
dem Gesetz von Angebot und Nachfrage entschieden zu werden braucht, sondern
nach Gerechtigkeit und Billigkeit und mit Nächstenliebe verfahren werden kann,
z. B. bei der Behandlung der Dienstboten, der Tagelöhner in kleinern Wirt¬
schaften oder bei Bezahlung der kleinen Handwerker; sondern auch in dem großen
Gebiete, das wirklich von dem Gesetze des Spiels von Angebot und Nachfrage
beherrscht wird, seid ihr verantwortlich! Die Herrschaft dieses Gesetzes muß
nicht notwendig verderblich wirken; wo es Unheil anrichtet, da läßt sich dem
Verderben durch Koalitionsfreiheit, Arbeiterschutz, Vodenbesitzreform, gesunde
Bevvlkerungspolitik und alle die andern Mittel begegnen, deren Anwendung
von den politischen Pastoren empfohlen zu werden Pflegt.
(Lrnst (Lurtius
M n dem hohen Alter von zweiundachtzig Jahren ist Ernst Curtius
aus seinem an Erfolgen und an Ehren reichen Leben abgerufen
worden. Seinem Wissen und seinen Interessen nach gehörte er
noch zu den universellen Altertumsforscher!?, wie sie heute nicht
mehr gebildet werdeu. Seit Böckhs und Welckers Tode war er
ohne Frage der vielseitigste Vertreter des griechischen Altertums, wie Mommsen
unbestritten für den ersten Kenner des römische« gilt. Er war nicht Philolog
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