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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Verwirrung in der Schreibung unsrer Straßennamen

ohne die energischste Anspannung aller körperlichen und sittlichen Kräfte, so lange
der Arzt den Züchtling für fest und arbeitsfähig erklärt, ist eine Thatsache,
der man unerschrocken ins Gesicht sehen muß, es sei denn, daß man dem Ver¬
brecher ein größeres Daseinsrecht zugesteht als dem sittlich strebenden Willen.
Wer den Bmuweilerschen Prozeß als Fachmann verfolgt hat, den überkam ein
aufrichtiges Bedauern, daß die vielleicht das Maß etwas übersteigende sittliche
Strenge eines von hohem Idealismus erfüllte" Mannes dem Gezeter und dem
Klatsch preisgegeben werden mußte. Der Kundige bedauert alle Mißgriffe,
aber die Mißgriffe bedeuten bisweilen nichts andres, als daß ein Beamter sich
hat hinreißen lassen, der von dem sittlichen Ernst seiner Aufgabe durchdrungen
aus dem Bann der Phrase entronnen war. Mißgriffe sind gewiß nie zu recht¬
fertigen; aber zuweilen darf man für sie das so oft der Laxheit als Deckmantel
dienende Wort in Anspruch nehmen: weck ooinpreuärö o'sse Wut x^rclonusr.



Die Verwirrung in der Schreibung unsrer Straßen¬
namen I- Ernst wülfing von(in
(Schluß)

eine neunte Frage lautete: "Ist Aussicht vorhanden, daß die un¬
schönen Doppelbezeichnungen, die nur schwer richtig zu schreiben
sind ^Kaiser-Wilhelm-Straße, Robert-Schumann-Straße, in Berlin
gar: Prinz-Louis-Ferdinand-Straße), durch Vermittlung des Ver¬
eins wieder ausgemerzt werden können?" Einige Vereine haben
hierauf gar nicht geantwortet, einunddreißig haben mitgeteilt, daß in ihren
Städten solche Namen nicht vorkommen; Stuttgart schreibt dazu: "Kommt
nicht vor, und wird hoffentlich nie vorkommen," und Zittau: "Sie fehlen
glücklicherweise noch." Fünfundvierzig andre Vereine geben Doppelnamen um:
Aachen hat nur einen Friedrich Wilhelm-Platz. Annaberg: "Die Benennungen
"Kaiser Wilhelm-Straße" und "König Albert-Straße" haben sich rasch einge¬
bürgert; für Ausmerzung dieser Benennungen besteht keine Aussicht." Aus
Beiram schreibt der Stadtbauinspektor Borermann: "Es sind hier nur vor¬
handen Richard Wagner- und Friedrich-Wilhelm-Straße, die voraussichtlich
bleiben werden. Im übrigen ist keine Neigung vorhanden, Doppelnamen zur
Straßenbezeichnung einzuführen"; Oberlehrer Leithäuser dagegen: "Ich habe
verschiedentlich dnrch Aufsätze in Zeitungen eine Änderung angestrebt und mich


Die Verwirrung in der Schreibung unsrer Straßennamen

ohne die energischste Anspannung aller körperlichen und sittlichen Kräfte, so lange
der Arzt den Züchtling für fest und arbeitsfähig erklärt, ist eine Thatsache,
der man unerschrocken ins Gesicht sehen muß, es sei denn, daß man dem Ver¬
brecher ein größeres Daseinsrecht zugesteht als dem sittlich strebenden Willen.
Wer den Bmuweilerschen Prozeß als Fachmann verfolgt hat, den überkam ein
aufrichtiges Bedauern, daß die vielleicht das Maß etwas übersteigende sittliche
Strenge eines von hohem Idealismus erfüllte» Mannes dem Gezeter und dem
Klatsch preisgegeben werden mußte. Der Kundige bedauert alle Mißgriffe,
aber die Mißgriffe bedeuten bisweilen nichts andres, als daß ein Beamter sich
hat hinreißen lassen, der von dem sittlichen Ernst seiner Aufgabe durchdrungen
aus dem Bann der Phrase entronnen war. Mißgriffe sind gewiß nie zu recht¬
fertigen; aber zuweilen darf man für sie das so oft der Laxheit als Deckmantel
dienende Wort in Anspruch nehmen: weck ooinpreuärö o'sse Wut x^rclonusr.



Die Verwirrung in der Schreibung unsrer Straßen¬
namen I- Ernst wülfing von(in
(Schluß)

eine neunte Frage lautete: „Ist Aussicht vorhanden, daß die un¬
schönen Doppelbezeichnungen, die nur schwer richtig zu schreiben
sind ^Kaiser-Wilhelm-Straße, Robert-Schumann-Straße, in Berlin
gar: Prinz-Louis-Ferdinand-Straße), durch Vermittlung des Ver¬
eins wieder ausgemerzt werden können?" Einige Vereine haben
hierauf gar nicht geantwortet, einunddreißig haben mitgeteilt, daß in ihren
Städten solche Namen nicht vorkommen; Stuttgart schreibt dazu: „Kommt
nicht vor, und wird hoffentlich nie vorkommen," und Zittau: „Sie fehlen
glücklicherweise noch." Fünfundvierzig andre Vereine geben Doppelnamen um:
Aachen hat nur einen Friedrich Wilhelm-Platz. Annaberg: „Die Benennungen
»Kaiser Wilhelm-Straße« und »König Albert-Straße« haben sich rasch einge¬
bürgert; für Ausmerzung dieser Benennungen besteht keine Aussicht." Aus
Beiram schreibt der Stadtbauinspektor Borermann: „Es sind hier nur vor¬
handen Richard Wagner- und Friedrich-Wilhelm-Straße, die voraussichtlich
bleiben werden. Im übrigen ist keine Neigung vorhanden, Doppelnamen zur
Straßenbezeichnung einzuführen"; Oberlehrer Leithäuser dagegen: „Ich habe
verschiedentlich dnrch Aufsätze in Zeitungen eine Änderung angestrebt und mich


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[0423] Die Verwirrung in der Schreibung unsrer Straßennamen ohne die energischste Anspannung aller körperlichen und sittlichen Kräfte, so lange der Arzt den Züchtling für fest und arbeitsfähig erklärt, ist eine Thatsache, der man unerschrocken ins Gesicht sehen muß, es sei denn, daß man dem Ver¬ brecher ein größeres Daseinsrecht zugesteht als dem sittlich strebenden Willen. Wer den Bmuweilerschen Prozeß als Fachmann verfolgt hat, den überkam ein aufrichtiges Bedauern, daß die vielleicht das Maß etwas übersteigende sittliche Strenge eines von hohem Idealismus erfüllte» Mannes dem Gezeter und dem Klatsch preisgegeben werden mußte. Der Kundige bedauert alle Mißgriffe, aber die Mißgriffe bedeuten bisweilen nichts andres, als daß ein Beamter sich hat hinreißen lassen, der von dem sittlichen Ernst seiner Aufgabe durchdrungen aus dem Bann der Phrase entronnen war. Mißgriffe sind gewiß nie zu recht¬ fertigen; aber zuweilen darf man für sie das so oft der Laxheit als Deckmantel dienende Wort in Anspruch nehmen: weck ooinpreuärö o'sse Wut x^rclonusr. [Abbildung] Die Verwirrung in der Schreibung unsrer Straßen¬ namen I- Ernst wülfing von(in (Schluß) eine neunte Frage lautete: „Ist Aussicht vorhanden, daß die un¬ schönen Doppelbezeichnungen, die nur schwer richtig zu schreiben sind ^Kaiser-Wilhelm-Straße, Robert-Schumann-Straße, in Berlin gar: Prinz-Louis-Ferdinand-Straße), durch Vermittlung des Ver¬ eins wieder ausgemerzt werden können?" Einige Vereine haben hierauf gar nicht geantwortet, einunddreißig haben mitgeteilt, daß in ihren Städten solche Namen nicht vorkommen; Stuttgart schreibt dazu: „Kommt nicht vor, und wird hoffentlich nie vorkommen," und Zittau: „Sie fehlen glücklicherweise noch." Fünfundvierzig andre Vereine geben Doppelnamen um: Aachen hat nur einen Friedrich Wilhelm-Platz. Annaberg: „Die Benennungen »Kaiser Wilhelm-Straße« und »König Albert-Straße« haben sich rasch einge¬ bürgert; für Ausmerzung dieser Benennungen besteht keine Aussicht." Aus Beiram schreibt der Stadtbauinspektor Borermann: „Es sind hier nur vor¬ handen Richard Wagner- und Friedrich-Wilhelm-Straße, die voraussichtlich bleiben werden. Im übrigen ist keine Neigung vorhanden, Doppelnamen zur Straßenbezeichnung einzuführen"; Oberlehrer Leithäuser dagegen: „Ich habe verschiedentlich dnrch Aufsätze in Zeitungen eine Änderung angestrebt und mich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/423>, abgerufen am 01.09.2024.