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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Prügelstrafe in den Gefängnissen

sprechen. Kommen dann auf einmal die sogenannten Enthüllungen der soziab
demokratischen, demokratischen und freisinnigen Presse über Roheiten, Mißhand¬
lungen usw., dann empfindet man es mit Recht in weiten Kreisen als eine
Unaufrichtigkeit, daß man in so vielen Fachversammlnngen die Prügelstrafe von
sich weist, während in andern Kreisen die Schreckenskunde von Mund zu
Munde geht: der oder jener Aufseher in der Strafanstalt soundso ist ein
schlimmer Geselle, mit dem kommt man nur gut aus, wenn man ihm seinen
Willen thut. Man gehe um die Prügelstrafe nicht herum, wie die Katze um
den heißen Brei. Wenn ein braver Schulmeister einem verwöhnten Mutter¬
söhnchen die Hosen angespannt hat, wenn ein Schutzmann einen widerspenstigen,
unflätigen und vor keinem Mittel zurückschreckenden Zuhälter in der Notwehr
auf dem Revier durch ein paar Säbelhiebe zur Räson bringt, dann zetern die
Soldschreiber der obengenannten Presse in allen Tonarten über Brutalität usw.
Wie oft wäre ein Wort darüber am Platze, wie verhältnismäßig geringen
Schutz die zuletzt genannten, die doch auch Menschen sind, bei den Gerichten
finden! Wenn sich ein Schutzmann hat auf den Leib treten lassen müssen, wenn
ihm die Uniform zerrissen, der Helm eingetrieben worden ist, wenn die ekel¬
haftesten Schimpfnamen über ihn ergangen sind, dann soll er "korrekt" handeln
und Strafantrag stellen, damit sein Gegner, Wenns hoch kommt, eine Gefängnis¬
strafe von zwei oder drei Monaten erhält. Ist das für solche Mißhandlung
eine Genugthuung? Ist es ihm zu verdenken, wenn er lieber mit der flachen
Säbelscheide dazwischenhaut? Daß unter der stillschweigenden Anerkennung der
gesetzlich verpöntem Prügelstrafe mehr Ausschreitungen vorkommen können, als
unter der gesetzlichen Regelung dieser Frage, ist die feststehende Überzeugung so
manches Fachmannes. Daß solche "Enthüllungen" wie die des Brauweilerschen
Prozesses so peinlich wirken, daran tragen die Strafanstaltsbeamten einen ge¬
wissen Teil der Schuld. Es wird von manchem als nicht ganz aufrichtig em¬
pfunden, wenn man im Interesse der Zucht und Ordnung das Bedürfnis nach
schweren körperlichen Strafen fühlt, und mit Rücksicht auf eine abhängige,
klatschsüchtige Presse oder aus einer zur Schau getragnen aber durch die nackte
Wirklichkeit längst überwundnen Humanitätsduselei das Ding nicht bei seinem
Namen zu nennen wagt. Selbstverständlich fällt es keinem Strafanstalts¬
beamten ein, irgend welcher Roheit das Wort reden zu wollen. Daß in
Brauweiler infolge einer Disziplinarstrafe ein Menschenleben zu Grunde ge¬
gangen ist, wäre nicht zu rechtfertigen, wenn nicht der Tod dieses Sträf¬
lings vielleicht in einem unglücklichen Zusammentreffen dieser Strafe mit
andern unvorhergesehenen Ursachen seinen Grund gehabt hat. Aber daß ein
Korrektionshaus wie das zu Vrauweiler in Köln, Düsseldorf usw. in dem
guten Rufe steht, von seinen Stammgästen als ein Ort der Höllenqual auf
Erden angesehen zu werden, bei dessen Nennung sie erbleichen, daß eine solche
Anstalt nicht auskommen kann ohne die denkbar schärfsten Diszipliuarmittel,


Die Prügelstrafe in den Gefängnissen

sprechen. Kommen dann auf einmal die sogenannten Enthüllungen der soziab
demokratischen, demokratischen und freisinnigen Presse über Roheiten, Mißhand¬
lungen usw., dann empfindet man es mit Recht in weiten Kreisen als eine
Unaufrichtigkeit, daß man in so vielen Fachversammlnngen die Prügelstrafe von
sich weist, während in andern Kreisen die Schreckenskunde von Mund zu
Munde geht: der oder jener Aufseher in der Strafanstalt soundso ist ein
schlimmer Geselle, mit dem kommt man nur gut aus, wenn man ihm seinen
Willen thut. Man gehe um die Prügelstrafe nicht herum, wie die Katze um
den heißen Brei. Wenn ein braver Schulmeister einem verwöhnten Mutter¬
söhnchen die Hosen angespannt hat, wenn ein Schutzmann einen widerspenstigen,
unflätigen und vor keinem Mittel zurückschreckenden Zuhälter in der Notwehr
auf dem Revier durch ein paar Säbelhiebe zur Räson bringt, dann zetern die
Soldschreiber der obengenannten Presse in allen Tonarten über Brutalität usw.
Wie oft wäre ein Wort darüber am Platze, wie verhältnismäßig geringen
Schutz die zuletzt genannten, die doch auch Menschen sind, bei den Gerichten
finden! Wenn sich ein Schutzmann hat auf den Leib treten lassen müssen, wenn
ihm die Uniform zerrissen, der Helm eingetrieben worden ist, wenn die ekel¬
haftesten Schimpfnamen über ihn ergangen sind, dann soll er „korrekt" handeln
und Strafantrag stellen, damit sein Gegner, Wenns hoch kommt, eine Gefängnis¬
strafe von zwei oder drei Monaten erhält. Ist das für solche Mißhandlung
eine Genugthuung? Ist es ihm zu verdenken, wenn er lieber mit der flachen
Säbelscheide dazwischenhaut? Daß unter der stillschweigenden Anerkennung der
gesetzlich verpöntem Prügelstrafe mehr Ausschreitungen vorkommen können, als
unter der gesetzlichen Regelung dieser Frage, ist die feststehende Überzeugung so
manches Fachmannes. Daß solche „Enthüllungen" wie die des Brauweilerschen
Prozesses so peinlich wirken, daran tragen die Strafanstaltsbeamten einen ge¬
wissen Teil der Schuld. Es wird von manchem als nicht ganz aufrichtig em¬
pfunden, wenn man im Interesse der Zucht und Ordnung das Bedürfnis nach
schweren körperlichen Strafen fühlt, und mit Rücksicht auf eine abhängige,
klatschsüchtige Presse oder aus einer zur Schau getragnen aber durch die nackte
Wirklichkeit längst überwundnen Humanitätsduselei das Ding nicht bei seinem
Namen zu nennen wagt. Selbstverständlich fällt es keinem Strafanstalts¬
beamten ein, irgend welcher Roheit das Wort reden zu wollen. Daß in
Brauweiler infolge einer Disziplinarstrafe ein Menschenleben zu Grunde ge¬
gangen ist, wäre nicht zu rechtfertigen, wenn nicht der Tod dieses Sträf¬
lings vielleicht in einem unglücklichen Zusammentreffen dieser Strafe mit
andern unvorhergesehenen Ursachen seinen Grund gehabt hat. Aber daß ein
Korrektionshaus wie das zu Vrauweiler in Köln, Düsseldorf usw. in dem
guten Rufe steht, von seinen Stammgästen als ein Ort der Höllenqual auf
Erden angesehen zu werden, bei dessen Nennung sie erbleichen, daß eine solche
Anstalt nicht auskommen kann ohne die denkbar schärfsten Diszipliuarmittel,


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[0422] Die Prügelstrafe in den Gefängnissen sprechen. Kommen dann auf einmal die sogenannten Enthüllungen der soziab demokratischen, demokratischen und freisinnigen Presse über Roheiten, Mißhand¬ lungen usw., dann empfindet man es mit Recht in weiten Kreisen als eine Unaufrichtigkeit, daß man in so vielen Fachversammlnngen die Prügelstrafe von sich weist, während in andern Kreisen die Schreckenskunde von Mund zu Munde geht: der oder jener Aufseher in der Strafanstalt soundso ist ein schlimmer Geselle, mit dem kommt man nur gut aus, wenn man ihm seinen Willen thut. Man gehe um die Prügelstrafe nicht herum, wie die Katze um den heißen Brei. Wenn ein braver Schulmeister einem verwöhnten Mutter¬ söhnchen die Hosen angespannt hat, wenn ein Schutzmann einen widerspenstigen, unflätigen und vor keinem Mittel zurückschreckenden Zuhälter in der Notwehr auf dem Revier durch ein paar Säbelhiebe zur Räson bringt, dann zetern die Soldschreiber der obengenannten Presse in allen Tonarten über Brutalität usw. Wie oft wäre ein Wort darüber am Platze, wie verhältnismäßig geringen Schutz die zuletzt genannten, die doch auch Menschen sind, bei den Gerichten finden! Wenn sich ein Schutzmann hat auf den Leib treten lassen müssen, wenn ihm die Uniform zerrissen, der Helm eingetrieben worden ist, wenn die ekel¬ haftesten Schimpfnamen über ihn ergangen sind, dann soll er „korrekt" handeln und Strafantrag stellen, damit sein Gegner, Wenns hoch kommt, eine Gefängnis¬ strafe von zwei oder drei Monaten erhält. Ist das für solche Mißhandlung eine Genugthuung? Ist es ihm zu verdenken, wenn er lieber mit der flachen Säbelscheide dazwischenhaut? Daß unter der stillschweigenden Anerkennung der gesetzlich verpöntem Prügelstrafe mehr Ausschreitungen vorkommen können, als unter der gesetzlichen Regelung dieser Frage, ist die feststehende Überzeugung so manches Fachmannes. Daß solche „Enthüllungen" wie die des Brauweilerschen Prozesses so peinlich wirken, daran tragen die Strafanstaltsbeamten einen ge¬ wissen Teil der Schuld. Es wird von manchem als nicht ganz aufrichtig em¬ pfunden, wenn man im Interesse der Zucht und Ordnung das Bedürfnis nach schweren körperlichen Strafen fühlt, und mit Rücksicht auf eine abhängige, klatschsüchtige Presse oder aus einer zur Schau getragnen aber durch die nackte Wirklichkeit längst überwundnen Humanitätsduselei das Ding nicht bei seinem Namen zu nennen wagt. Selbstverständlich fällt es keinem Strafanstalts¬ beamten ein, irgend welcher Roheit das Wort reden zu wollen. Daß in Brauweiler infolge einer Disziplinarstrafe ein Menschenleben zu Grunde ge¬ gangen ist, wäre nicht zu rechtfertigen, wenn nicht der Tod dieses Sträf¬ lings vielleicht in einem unglücklichen Zusammentreffen dieser Strafe mit andern unvorhergesehenen Ursachen seinen Grund gehabt hat. Aber daß ein Korrektionshaus wie das zu Vrauweiler in Köln, Düsseldorf usw. in dem guten Rufe steht, von seinen Stammgästen als ein Ort der Höllenqual auf Erden angesehen zu werden, bei dessen Nennung sie erbleichen, daß eine solche Anstalt nicht auskommen kann ohne die denkbar schärfsten Diszipliuarmittel,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/422>, abgerufen am 01.09.2024.