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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

Henrik Ibsens Jugendtraum von Dr. Roman Woerner, Privatdozenten an der
Universität München. München, Becksche Verlagsbuchhandlung, 1895

Dieses Buch kündigt sich als Vorarbeit zu einem großem Werke über Ibsen
an. Im Vorwort spricht der Verfasser die Ansicht aus, daß die wissenschaftlichen
Litterarhistoriker es nicht den Tagesschriftstellern überlassen sollten, über Erschei¬
nungen der neuern Litteratur das Urteil festzustellen. Darin hat er gewiß Recht,
vollends wenn es sich um einen Dichter wie Ibsen handelt, dessen Verehrer in
unserm Volke nun einmal nach taufenden zählen. Eine andre Frage ist, ob der
Gegenstand eine so ausführliche Behandlung verträgt, wie sie der Verfasser mit
den zwei Bänden, die er verspricht, in Aussicht stellt. Nach der Probe, die in
der vorliegenden Schrift gegeben ist, möchte man das bezweifeln. Ibsens Jugend-
Werke mit ihrer Fülle von krausen nordischen Namen unter uns doch recht fremd¬
artig an, und der Zergliederung, die der Verfasser giebt, zu folgen, ist keine leichte
Beschäftigung. Sie stehen aber auch dem spätern Ibsen, der sich einen Teil der
Welt erobert hat, fast ebenso fern wie uns, und im allgemeinen lebt unsre Zeit
zu schnell, um sich durch das bloß historische Interesse noch lange fesseln zu lassen.
Aber es ist ja möglich, daß sie dem "Jbsenismus" gegenüber eine Ausnahme macht.
Das Buch ist sorgfältig gearbeitet und recht gut geschrieben.


Erichs Ferien. Eine Erzählung für die Jugend, auch für ältere und alte Leute ohne
Schaden zu lesen, mir müssen die Herzen jung sein. Von H. Brandstaedter. Düsseldorf,
August Bagel, 1L95

Getreidespekulation, jüngstdeutsche Dichtung, Verein zur Rettung Schiffbrüchiger,
Momentphotographie: lauter Dinge, die modern, teilweise sogar "aktuell" sind. Ein
Buch, das sich mit derlei Gegenständen befaßt, wird -- so sollte mau denken --
zu den modernen Erscheinungen gerechnet werden dürfen. Und doch ist es glück¬
licherweise unmodern, altväterisch im besten Sinne des Worts. Kein greisenhaft
anwidernder Roman um Ah siöelo, der die Jugend verdirbt, sondern eine Erzählung,
die von Frische, Mut, Kraft und Vaterlandsliebe übersprudelt. Sie wird jeden
gefangen nehmen, der sich ein junges Herz bewahrt hat. Sonnige Poesie ruht
über der Gegend, wo sich die Ereignisse abspielen! der rauschenden Ostsee, der
einsamen Nehrung mit ihren Dünen und dem so unheimlich wirkenden Sande.
Mit heiterm, harmlosen Humor werden die Personen gezeichnet; prächtig gelungen
sind die Charakteristiken des königlichen Fischmeisters Sciltawisch und der episodischen
Figur des "alle Verantwortung ablehnenden" Kommerzienrath ans Memel. Aus
dem Ganzen spricht ein echt deutsches, festes, kerniges Gottvertrauen, nicht auf¬
dringlich, aber eindringlich, rührend und warm.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunöw in Leipzig
Vortag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

Henrik Ibsens Jugendtraum von Dr. Roman Woerner, Privatdozenten an der
Universität München. München, Becksche Verlagsbuchhandlung, 1895

Dieses Buch kündigt sich als Vorarbeit zu einem großem Werke über Ibsen
an. Im Vorwort spricht der Verfasser die Ansicht aus, daß die wissenschaftlichen
Litterarhistoriker es nicht den Tagesschriftstellern überlassen sollten, über Erschei¬
nungen der neuern Litteratur das Urteil festzustellen. Darin hat er gewiß Recht,
vollends wenn es sich um einen Dichter wie Ibsen handelt, dessen Verehrer in
unserm Volke nun einmal nach taufenden zählen. Eine andre Frage ist, ob der
Gegenstand eine so ausführliche Behandlung verträgt, wie sie der Verfasser mit
den zwei Bänden, die er verspricht, in Aussicht stellt. Nach der Probe, die in
der vorliegenden Schrift gegeben ist, möchte man das bezweifeln. Ibsens Jugend-
Werke mit ihrer Fülle von krausen nordischen Namen unter uns doch recht fremd¬
artig an, und der Zergliederung, die der Verfasser giebt, zu folgen, ist keine leichte
Beschäftigung. Sie stehen aber auch dem spätern Ibsen, der sich einen Teil der
Welt erobert hat, fast ebenso fern wie uns, und im allgemeinen lebt unsre Zeit
zu schnell, um sich durch das bloß historische Interesse noch lange fesseln zu lassen.
Aber es ist ja möglich, daß sie dem „Jbsenismus" gegenüber eine Ausnahme macht.
Das Buch ist sorgfältig gearbeitet und recht gut geschrieben.


Erichs Ferien. Eine Erzählung für die Jugend, auch für ältere und alte Leute ohne
Schaden zu lesen, mir müssen die Herzen jung sein. Von H. Brandstaedter. Düsseldorf,
August Bagel, 1L95

Getreidespekulation, jüngstdeutsche Dichtung, Verein zur Rettung Schiffbrüchiger,
Momentphotographie: lauter Dinge, die modern, teilweise sogar „aktuell" sind. Ein
Buch, das sich mit derlei Gegenständen befaßt, wird — so sollte mau denken —
zu den modernen Erscheinungen gerechnet werden dürfen. Und doch ist es glück¬
licherweise unmodern, altväterisch im besten Sinne des Worts. Kein greisenhaft
anwidernder Roman um Ah siöelo, der die Jugend verdirbt, sondern eine Erzählung,
die von Frische, Mut, Kraft und Vaterlandsliebe übersprudelt. Sie wird jeden
gefangen nehmen, der sich ein junges Herz bewahrt hat. Sonnige Poesie ruht
über der Gegend, wo sich die Ereignisse abspielen! der rauschenden Ostsee, der
einsamen Nehrung mit ihren Dünen und dem so unheimlich wirkenden Sande.
Mit heiterm, harmlosen Humor werden die Personen gezeichnet; prächtig gelungen
sind die Charakteristiken des königlichen Fischmeisters Sciltawisch und der episodischen
Figur des „alle Verantwortung ablehnenden" Kommerzienrath ans Memel. Aus
dem Ganzen spricht ein echt deutsches, festes, kerniges Gottvertrauen, nicht auf¬
dringlich, aber eindringlich, rührend und warm.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunöw in Leipzig
Vortag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0112] Litteratur Henrik Ibsens Jugendtraum von Dr. Roman Woerner, Privatdozenten an der Universität München. München, Becksche Verlagsbuchhandlung, 1895 Dieses Buch kündigt sich als Vorarbeit zu einem großem Werke über Ibsen an. Im Vorwort spricht der Verfasser die Ansicht aus, daß die wissenschaftlichen Litterarhistoriker es nicht den Tagesschriftstellern überlassen sollten, über Erschei¬ nungen der neuern Litteratur das Urteil festzustellen. Darin hat er gewiß Recht, vollends wenn es sich um einen Dichter wie Ibsen handelt, dessen Verehrer in unserm Volke nun einmal nach taufenden zählen. Eine andre Frage ist, ob der Gegenstand eine so ausführliche Behandlung verträgt, wie sie der Verfasser mit den zwei Bänden, die er verspricht, in Aussicht stellt. Nach der Probe, die in der vorliegenden Schrift gegeben ist, möchte man das bezweifeln. Ibsens Jugend- Werke mit ihrer Fülle von krausen nordischen Namen unter uns doch recht fremd¬ artig an, und der Zergliederung, die der Verfasser giebt, zu folgen, ist keine leichte Beschäftigung. Sie stehen aber auch dem spätern Ibsen, der sich einen Teil der Welt erobert hat, fast ebenso fern wie uns, und im allgemeinen lebt unsre Zeit zu schnell, um sich durch das bloß historische Interesse noch lange fesseln zu lassen. Aber es ist ja möglich, daß sie dem „Jbsenismus" gegenüber eine Ausnahme macht. Das Buch ist sorgfältig gearbeitet und recht gut geschrieben. Erichs Ferien. Eine Erzählung für die Jugend, auch für ältere und alte Leute ohne Schaden zu lesen, mir müssen die Herzen jung sein. Von H. Brandstaedter. Düsseldorf, August Bagel, 1L95 Getreidespekulation, jüngstdeutsche Dichtung, Verein zur Rettung Schiffbrüchiger, Momentphotographie: lauter Dinge, die modern, teilweise sogar „aktuell" sind. Ein Buch, das sich mit derlei Gegenständen befaßt, wird — so sollte mau denken — zu den modernen Erscheinungen gerechnet werden dürfen. Und doch ist es glück¬ licherweise unmodern, altväterisch im besten Sinne des Worts. Kein greisenhaft anwidernder Roman um Ah siöelo, der die Jugend verdirbt, sondern eine Erzählung, die von Frische, Mut, Kraft und Vaterlandsliebe übersprudelt. Sie wird jeden gefangen nehmen, der sich ein junges Herz bewahrt hat. Sonnige Poesie ruht über der Gegend, wo sich die Ereignisse abspielen! der rauschenden Ostsee, der einsamen Nehrung mit ihren Dünen und dem so unheimlich wirkenden Sande. Mit heiterm, harmlosen Humor werden die Personen gezeichnet; prächtig gelungen sind die Charakteristiken des königlichen Fischmeisters Sciltawisch und der episodischen Figur des „alle Verantwortung ablehnenden" Kommerzienrath ans Memel. Aus dem Ganzen spricht ein echt deutsches, festes, kerniges Gottvertrauen, nicht auf¬ dringlich, aber eindringlich, rührend und warm. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunöw in Leipzig Vortag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/112>, abgerufen am 01.09.2024.